Originalarbeiten - OUP 05/2013

Frühe geriatrische Mitbehandlung in der Alterstraumatologie
Eine systematische Literaturübersicht und MetaanalyseA systematic review and meta analysis

B. Buecking1, N. Timmesfeld2, S. Riem3, C. Bliemel1, E. Hartwig3, T. Friess4, U. Liener5, S. Ruchholtz1, D. Eschbach1

Zusammenfassung

Hintergrund: Geriatrische Frakturen werden durch die alternde Bevölkerung immer häufiger. Ihre Behandlung ist, bedingt durch häufige Komorbiditäten, komplikationsbehaftet. In Deutschland treten allein über 125.000 proximale Femurfrakturen pro Jahr mit einer Einjahresmortalität von etwa 25 % auf. Zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse wurden unfallchirurgisch-geriatrischen Kooperationsmodelle entwickelt, deren Nutzen bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte.

Methode: Es wurde eine systematischen Literaturübersicht in der MEDLINE und der Cochrane Library durchgeführt. Eingeschlossen wurden prospektiv randomisierten Studien, in denen eine schon perioperativ begonnene unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung mit einer rein unfallchirurgischen Behandlung von Patienten mit geriatrischen Frakturen verglichen wurde. Die Behandlungsparameter Krankenhausverweildauer, Krankenhausmortalität und Einjahresmortalität wurden anschließend in einer Metaanalyse analysiert.

Ergebnisse: Es wurden 5 passende Studien mit geringer Fallzahl und hohem Verzerrungspotenzial zu proximalen Femurfrakturen identifiziert. Bezüglich der Krankenhausverweildauer ergab sich kein Unterschied durch die Intervention (0,06 Tage; 95-%-Konzidenzintervall (KI): –3,74 bis 3,62). Das Relative Risiko, im Krankenhaus zu versterben, betrug 0,66 (95-%-KI: 0,28–1,55; p = 0,34) und die Hazard Ratio der Einjahresmortalität 0,79 (95-%-KI 0,57–1,10; p = 0,17) zugunsten der geriatrischen Intervention.

Schlussfolgerungen: Es liegen nur wenige randomisierte Studien eingeschränkter Qualität zur frühzeitigen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung vor. Aufgrund der geringen Fallzahl lässt sich trotz vielversprechender Ergebnisse kein eindeutiger Vorteil interdisziplinärer Behandlungsmodelle ableiten. Daher sind weitere Studien notwendig.

Schlüsselwörter: Alterstraumatolgie, Geriatrische Frakturen,
Proximale Femurfrakturen, Interdisziplinäre Behandlung, Unfallchirurgisch-geriatrische Kooperation

Abstract

Introduction: The number of geriatric trauma patients is increasing rapidly. According to the great number of comorbidities treatment of geriatric fracture showed to be complicative. In Germany 125.000 hip fractures occurred per year with a one year mortality of 25 %. Different ortho-geriatric concepts have been developed to improve patient’s outcome. Until now, the beneficial effect of these models could not be proven.

Methods: We systematically searched the MEDLINE and the Cochrane Library. Randomized trials about ortho-geriatric services in comparison to standard care of geriatric fracture patients during acute in-hospital treatment were included. Metaanalysis was performed for in length of hospital stay, hospital mortality, and 1 year mortality.

Results: A number of five studies with small patient samples and high risk of bias about hip fractures were found. Concerning the length of in-hospital stay, geriatric intervention showed no significant impact (0.06d, 95-%-confidence-intervall (CI): – 3,74 up to 3,62). Relative Risk of dying during in-hospital stay showed to be reduced (0,66) by multidisciplinary intervention.(95-%-CI: 0,28–1,55; p = 0,34). One year mortality showed a Hazard Ratio of 0,79 (95-%-CI: 0,57–1,10; p = 0,17).

Conclusion: There are only few randomized controlled trials with limited quality concerning an early ortho-geriatric care of geriatric trauma patients. Although available results seem to underline the importance of this concept a significant benefit could not be proven. Further investigations are necessary.

