Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Exergames in der orthopädisch- unfallchirurgischen Rehabilitation

T. Brauner1, P. Burka1, K. Stamer2,T. Horstmann1, 2

Zusammenfassung: Ziel der vorliegenden Untersuchungsreihe war die Evaluation von Therapierelevanz, Sicherheit und Akzeptanz von Exergames bei Patienten nach totalendoprothetischem Gelenkersatz. Die Studienreihe bestand aus einer Vorstudie zum Bewegungsprofil während des Exergamings bei gesunden Probanden (n = 17), einer Bewegungsanalysestudie (n = 18) sowie einer Akzeptanzstudie (n = 44) an Patienten nach Hüft- oder Kniegelenkersatz. Die Patienten führten in 2 Minuten Spielzeit 25 zyklische Beinbeugungen/-streckungen mit therapierelevantem, aber risikolosem Gelenkwinkel durch. Die Patienten zeigten hohe Motivation und Akzeptanz gegenüber Exergames und beurteilten eine Integration in das Therapieprogramm durchweg positiv. Bereits handelsübliche Exergames können im orthopädischen Therapiealltag sinnvoll und gefahrlos eingesetzt werden. Für eine optimale Therapieergänzung sind jedoch therapiespezifische Neuentwicklungen unerlässlich.

Schlüsselwörter: Videospiele, Kinect, Gelenkersatz, Serious
Games, Bewegungsprofil

Zitierweise
Brauner T, Burka P, Stamer K, Horstmann T: Exergames in der orthopädischunfallchirurgischen Rehabilitation.
OUP 2015; 01: 004–010 DOI 10.3238/oup.2015.0004–0010

Summary: Aim of these studies was to evaluate therapy relevance, safety, and acceptance of exergames by patients following arthroplasty. The study complex consisted of one pilot study analyzing a movement profile of healthy subjects during exergaming (n = 17), as well as one movement profile study (n = 18) and one acceptance study with hip and knee arthroplasty patients (n = 44). In 2 minutes playing time, patients executed 25 cyclic leg flexions/extensions within therapy relevant, but riskless joint ranges. Patients showed high motivation and acceptance towards exergames and stated throughout that exergames should be integrated into their therapy protocol. Even off-the-shelf exergames can be integrated usefully and safely into orthopedic therapy, but for an optimal therapy effect therapy specific exergames need to be developed.

Keywords: video games, Kinect, arthroplasty, serious games, movement profile

Citation
Brauner T, Burka P, Stamer K, Horstmann T: Exergames in orthopedic and
trauma-surgical rehabilitation.
OUP 2015; 01: 004–010 DOI 10.3238/oup.2015.0004–0010

Einleitung

Der demografische Wandel einerseits, sowie höhere Erwartungen an eine optimale Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit nach Verletzungen andererseits werden die Rehabilitation in Zukunft auf die Probe stellen. Das britische Rechnungsamt stellte in einem kürzlich veröffentlichten Bericht in Aussicht [1], dass insbesondere personalintensive Therapiemethoden unter Berücksichtigung zukünftiger finanzieller Einschränkungen reduziert werden und schlussfolgerte, dass insbesondere der Bereich der traumatischen Rehabilitation gezwungen sein wird, innovative und kostengünstigere Therapiemethoden zu entwickeln, um die Vielzahl der Therapiebedürftigen adäquat zu versorgen und ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden [1, 2].

