Originalarbeiten - OUP 05/2013

Frühe geriatrische Mitbehandlung in der Alterstraumatologie
Eine systematische Literaturübersicht und MetaanalyseA systematic review and meta analysis

B. Buecking1, N. Timmesfeld2, S. Riem3, C. Bliemel1, E. Hartwig3, T. Friess4, U. Liener5, S. Ruchholtz1, D. Eschbach1

Zusammenfassung

Hintergrund: Geriatrische Frakturen werden durch die alternde Bevölkerung immer häufiger. Ihre Behandlung ist, bedingt durch häufige Komorbiditäten, komplikationsbehaftet. In Deutschland treten allein über 125.000 proximale Femurfrakturen pro Jahr mit einer Einjahresmortalität von etwa 25 % auf. Zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse wurden unfallchirurgisch-geriatrischen Kooperationsmodelle entwickelt, deren Nutzen bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte.

Methode: Es wurde eine systematischen Literaturübersicht in der MEDLINE und der Cochrane Library durchgeführt. Eingeschlossen wurden prospektiv randomisierten Studien, in denen eine schon perioperativ begonnene unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung mit einer rein unfallchirurgischen Behandlung von Patienten mit geriatrischen Frakturen verglichen wurde. Die Behandlungsparameter Krankenhausverweildauer, Krankenhausmortalität und Einjahresmortalität wurden anschließend in einer Metaanalyse analysiert.

Ergebnisse: Es wurden 5 passende Studien mit geringer Fallzahl und hohem Verzerrungspotenzial zu proximalen Femurfrakturen identifiziert. Bezüglich der Krankenhausverweildauer ergab sich kein Unterschied durch die Intervention (0,06 Tage; 95-%-Konzidenzintervall (KI): –3,74 bis 3,62). Das Relative Risiko, im Krankenhaus zu versterben, betrug 0,66 (95-%-KI: 0,28–1,55; p = 0,34) und die Hazard Ratio der Einjahresmortalität 0,79 (95-%-KI 0,57–1,10; p = 0,17) zugunsten der geriatrischen Intervention.

Schlussfolgerungen: Es liegen nur wenige randomisierte Studien eingeschränkter Qualität zur frühzeitigen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung vor. Aufgrund der geringen Fallzahl lässt sich trotz vielversprechender Ergebnisse kein eindeutiger Vorteil interdisziplinärer Behandlungsmodelle ableiten. Daher sind weitere Studien notwendig.

Schlüsselwörter: Alterstraumatolgie, Geriatrische Frakturen,
Proximale Femurfrakturen, Interdisziplinäre Behandlung, Unfallchirurgisch-geriatrische Kooperation

Abstract

Introduction: The number of geriatric trauma patients is increasing rapidly. According to the great number of comorbidities treatment of geriatric fracture showed to be complicative. In Germany 125.000 hip fractures occurred per year with a one year mortality of 25 %. Different ortho-geriatric concepts have been developed to improve patient’s outcome. Until now, the beneficial effect of these models could not be proven.

Methods: We systematically searched the MEDLINE and the Cochrane Library. Randomized trials about ortho-geriatric services in comparison to standard care of geriatric fracture patients during acute in-hospital treatment were included. Metaanalysis was performed for in length of hospital stay, hospital mortality, and 1 year mortality.

Results: A number of five studies with small patient samples and high risk of bias about hip fractures were found. Concerning the length of in-hospital stay, geriatric intervention showed no significant impact (0.06d, 95-%-confidence-intervall (CI): – 3,74 up to 3,62). Relative Risk of dying during in-hospital stay showed to be reduced (0,66) by multidisciplinary intervention.(95-%-CI: 0,28–1,55; p = 0,34). One year mortality showed a Hazard Ratio of 0,79 (95-%-CI: 0,57–1,10; p = 0,17).

Conclusion: There are only few randomized controlled trials with limited quality concerning an early ortho-geriatric care of geriatric trauma patients. Although available results seem to underline the importance of this concept a significant benefit could not be proven. Further investigations are necessary.

Keywords: geriatric trauma, geriatric fracture, hip fracture,
interdisciplinary care, ortho-geriatric service

 

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem
Deutschen Ärzteblatt 15/2013; Seite 255-262

Zitierweise

Buecking B, Timmesfeld N, Riem S, Bliemel C, Hartwig E, Friess T, Liener U, Ruchholtz S, Eschbach D: Early orthogeriatric treatment of trauma in the elderly – a systematic review and metaanalysis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(15): 255?62. DOI: 10.3238/arztebl.013.0255

Einleitung

Bedingt durch den demografischen Wandel mit einer steigendenden Anzahl älterer Menschen in den Industrieländern, nehmen auch Frakturen geriatrischer Patienten zu.

Typische geriatrische Frakturen sind Frakturen des proximalen Femurs, des proximalen Humerus, des distalen Radius, Wirbelkörperfrakturen, Beckenfrakturen und zunehmend auch periprothetische Frakturen [1]. Diese mit Osteoporose und Sturz assoziierten Frakturen stellen die behandelnden Ärzte vor große Herausforderungen. Zum einen erschwert die veränderte Knochenstruktur die operative Versorgung, zum anderen führen Komorbiditäten nicht selten zu Komplikationen im Krankheitsverlauf [2].

Die größte sozioökonomische Bedeutung haben in diesem Zusammenhang proximale Femurfrakturen. Es handelt sich hierbei um Schenkelhalsfrakturen, sowie per- und subtrochantäre Frakturen (S72.0 bis S72.2 nach ICD 10 [3]). Im Jahr 2009 wurden allein in Deutschland mehr als 125.000 Patienten über 70 Jahre mit der Hauptdiagnose proximale Femurfraktur stationär behandelt [4]. Trotz großer Fortschritte in der operativen Versorgung sind die Behandlungsergebnisse nach wie vor enttäuschend [5]. Die Einjahresmortalität proximaler Femurfrakturen liegt bei ca. 25 % [6] und ca. 1/3 der Patienten verliert im gleichen Zeitraum die Selbstständigkeit [7]. Die direkten Krankheitskosten werden allein in Deutschland auf 2,5 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt [8]. Damit wird deutlich, dass einer optimalen Versorgung der Patienten eine bedeutende Rolle zukommt. In der Annahme, der Multimorbidität dieser Patienten besser gerecht werden zu können, wurden in den letzten Jahren weltweit verschiedene Modelle zur gemeinschaftlichen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung von Patienten mit proximaler Femurfraktur entwickelt [9]. Bisher konnte lediglich gezeigt werden, dass Patienten mit proximaler Femurfraktur von einer geriatrischen Mitbehandlung während der Phase der Rehabilitation profitieren [10]. Ein eindeutiger Nachweis über den Vorteil einer bereits perioperativ begonnenen interdisziplinären unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung konnte bisher nicht erbracht werden, obwohl einzelne Studien mit z.T. vielversprechenden Ergebnissen publiziert wurden [9].

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