Keywords: geriatric trauma, geriatric fracture, hip fracture,
interdisciplinary care, ortho-geriatric service

 

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem
Deutschen Ärzteblatt 15/2013; Seite 255-262

Zitierweise

Buecking B, Timmesfeld N, Riem S, Bliemel C, Hartwig E, Friess T, Liener U, Ruchholtz S, Eschbach D: Early orthogeriatric treatment of trauma in the elderly – a systematic review and metaanalysis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(15): 255?62. DOI: 10.3238/arztebl.013.0255

Einleitung

Bedingt durch den demografischen Wandel mit einer steigendenden Anzahl älterer Menschen in den Industrieländern, nehmen auch Frakturen geriatrischer Patienten zu.

Typische geriatrische Frakturen sind Frakturen des proximalen Femurs, des proximalen Humerus, des distalen Radius, Wirbelkörperfrakturen, Beckenfrakturen und zunehmend auch periprothetische Frakturen [1]. Diese mit Osteoporose und Sturz assoziierten Frakturen stellen die behandelnden Ärzte vor große Herausforderungen. Zum einen erschwert die veränderte Knochenstruktur die operative Versorgung, zum anderen führen Komorbiditäten nicht selten zu Komplikationen im Krankheitsverlauf [2].

Die größte sozioökonomische Bedeutung haben in diesem Zusammenhang proximale Femurfrakturen. Es handelt sich hierbei um Schenkelhalsfrakturen, sowie per- und subtrochantäre Frakturen (S72.0 bis S72.2 nach ICD 10 [3]). Im Jahr 2009 wurden allein in Deutschland mehr als 125.000 Patienten über 70 Jahre mit der Hauptdiagnose proximale Femurfraktur stationär behandelt [4]. Trotz großer Fortschritte in der operativen Versorgung sind die Behandlungsergebnisse nach wie vor enttäuschend [5]. Die Einjahresmortalität proximaler Femurfrakturen liegt bei ca. 25 % [6] und ca. 1/3 der Patienten verliert im gleichen Zeitraum die Selbstständigkeit [7]. Die direkten Krankheitskosten werden allein in Deutschland auf 2,5 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt [8]. Damit wird deutlich, dass einer optimalen Versorgung der Patienten eine bedeutende Rolle zukommt. In der Annahme, der Multimorbidität dieser Patienten besser gerecht werden zu können, wurden in den letzten Jahren weltweit verschiedene Modelle zur gemeinschaftlichen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung von Patienten mit proximaler Femurfraktur entwickelt [9]. Bisher konnte lediglich gezeigt werden, dass Patienten mit proximaler Femurfraktur von einer geriatrischen Mitbehandlung während der Phase der Rehabilitation profitieren [10]. Ein eindeutiger Nachweis über den Vorteil einer bereits perioperativ begonnenen interdisziplinären unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung konnte bisher nicht erbracht werden, obwohl einzelne Studien mit z.T. vielversprechenden Ergebnissen publiziert wurden [9].

Mit der vorliegenden Literaturübersicht und Metaanalyse soll der aktuelle wissenschaftliche Stand zum möglichen Nutzen für Patienten mit typisch geriatrischen Frakturen durch eine schon perioperativ begonnene geriatrische Mitbehandlung dargestellt werden.

Methode

Zur Erstellung der vorliegenden Arbeit wurde zunächst von 2 Reviewern eine systematische Literaturübersicht aus der MEDLINE und der Cochrane Library durchgeführt. Anschließend wurde – soweit möglich – eine Metaanalyse zu den verschiedenen Ergebnisparametern vorgenommen. Beides erfolgte in Übereinstimmung mit den Vorgaben des PRISMA Statement (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) [11]. Mit den Suchbegriffen: “fragility fracture”, “geriatric fracture”, “osteoporotic fracture”, “hip fracture”, “femur fracture”, “femoral fracture”, “humerus fracture” , “humeral fracture”, “periprosthetic fracture”, oder “vertebral fracture” in Verbindung mit: “multidisciplinary”, “comanagement”, “co-management”, “interdisciplinary”, “comprehensive care” und den Begriffen “ortho-geriatric” und “orthogeriatric” wurde nach Studien gesucht, in denen eine perioperativ begonnene unfallchirurgisch-geriatrische Behandlung alterstraumatologischer Patienten untersucht wurde. Die Einschlusskriterien der Studien wurden anhand der PICOS-Frage (Patientengruppe, Intervention, Kontrollintervention, Outcome, Studiendesign) ausgewählt (Tab. 1) und das Verzerrungspotenzial anhand der Kriterien in Tabelle 3 beurteilt. In einem 2. Schritt wurde zu den in der Literaturübersicht gefundenen Studien eine Metaanalyse mittels Random-effects-Modell durchgeführt.

