Originalarbeiten - OUP 05/2013

Frühe geriatrische Mitbehandlung in der Alterstraumatologie
Eine systematische Literaturübersicht und MetaanalyseA systematic review and meta analysis

In den 5 eingeschlossenen Studien aus unterschiedlichen Ländern wurden verschiedene Kooperationsmodelle nach Pioli untersucht [30]. Auch die Ein- und Ausschlusskriterien divergierten zwischen den eingeschlossenen Studien (Tab. 3). Damit kann zwar die beobachtete Heterogenität der Studienergebnisse erklärt werden, eine Übertragung der Ergebnisse auf das deutsche Gesundheitswesen ist allerdings nicht ohne weiteres möglich. Die Kontrollgruppen bestanden aus einer ausschließlich unfallchirurgischen Behandlung. Es liegen nur wenige Studien vor, in denen die einzelnen Modelle verglichen wurden, sodass keine Bewertung der verschiedenen Modelle möglich ist. Mazzoli et al fanden lediglich eine frühere Mobilisation bei einer interdisziplinären Behandlung direkt nach Klinikaufnahme gegenüber dem Beginn der interdisziplinären Behandlung postoperativ. Es handelte sich jedoch um eine Beobachtungsstudie, in der sich die Patientencharakteristika zwischen den beiden Patientengruppen unterschieden [33]. Aus Sicht der Autoren muss bei der Entwicklung eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes den örtlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden.

Andere Studien konnten zeigen, dass Patienten mit proximaler Femurfraktur ggf. auch ohne die Mitbehandlung durch einen Geriater von einer strukturierten multidisziplinären und multiprofessionellen Behandlung nach Behandlungspfaden profitieren [27, 34–37]. Diese Konzepte beinhalten unter anderem eine frühzeitige Operation, postoperativ eine frühe Mobilisation unter Vollbelastung sowie interne Leitlinien im Umgang mit häufigen Problemen des alterstraumatologischen Patienten wie Delir, Mangelernährung, Gerinnungsmanagement und Schmerzen und schließlich ein strukturiertes Entlassungsmanagement.

Es konnte also mit der vorliegenden Metaanalyse nur untersucht werden, ob eine frühzeitige interdisziplinäre unfallchirurgisch-geriatrische Behandlung unterschiedlicher Form einen Vorteil gegenüber der konventionellen unfallchirurgischen Behandlung zeigte.

Krankenhausverweildauer

Die Krankenhausverweildauer war in beiden Behandlungsgruppen annähernd gleich (Abb. 2). Es konnte somit nicht nachgewiesen werden, dass die Krankenhausverweildauer von den unterschiedlichen Behandlungsmodellen beeinflusst wird. Auffällig war in diesem Zusammenhang die signifikant längere Verweildauer von 29,2 Tagen in der Interventionsgruppe (Kontrolle: 20,9 Tage) von Naglie et al. [20]. Eine Erklärung könnte sein, dass in der Studie lediglich eine geriatrisch-internistische Visite stattfand, wodurch möglicherweise der stationäre Verlauf verlängert wurde. Die stationäre Verweildauer lag in dieser Studie deutlich über der mittleren akutmedizinischen Verweildauer in Deutschland, die derzeit bei durchschnittlich 15,5 Tagen (Median 13 Tage) liegt [31]. Auch andere, nicht in die Metaanalyse eingeschlossene Studien erbrachten heterogene Ergebnisse bzgl. der Krankenhausverweildauer [9]. Die Unterschiede in der Krankenhausverweildauer sind vermutlich eher Ausdruck der Unterschiede in den Gesundheitssystemen der verschiedenen Staaten und der Besonderheiten der lokalen Strukturen als ein Qualitätskriterium in der Behandlung alterstraumatologischer Patienten. Die Krankenhausverweildauer wäre selbst unter gleichen Rahmenbedingungen als Qualitätskriterium für die Patientenversorgung problematisch, da sie keine Aussage über die Qualität der Behandlung zulässt.