Eine Möglichkeit, Patienten individuell bewegungstherapeutisch zu versorgen, bieten videobasierte Computer- und Konsolenspiele, auch Exergames oder Serious Games genannt. Bei diesen Exergames wird das Spielgeschehen durch körperliche Bewegungen des Spielers gesteuert, indem die Bewegungen des Spielers von Sensoren erfasst werden. Für den Einsatz im therapeutischen Umfeld zeigt sich besonders zukunftsweisend die Spielekonsole Xbox Kinect (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA), die mittels einer Kameraeinheit die 3-dimensionale Bewegung des Spielers in Echtzeit erfasst. Die aktuelle Version dieser Spielkonsole kann klinisch relevante Bewegungen zwischen größeren Segmenten valide ermitteln [3]. Innerhalb des Beins werden z.B. Becken, Ober- und Unterschenkel sowie der Fuß erkannt, wodurch Hüft-, Knie- und Sprunggelenkwinkel zur Verfügung stehen. Dadurch wird zur Steuerung des Spiels die Verwendung von praxisuntauglichen Steuergeräten unnötig [4], die Bewegungen des Spielers alleine reichen aus. Während aus Sicht der Spielhersteller die kontinuierliche Analyse der Gelenkbewegungen in erster Linie für die Spielsteuerung relevant ist, ermöglicht ihre Analyse im therapeutischen Einsatz weitere Möglichkeiten. So kann sie dazu verwendet werden, das Bewegungsprofil des Spielers auf seine Therapiewirksamkeit und seine Sicherheit zu überwachen. Weiterhin können bei der Neuentwicklung von Therapiespielen die Bewegungsprofile progressiv und individuell gesteigert werden, womit dem Spieler permanent ein adäquates Training abverlangt wird.

Basierend auf diesen Möglichkeiten wundert es nicht, dass Exergames bereits Einzug in die Therapie gefunden haben. Sowohl im klinischen Einsatz als auch in der wissenschaftlichen Evaluation wurde die Anwendung von Exergames vor allem in der Prävention und Therapie von Adipositas [5], Diabetes [6], kardiovaskulären [7] und neurologischen [8–10, 3, 11] Erkrankungen beschrieben und größtenteils als erfolgreich eingestuft. Es gibt auch erste vielversprechende Berichte über die Verwendung von Exergames in der Therapie von Krebs und Asthma [6].

Berichte über den Einsatz in der orthopädischen Therapie sind jedoch nach wie vor selten, dabei deuten die wenigen vorhandenen Studien auf ein hohes Therapiepotenzial bei verschiedenen Zielparametern der orthopädischen Rehabilitation hin. Insbesondere die Verbesserung der Balance-Leistung konnte bei Patienten mit Rupturen des vorderen Kreuzbands [12], traumatischen Hirnverletzungen [11], Morbus Parkinson [3, 9, 13], bei institutionalisierten Senioren sowie bei Schülern [14] nachgewiesen werden. Weiterhin konnten Baltaci et al. [12] zeigen, dass eine 12-wöchige Exergames-Intervention bei Patienten nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands den gleichen Effekt auf Muskelkraft, dynamische Balance und funktionale Leistungsfähigkeit hat wie die reguläre Rehabilitation. Dennoch ist die Studienlage zur Verwendung von Exergames unzureichend.

Patienten nach Gelenkersatz stellen eine orthopädische Patientengruppe dar, die insbesondere in Deutschland seit Jahren in ihrer Größenordnung zunimmt. Alleine in Deutschland wurden im Jahr 2010 über 140.000 Kniegelenkersatzoperationen stationär versorgt [15]. Es konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass mit der aktuellen Therapie von Patienten nach Knie- oder Hüftgelenkersatz Defizite zwischen operierter und nicht-operierter Seite auch nach über einem Jahr nachweisbar sind. Eine intensivere Weiterführung der Rehabilitation nach der stationären Versorgung ist daher wünschenswert. Für diesen Zweck zeigen Exergames ein hohes Potenzial, als kostengünstige Therapieergänzung infrage zu kommen. Denn die Therapieschwerpunkte bei Hüft- und Kniegelenkersatzpatienten liegen in der Kräftigung der Hüft- und Kniestreckmuskulatur sowie in der Erhöhung der dynamischen Stabilität, was sich z.B. gut durch kontrollierte Kniebeugen und Ausfallschritte trainieren lässt [16]. Gerade der Ausfallschritt trainiert die gesamte Beinstreckmuskulatur sowie die laterale Stabilisierung in dynamischer Form. Isoliert trainiert, weisen die entsprechenden Übungsformen jedoch einen geringen motivationalen Charakter auf. In Form des Exergames Bowling kann jedoch genau diese Bewegung kontrolliert trainiert werden (Abb. 2) und dabei durch den Spielcharakter motivierender für den Patienten sein.

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