Ergebnisse

Studienauswahl

Mit Hilfe der oben genannten Suchbegriffe wurden 558 Zitate gefunden, von denen 49 Literaturzitate (39 Originalarbeiten, 10 Reviews), die Einschlusskriterien erfüllten und als Volltext zur Verfügung standen (Abb. 1). Durch Handsuche in den Bibliographien der ausgewählten Originalarbeiten konnten keine weiteren Publikationen identifiziert werden. In allen ausgewählten Literaturzitaten wurden Patienten mit proximaler Femurfraktur untersucht.

Von den gefundenen 39 Originalarbeiten waren 10 randomisiert-kontrollierte Studien (Tab. 3). Bei genauer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass die Arbeiten von Shyu et al. und Stenvall et al. auf je einer Studie bzw. je einer Studienkohorte beruhten. Diese wurden jeweils nur einmal berücksichtigt, sodass letztlich 5 Studien mit insgesamt 970 Patienten (482 Intervention, 488 Kontrolle) in die Metaanalyse eingingen.

Verzerrungspotenzial

Es zeigte sich, das alle in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien ein hohes Verzerrungspotenzial aufwiesen (Tab. 2).

Studienergebnisse

In den Studien wurden zum Teil unterschiedliche Parameter erfasst, so dass nur zur Krankenhausverweildauer, zur Krankenhausmortalität und zur Langzeitmortalität eine Metaanalyse durchgeführt wurde (Tab. 3).

Krankenhausverweildauer

In der Metaanalyse zeigte sich bei sehr großer Heterogenität (I2:88,5 %) mit einer Differenz von –0,06 Tagen (95-%-KI: –3,74 bis 3,62) in der Interventionsgruppe keine signifikant kürzere Verweildauer (p = 0,97; Abb. 2).

Krankenhausmortalität

Auch hier waren die Ergebnisse unterschiedlich (I2 :31,6 %). Nur Vidan et al. konnten eine signifikante Reduktion der Krankenhausmortalität durch die geriatrische Intervention zeigen [12]. zeigen. Insgesamt ergab die Analyse ein relatives Risiko von 0,66 zugunsten der Intervention ohne Signifikanz (95-%-KI: 0,28–1,55; p = 0,34; Abb. 3).

Langzeitmortalität

Die Ergebnisse waren homogener als bei den anderen Parametern (I2 :0 %). Nur in der kleinen Studie von Uy et al. war die Mortalität in der Interventionsgruppe erhöht [13]. In den anderen 4 Studien verstarben mehr Patienten in der jeweiligen Kontrollgruppe. Die Metaanalyse zeigte mit einer Hazard Ratio (HR) von 0,79 (95-%-KI 0,57–1,10) keine signifikant geringere Mortalität durch die geriatrische Intervention (p = 0,.17; Abb. 4).

Weitere Studienergebnisse

Bezüglich der übrigen Ergebnisparameter konnten Stenvall et al. eine signifikante Reduktion der Komplikationsrate während des Krankenhausaufenthaltes zeigen; dies gilt auch für Patienten, die im gleichen Zeitraum stürzten [14]. Gleichzeitig war in diesem Patientenkollektiv die präoperative Krankenhausverweildauer niedriger als in den anderen Studien, ohne dass es innerhalb der Studien größere Unterschiede der beiden Patientengruppen gab. Die Rate der Patienten, welche ihre prätraumatische Gehfähigkeit oder ihr prätraumatisches Aktivitätsniveau erreichten, war in der Interventionsgruppe höher [15] (Tab. 4). Shyu et al. konnten ebenfalls zeigen, dass zu verschiedenen Untersuchungszeitpunkten das funktionelle Ergebnis in der Interventionsgruppe besser war als in der Kontrollgruppe [16–19]. Die Ergebnisse waren allerdings z.T. nicht signifikant, wie die Ergebnisse von Naglie et al. [20], Vidan et al. [12] und Uy et al. [13] (Tab. 4) zeigen. Da verschiedene Assessments durchgeführt bzw. verschiedene Parameter erfasst wurden, wurde zum funktionellen Outcome keine Metaanalyse durchgeführt. Nur Shyu et al. untersuchten die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HrQoL) und fanden eine höhere HrQoL in der Interventionsgruppe [21].

