Übersichtsarbeiten - OUP 07/2019

Hüftarthroskopie bei vorliegender Dysplasiehüfte
Bei welchen Befunden ist noch eine Arthroskopie und bei welchen Befunden die Umstellung an Becken und Femur sinnvoll?

Thomas Mattes

Zusammenfassung:
Symptomatische Fehlbildungen des Hüftgelenks im Adoleszenten- und Erwachsenenalter sind häufig eine Herausforderung in Diagnostik und Therapie. Reorientierende Beckenosteotomien und Umstellungsosteotomien am proximalen Femur sind hier seit Jahrzehnten etablierte OP-Techniken in der gelenkerhaltenden Hüftchirurgie mit guter Datenlage bei publizierten Langzeitverläufen über 30 Jahre [14, 18, 28]. Umstellungsoperationen am Femur und der Hüftpfanne sind komplex, zeitaufwendig in der Nachbehandlung, komplikationsbehaftet und unterliegen einer flachen Lernkurve. Die scheinbar minimalinvasive Arthroskopie wird in den letzten Jahren als alternatives Behandlungsverfahren zu Osteotomien, insbesondere bei „Grenzdysplasien“ und grenzwertigen Retrotorsionsfehlstellungen des Femurs eingesetzt [1, 2, 18]. Bei diesen Indikationen wird die Arthroskopie jedoch kontrovers diskutiert, da die zugrunde liegende Pathologie nicht beseitigt wird und die Studienlage uneinheitlich ist [11, 17, 26, 30]. Kombinierte Fehlbildungen von Pfannendysplasie und femoroazetabulären Impingement (FAI) sind häufig, weshalb die Verfahren häufig nicht in Konkurrenz stehen, sondern additiv angewendet werden können. Eine genaue Kenntnis und Analyse der Pathomorphologie und das Beachten von Co-Faktoren hilft hier, Fehlschläge zu vermeiden.

Schlüsselwörter:
Hüftdysplasie, Tripelosteotomie, PAO, Hüftarthroskopie, FAI, Grenzdysplasie

Zitierweise:

Mattes T: Hüftarthroskopie bei vorliegender Dysplasiehüfte. Bei welchen Befunden ist noch eine Arthroskopie und bei welchen Befunden die Umstellung an Becken und Femur sinnvoll? OUP 2019; 8; 403–412
DOI 10.3238/oup.2019.0403–0412

Summary: Symptomatic development dysplasia of the hip in adolescents and adults are often a challenge in diagnosis and therapy. Reorienting pelvic osteotomies and osteotomies on the proximal femur have been established here for decades. Surgical techniques in joint-preserving hip surgery with good data is published long-term courses over 30 years [14, 18, 28]. Osteotomies of the femur and acetabulum are complex, complicating, time-consuming in rehabilitation. Learning this procedure has a flat learning curve. The supposed „minimally invasive“ arthroscopy has been used in recent years as an alternative method of treatment for osteotomies, especially in „border line dysplasia“ and marginal retro torsion deformity of the femur [1, 2, 18]. However, for this indication, arthroscopy is controversial because the underlying pathology is not resolved and results are inconsistent [11, 17, 26, 30]. Combined development dysplasia of the hip and femoroacetabular impingement (FAI) are common, therefore the procedures are often not in competition but can be used additively. An accurate knowledge and analysis of the pathomorphology and consideration of co-factors helps to avoid failures.

Keywords: development dysplasia of the hip (DHH), pelvic osteotomy, hip arthroscopy, femoroacetabular impingement (FAI), borderline dysplasia

Zitierweise: Mattes T: Hip arthroscopy in the presence of acetabular dysplasia. In which findings is an
arthroscopy and in which findings pelvic and femoral osteotomies make sense?
OUP 2019; 8; 403–412 DOI 10.3238/oup.2019.0403–0412

Thomas Mattes: Sportklinik Ravensburg

Einleitung

Die Bedeutung gelenkerhaltender Eingriffe am Hüftgelenk lässt sich dadurch unterstreichen, dass Fehlbildungen des Hüftgelenks die häufigste Fehlbildung im Skelettsystem sind und als präarthrotische Deformitäten in unterschiedlichen Studien in bis zu 50 % der Fälle als Ursachen für eine symptomatische Hüftarthrose identifiziert wurden. Ein seit Jahrzehnten etabliertes Verfahren zur Verbesserung der Biomechanik dysplastischer Hüftgelenke sind knöcherne Korrektureingriffe an der Hüftpfanne und am Femur. Problematisch in der Indikation zur knöchernen Korrektur sind hier schon immer sog. Grenzdysplasien, welche in der klassischen Betrachtung einen CE-Winkel zwischen 20 und 25° aufweisen [10, 20, 21].