Krankenhausmortalität

Mit einem Relativen Risiko von 0,66 (95-%-KI 0,28–1,55) zugunsten der interdisziplinären Behandlung gegenüber der alleinigen unfallchirurgischen Behandlung konnte keine signifikante Reduktion der Krankenhausmortaliät nachgewiesen werden (Abb. 3). Vidan et al. erklären ihre deutliche Reduktion der Mortalität (0,6 % vs. 5,5 %) mit einer Vermeidung bzw. einem besseren Management systemischer Komplikation in der Interventionsgruppe. In der Studie von Vidan und Mitarbeitern war die Rate größerer systemischer Komplikationen in der Interventionsgruppe signifikant geringer (45,2 % vs. 61,7 %) [12]. Da Vidan et al. das 4. Modell nach Pioli, also eine gemeinsame interdisziplinäre Behandlung von Unfallchirurgen und Geriatern von der Aufnahme bis zur Entlassung untersuchten, könnten die Zahlen einen Hinweis bieten, dass eine intensive interdisziplinäre Behandlung die meisten Vorteile für die Patienten bietet. Erstaunlicherweise starb in der Studie von Shyu et al. nur ein Patient von 162 (0,6 %) [18]. Demgegenüber wurde in Deutschland zuletzt eine Mortalitätsrate von 5,2 % angegeben [31]. Eine Erklärung dafür bieten die Ausschlusskriterien in dieser Studie. Diese waren terminale Erkrankungen und stärkere kognitive Einschränkung, welche mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert sind.

Langzeitmortalität

Wie in anderen Studien beschrieben, sind proximale Femurfrakturen mit einer erheblichen Langzeitmortalität assoziiert. Nach einer aktuellen Literaturübersicht liegt die Einjahresmortalität bei etwa 25 % [6]. Die Mortalität in den eingeschlossenen Studien lag mit durchschnittlich 15 % deutlich darunter. Allerdings betrug der Beobachtungszeitraum in einer Studie nur 6 Monate und in einer weiteren Studie nur 4 Monate. Auch wenn mit Hilfe der Methode nach Perneger [32] die Daten der beiden Studien in die Metaanalyse eingehen konnten, stellen die unterschiedlichen Nachuntersuchungszeiträume eine Einschränkung ein. Es konnte keine signifikante Reduktion der Einjahresmortalität in der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe nachgewiesen werden (Abb. 4). Es sollte jedoch die geringe Fallzahl der Studien in der vorliegenden Metaanalyse berücksichtigt werden. Aus unserer Sicht stellen die Zahlen der Einjahresmortalität einen Hinweis für die Nachhaltigkeit einer frühzeitigen interdisziplinären Behandlung dar, welcher mit weiteren Studien genauer untersucht werden sollte. Unter zusätzlichem Einschluss von Studien mit dem Fokus auf die Rehabilitation konnten Bachmann et al in einer Metaanalyse den positiven Effekt der gemeinsamen unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung auf die Einjahresmortalität zeigen [10].

Weitere Ergebnisparameter

In den meisten Studien konnte eine funktionelle Verbesserung der Patienten in der Interventionsgruppe erzielt werden. Diese waren unter anderem eine reduzierte Sturzrate [14], eine häufigere Wiederherstellung der prätraumatischen Gehfähigkeit [15, 18] bzw. der prätraumatischen Mobilität [12, 20] oder der ADL (Activities of Daily Living) [12, 15] (Tab. 4). Aufgrund unterschiedlicher Messinstrumente bzw. Ergebnisparameter konnten diese nicht mittels Metaanalyse untersucht wurden, obwohl gerade der mit dem funktionellen Status verbundene Erhalt der Selbstständigkeit für die Patienten von großer Bedeutung ist. Nur Shyu et al. untersuchten die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten und konnten diesbezüglich einen signifikant positiven Effekt der interdisziplinären Behandlung aufzeigen [21]. Die hier analysierten Studien berücksichtigten aus ökonomischer Perspektive nur die Verweildauer. Schon heute zeichnen sich Versorgungsprobleme in der Alterstraumatologie ab. So gaben in einer Umfrage das Jahr 2009 betreffend 37 % Prozent der Kliniken Probleme in der Weiterversorgung von Patienten mit proximaler Femurfraktur an [38]. Die verschiedenen interdisziplinären Kooperationsmodelle können helfen, diese Versorgungsproblematik zu verringern. Sollten diese Modelle gleichzeitig die Qualität der Behandlung und damit das funktionelle Outcome verbessern, könnten unter Berücksichtigung aller relevanten Kostenträger durch Verminderung des Pflegebedarfs auch ökonomische Vorteile entstehen. Zur Gesamtbeurteilung ist also auch eine gesundheitsökonomische Evaluation der interdisziplinären Behandlung im Vergleich zu den traditionellen Behandlungskonzepten wesentlich.

Verzerrungspotenzial

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