Diskussion

Mit der vorliegenden Literaturübersicht und Metaanalyse sollte ein möglicher positiver Effekt einer schon perioperativ begonnenen interdisziplinären unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung gegenüber einer rein unfallchirurgischen Behandlung untersucht werden. Es konnten lediglich 5 Studien eingeschlossen werden. Alle 5 Studien berichteten über Patienten mit proximalen Femurfrakturen. Die interdisziplinäre Behandlung führte zu einer Verringerung der Krankenhausmortalität und Einjahresmortalität – allerdings ohne statistische Signifikanz.

Studienauswahl

Mit Hilfe der gewählten Suchbegriffe konnte eine Vielzahl von potenziell zutreffenden Studien gefunden werden. In allen Studien wurden Patienten mit proximalen Femurfrakturen untersucht. Dies unterstreicht die weltweite Bedeutung, die diesen Frakturen aufgrund ihrer Häufigkeit, ihrer aufwendigen Behandlung und ihres nachhaltigen Einflusses auf die Lebensumstände der Patienten, aber auch als Tracer-Diagnose für eine adäquate Behandlung von Fragilitätsfrakturen beigemessen wird. Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob die Erkenntnisse über die Behandlung von Patienten mit proximaler Femurfraktur ohne Weiteres auf diese Patienten übertragbar sind.

Die meisten der gefundenen Studien zu proximalen Femurfrakturen waren nicht randomisierte Studien (Abb. 1). Wenngleich die Ergebnisse dieser Studien größtenteils vielversprechend waren [22–29], wurden sie aufgrund der fehlenden Randomisierung in unserer Metaanalyse nicht berücksichtigt.

In den 5 eingeschlossenen Studien aus unterschiedlichen Ländern wurden verschiedene Kooperationsmodelle nach Pioli untersucht [30]. Auch die Ein- und Ausschlusskriterien divergierten zwischen den eingeschlossenen Studien (Tab. 3). Damit kann zwar die beobachtete Heterogenität der Studienergebnisse erklärt werden, eine Übertragung der Ergebnisse auf das deutsche Gesundheitswesen ist allerdings nicht ohne weiteres möglich. Die Kontrollgruppen bestanden aus einer ausschließlich unfallchirurgischen Behandlung. Es liegen nur wenige Studien vor, in denen die einzelnen Modelle verglichen wurden, sodass keine Bewertung der verschiedenen Modelle möglich ist. Mazzoli et al fanden lediglich eine frühere Mobilisation bei einer interdisziplinären Behandlung direkt nach Klinikaufnahme gegenüber dem Beginn der interdisziplinären Behandlung postoperativ. Es handelte sich jedoch um eine Beobachtungsstudie, in der sich die Patientencharakteristika zwischen den beiden Patientengruppen unterschieden [33]. Aus Sicht der Autoren muss bei der Entwicklung eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes den örtlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden.

Andere Studien konnten zeigen, dass Patienten mit proximaler Femurfraktur ggf. auch ohne die Mitbehandlung durch einen Geriater von einer strukturierten multidisziplinären und multiprofessionellen Behandlung nach Behandlungspfaden profitieren [27, 34–37]. Diese Konzepte beinhalten unter anderem eine frühzeitige Operation, postoperativ eine frühe Mobilisation unter Vollbelastung sowie interne Leitlinien im Umgang mit häufigen Problemen des alterstraumatologischen Patienten wie Delir, Mangelernährung, Gerinnungsmanagement und Schmerzen und schließlich ein strukturiertes Entlassungsmanagement.

Es konnte also mit der vorliegenden Metaanalyse nur untersucht werden, ob eine frühzeitige interdisziplinäre unfallchirurgisch-geriatrische Behandlung unterschiedlicher Form einen Vorteil gegenüber der konventionellen unfallchirurgischen Behandlung zeigte.