Die 1931 erstmals beschriebene Hüftarthroskopie führte lange Zeit ein Schattendasein in der Behandlung von Hüfterkrankungen und -fehlbildungen. Eingesetzt wurde sie vorwiegend für diagnostische Zwecke und Synovialeingriffe im peripheren Gelenkraum. Durch technische Verbesserungen und die Zugangsmöglichkeit in das zentrale Kompartiment durch Traktion wurden die Indikationen ausgeweitet. Mit der Beschreibung des FAI durch Ganz als präarthrotische Fehlbildung und damit Erweiterung der klassischen Definition der Hüftdysplasie und Etablierung der chirurgischen Hüftluxation als operativem Zugang zur Behandlung von Hüftfehlbildungen [8] hat sich das operative Spektrum erweitert. Durch die gute arthroskopische Zugangs- und Behandlungsmöglichkeit des Femur-seitigen Cam-Typs hat sich die Hüftarthroskopie in den letzten 10 Jahren als Alternativverfahren zur chirurgischen Hüftluxation etabliert [2, 22]. Die explosionsartige Verbreitung der Hüftarthroskopie führte aber auch zu einer Ausweitung der Indikationen in der Behandlung der klassischen Hüftpathologien an der Hüftpfanne und Fehlstellungen des Femurs. Hier werden insbesondere sog. Grenzdysplasien als Indikation für arthroskopische Eingriffe gesehen und dem Verfahren zugeführt [1, 13, 15, 17, 19, 26]. Die Sinnhaftigkeit der arthroskopischen Therapie bei der klassischen Pfannendysplasie und bei Fehlstellungen des Femurs sind in der Literatur stark umstritten. Befürworter halten das Verfahren bei Grenzdysplasien für geeignet und sehen es als „minimalinvasiven Eingriff“. Auch wird die Behandlung von Sekundärveränderungen an Knorpel und Labrum als Vorteil gesehen [7, 25]. Kritiker sehen keine ursächliche Therapie der Fehlbildung und ihrer Sekundärveränderung und lehnen sie deshalb ab. Eine Reduktion der Hüftdysplasie auf einen Grenzwert, den CE-Winkel, ist problematisch und wird der komplexen Hüftanatomie und Biomechanik nicht gerecht. Unter komplexerer Betrachtung der pathologischen Hüftmorphologie, unter Einbeziehung des Konzepts des femoroazetabulären Impingements (FAI) und der klassischen Dysplasie, lässt sich der Widerspruch der unterschiedlichen OP-Verfahren zumindest teilweise auflösen.

Röntgendiagnostik und radiologische Kriterien

Die zentrale Rolle in der Analyse der Pathomorphologie ist die Bildgebung. Auch wenn heutzutage häufig wie am Kniegelenk die MRT-Bildgebung vorangestellt wird, ist die klassische Röntgendiagnostik weiterhin als Standard in der Primärdiagnostik der Hüftfehlbildungen zu sehen. Hier sollte als primäre Standarduntersuchung eine Beckenübersicht, idealerweise im Stand und ohne Gonadenschutz, durchgeführt werden. Zur Beurteilung von Kopf-Hals-Übergangsstörungen, welche häufig isoliert nur im vorderen Gelenkanteil bestehen, ist eine axiale Hüftaufnahme ebenfalls in der Primärdiagnostik empfohlen. Eine Darstellung der Hüfte in 2 Ebenen ist nicht zu empfehlen, da hier die Verkippung des Beckens und die Retrotorsion nicht sicher beurteilt werden kann.

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