Krankenhausverweildauer

Die Krankenhausverweildauer war in beiden Behandlungsgruppen annähernd gleich (Abb. 2). Es konnte somit nicht nachgewiesen werden, dass die Krankenhausverweildauer von den unterschiedlichen Behandlungsmodellen beeinflusst wird. Auffällig war in diesem Zusammenhang die signifikant längere Verweildauer von 29,2 Tagen in der Interventionsgruppe (Kontrolle: 20,9 Tage) von Naglie et al. [20]. Eine Erklärung könnte sein, dass in der Studie lediglich eine geriatrisch-internistische Visite stattfand, wodurch möglicherweise der stationäre Verlauf verlängert wurde. Die stationäre Verweildauer lag in dieser Studie deutlich über der mittleren akutmedizinischen Verweildauer in Deutschland, die derzeit bei durchschnittlich 15,5 Tagen (Median 13 Tage) liegt [31]. Auch andere, nicht in die Metaanalyse eingeschlossene Studien erbrachten heterogene Ergebnisse bzgl. der Krankenhausverweildauer [9]. Die Unterschiede in der Krankenhausverweildauer sind vermutlich eher Ausdruck der Unterschiede in den Gesundheitssystemen der verschiedenen Staaten und der Besonderheiten der lokalen Strukturen als ein Qualitätskriterium in der Behandlung alterstraumatologischer Patienten. Die Krankenhausverweildauer wäre selbst unter gleichen Rahmenbedingungen als Qualitätskriterium für die Patientenversorgung problematisch, da sie keine Aussage über die Qualität der Behandlung zulässt.

Krankenhausmortalität

Mit einem Relativen Risiko von 0,66 (95-%-KI 0,28–1,55) zugunsten der interdisziplinären Behandlung gegenüber der alleinigen unfallchirurgischen Behandlung konnte keine signifikante Reduktion der Krankenhausmortaliät nachgewiesen werden (Abb. 3). Vidan et al. erklären ihre deutliche Reduktion der Mortalität (0,6 % vs. 5,5 %) mit einer Vermeidung bzw. einem besseren Management systemischer Komplikation in der Interventionsgruppe. In der Studie von Vidan und Mitarbeitern war die Rate größerer systemischer Komplikationen in der Interventionsgruppe signifikant geringer (45,2 % vs. 61,7 %) [12]. Da Vidan et al. das 4. Modell nach Pioli, also eine gemeinsame interdisziplinäre Behandlung von Unfallchirurgen und Geriatern von der Aufnahme bis zur Entlassung untersuchten, könnten die Zahlen einen Hinweis bieten, dass eine intensive interdisziplinäre Behandlung die meisten Vorteile für die Patienten bietet. Erstaunlicherweise starb in der Studie von Shyu et al. nur ein Patient von 162 (0,6 %) [18]. Demgegenüber wurde in Deutschland zuletzt eine Mortalitätsrate von 5,2 % angegeben [31]. Eine Erklärung dafür bieten die Ausschlusskriterien in dieser Studie. Diese waren terminale Erkrankungen und stärkere kognitive Einschränkung, welche mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert sind.

Langzeitmortalität

Wie in anderen Studien beschrieben, sind proximale Femurfrakturen mit einer erheblichen Langzeitmortalität assoziiert. Nach einer aktuellen Literaturübersicht liegt die Einjahresmortalität bei etwa 25 % [6]. Die Mortalität in den eingeschlossenen Studien lag mit durchschnittlich 15 % deutlich darunter. Allerdings betrug der Beobachtungszeitraum in einer Studie nur 6 Monate und in einer weiteren Studie nur 4 Monate. Auch wenn mit Hilfe der Methode nach Perneger [32] die Daten der beiden Studien in die Metaanalyse eingehen konnten, stellen die unterschiedlichen Nachuntersuchungszeiträume eine Einschränkung ein. Es konnte keine signifikante Reduktion der Einjahresmortalität in der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe nachgewiesen werden (Abb. 4). Es sollte jedoch die geringe Fallzahl der Studien in der vorliegenden Metaanalyse berücksichtigt werden. Aus unserer Sicht stellen die Zahlen der Einjahresmortalität einen Hinweis für die Nachhaltigkeit einer frühzeitigen interdisziplinären Behandlung dar, welcher mit weiteren Studien genauer untersucht werden sollte. Unter zusätzlichem Einschluss von Studien mit dem Fokus auf die Rehabilitation konnten Bachmann et al in einer Metaanalyse den positiven Effekt der gemeinsamen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung auf die Einjahresmortalität zeigen [10].

Weitere Ergebnisparameter

In den meisten Studien konnte eine funktionelle Verbesserung der Patienten in der Interventionsgruppe erzielt werden. Diese waren unter anderem eine reduzierte Sturzrate [14], eine häufigere Wiederherstellung der prätraumatischen Gehfähigkeit [15, 18] bzw. der prätraumatischen Mobilität [12, 20] oder der ADL (Activities of Daily Living) [12, 15] (Tab. 4). Aufgrund unterschiedlicher Messinstrumente bzw. Ergebnisparameter konnten diese nicht mittels Metaanalyse untersucht wurden, obwohl gerade der mit dem funktionellen Status verbundene Erhalt der Selbstständigkeit für die Patienten von großer Bedeutung ist. Nur Shyu et al. untersuchten die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten und konnten diesbezüglich einen signifikant positiven Effekt der interdisziplinären Behandlung aufzeigen [21]. Die hier analysierten Studien berücksichtigten aus ökonomischer Perspektive nur die Verweildauer. Schon heute zeichnen sich Versorgungsprobleme in der Alterstraumatologie ab. So gaben in einer Umfrage das Jahr 2009 betreffend 37 % Prozent der Kliniken Probleme in der Weiterversorgung von Patienten mit proximaler Femurfraktur an [38]. Die verschiedenen interdisziplinären Kooperationsmodelle können helfen, diese Versorgungsproblematik zu verringern. Sollten diese Modelle gleichzeitig die Qualität der Behandlung und damit das funktionelle Outcome verbessern, könnten unter Berücksichtigung aller relevanten Kostenträger durch Verminderung des Pflegebedarfs auch ökonomische Vorteile entstehen. Zur Gesamtbeurteilung ist also auch eine gesundheitsökonomische Evaluation der interdisziplinären Behandlung im Vergleich zu den traditionellen Behandlungskonzepten wesentlich.

Verzerrungspotenzial

Die Aussagekraft der Metaanalyse wird durch das hohe Verzerrungspotenzial aller eingeschlossenen Studien eingeschränkt (Tab. 2). Zusätzlich besteht die Gefahr einer Verzerrung über die Studien hinweg durch Publikationsverzerrung oder eine selektive Berichterstattung aus den einzelnen Studien. Auch wenn wir aufgrund der geringen Studienanzahl und des hohen Verzerrungspotenzials innerhalb der Studien auf eine Analyse zur Publikationsverzerrung verzichteten, glauben wir nicht, dass hochwertige und damit aufwendige Studien zu diesem wichtigen Thema nicht veröffentlicht wurden. Eine selektive Berichterstattung ist unserer Meinung nach wahrscheinlicher. Eine weitere Limitation besteht in der Beschränkung der Literatursuche auf 2 Datenbanken.

Fazit

Zusammenfassend sind in der Literatur eine Vielzahl Hinweise gegeben, dass eine frühzeitige unfallchirurgisch-geriatrische Kooperation zu einer Verbesserung des Outcomes alterstraumatologischer Patienten führt. Anhand der wenigen randomisiert-kontrollierten Studien mit geringer Fallzahl und eingeschränkter Qualität ließ sich in der durchgeführten Metaanalyse dieser Benefit nicht sicher nachweisen. Es sollten daher randomisiert kontrollierte Studien mit ausreichender Patientenzahl durchgeführt werden, in denen funktionelle Parameter, die Lebensqualität und ökonomische Aspekte berücksichtigt werden.

Kernaussagen

  • 1. Mit einer systematischen Literaturrecherche zur perioperativ begonnenen unfallchirurgisch-geriatrischen Kooperation in der Alterstraumatolgie konnten lediglich 5 randomisierte kontrollierte Studien zu proximalen Femurfrakturen gefunden werden.
  • 2. Eine zu den Endpunkten Krankenhausmortalität und Langzeitmortalität durchgeführte Metaanalyse erbrachte positive Effekte – allerdings ohne statistische Signifikanz.
  • 3. Die Verweildauer wurde durch die interdisziplinäre Behandlung nicht beeinflusst.
  • 4. Das hohe Verzerrungspotenzial, die große Heterogenität und die kleinen Fallzahlen der Studien schränken die Aussagekraft der Metaanalyse ein.
  • 5. Eine Übertragung der Ergebnisse auf das deutsche Gesundheitssystem erscheint problematisch, sodass hochwertige Studien auch in Deutschland zu dieser Thematik notwendig sind.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Benjamin Bücking

Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie,
Universitätsklinikum Giessen und
Marburg GmbH, Standort Marburg

Baldingerstraße

35043 Marburg

buecking@med.uni-marburg.de

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Fussnoten

Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Giessen und Marburg, Standort Marburg.

Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Philipps Universität Marburg.

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe.

Abteilung für Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie, St. Clemens Hospital Sterkrade.

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Marienhospital Stuttgart.

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