Übersichtsarbeiten - OUP 01/2019

Hüftschmerz im Kindesalter

Falk Thielemann, Anne Postler, Lea Franken, Albrecht Hartmann, Klaus-Peter Günther, Jens Goronzy

Zusammenfassung:

Wiederholte Schmerzangaben im Kindesalter sollten immer Anlass einer genauen Betrachtung mit Ausschluss oder Bestätigung einer zugrundeliegenden Erkrankung sein. Zumindest in den jüngeren präpubertären Altersgruppen ist die Aggravation eines Schmerzes zum Gewinn eines Vorteils unwahrscheinlich. Anamnestische Informationen und Angaben zum Fokus der Schmerzlokalisation sind bei Säuglingen und Kleinkindern häufig ungenau, fehlen oder sind erst auf gezielte Nachfragen zu erlangen.

Die septische Koxitis/Osteomyelitis, die Coxitis fugax, der Morbus Perthes, die Hüftdysplasie und die Epiphyseolysis capitis femoris sind die 5 häufigsten Erkrankungen des kindlichen Hüftgelenks mit mehrheitlichem Altersbezug. Das Wissen um den Altersbezug dieser Erkrankungen hat für den erstbehandelnden Arzt große Bedeutung. Es erlaubt ihm, seine begrenzten zeitlichen und diagnostischen Ressourcen initial auf diese alterstypischen und häufig auftretenden Erkrankungen der kindlichen Hüfte zu fokussieren. Bei fortgesetzter, im Rahmen eines Erstkontaktes nicht eindeutig zuordenbarer Beschwerdesymptomatik, müssen auch seltene rheumatologische oder neoplastische Erkrankungen in die differenzialdiagnostische Betrachtung einbezogen werden. Diese können intra- oder extraartikulär aber mit anatomischem Bezug zum Hüftgelenk lokalisiert sein.

Schlüsselwörter:
Hüfte, Schmerz, hinken, Kind

Zitierweise:

Thielemann F, Postler A, Franken L, Hartmann A, Günther KP, Goronzy J:
Hüftschmerz im Kindesalter. OUP 2019; 8: 004–012

DOI 10.3238/oup.2019.0004–0012

Summary: Repeated pain in childhood should always be the subject of a closer look with exclusion or
confirmation of an underlying disease. At least in the younger prepubertal age groups aggravating a pain to gain an advantage is unlikely. Anamnestic information and details on the pain focus are often inaccurate in infants and toddlers, are missing completely or can only be obtained on purposeful inquiries. Septic arthritis or
osteomyelitis, transient synovitis, Perthes disease, hip dysplasia and slipped femoral capital epiphysis are the 5 most common diseases of the pediatric hip joint with relation to specific age groups. The knowledge of the
relation to age of these diseases has great importance. It allows the doctor to focus initially on these age-typical and frequently occurring diseases of the child‘s hip. In the case of continued symptomatology, which cannot be clearly assigned as part of a first contact, rare rheumatological or neoplastic diseases must also be included in the differential diagnosis. These may be located intra-articular or extra-articular but with anatomical relation to the hip joint.

Keywords: hip, pain, limping, children

Citation: Thielemann F, Postler A, Franken L, Hartmann A, Günther KP, Goronzy J: Irritable hip in children and adolescents. OUP 2019; 8: 004–012 DOI 10.3238/oup.2019.0004–0012

Für alle Autoren: UniversitätsCentrum für Orthopädie & Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden

Einleitung

Die Erstvorstellung eines Kindes mit Hüftschmerzen in einer ambulanten Sprechstunde oder chirurgischen Notaufnahme kann für den betreffenden Arzt eine diagnostische Herausforderung darstellen. Die Erhebung einer differenzierten Anamnese zusammen mit der strukturierten klinischen Untersuchung des Säuglings, Kleinkindes oder Jugendlichen stellen die Grundlage für eine erfolgreiche Diagnosestellung dar. Sowohl der Einsatz von Labor- und bildgebender Diagnostik, als auch die therapeutischen Schritte sollten verfügbaren evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung der jeweiligen Erkrankung folgen. Für einige dieser Entitäten ist eine ausschließlich ambulante konservative Behandlung möglich, während andere Krankheitsbilder einer spezialisierten stationären Behandlung bedürfen. Letzteres ist immer dann erforderlich, wenn die Behandlung operative Schritte einschließt oder aufgrund des Erkrankungsverlaufs nicht (mehr) in einem ambulanten Setting, sondern in einem interdisziplinären stationären Umfeld erfolgen muss.

Für die langfristige Prognose des betreffenden Hüftgelenks kommt bei einigen dieser Erkrankungsbilder der zeitnahen Erkennung und adäquaten Therapie eine entscheidende Bedeutung zu.

Anamnese

Anamnestische Informationen von Kindern werden häufig von Eltern oder betreuenden Personen erhoben. Gezielte strukturierte Fragestellungen helfen dem untersuchenden Arzt relevante Informationen zeitnah zu erfassen. Neben Informationen zu Schwangerschafts- und Geburtsverlauf (Frühgeburt, Beckenendlage), Vorerkrankungen und Familienanamnese sind bei Säuglingen und Kleinkindern Meilensteine der motorischen und kognitiven Entwicklung, Durchführung des Hüft-Screenings im Rahmen der gesetzlich verankerten Vorsorgeuntersuchung, Impfstatus, Vitamin-D-Prophylaxe und weitere Eckpunkte zum Umfeld des Kindes zu erfragen. Bei wiederholten Vorstellungen eines Kindes mit Verletzungen oder Frakturen sollte an die Abklärung einer Kindesmisshandlung gedacht werden. Andererseits können wiederholt aufgetretene Frakturen und Deformitäten bei Säugligen und Kleinkindern auch ein Hinweis auf das Vorliegen von System- oder Stoffwechselerkrankungen sein (Osteogenesis imperfecta, Rachitis, Osteochondrodystrophie, Sphingolipidose u.v.m.). Gerade heute sind ethnische und kulturspezifische Besonderheiten bei der Handhabung von Säuglingen und Kleinkindern (Umgang mit behinderten Kindern, Wickeltechnik, Hygiene-Gewohnheiten, Kontakt mit Tieren, Sonnenexposition etc.) bei der Anamneseerhebung einzubeziehen und können bei der Ursachensuche einer Erkrankung zielführend sein.

Etwa mit dem Kindergartenalter erhöht sich die Risikobereitschaft der Kinder in Bezug auf ihre Freizeitgestaltung und sportliche Aktivitäten. Neben belastungsbedingten aseptischen Osteochondronekrosen gelenknaher Epiphysen nimmt die Anzahl an sportassoziierten Weichteiltraumata (extra- und intraartikulär) und gelenknahen Frakturen zu (Cave: gering- oder undisloziert). Im Zusammenhang mit unklaren Hüftschmerzen ist aufgrund dessen die detaillierte Erfragung freizeitsportlicher Gewohnheiten in diesen Altersgruppen sehr sinnvoll.

Hüfterkrankungen mit mehrheitlichem Altersbezug

Die septische Koxitis, die Hüftdysplasie, die Coxitis fugax, der Morbus Perthes und die Epiphyseolysis capitis femoris sind die 5 häufigsten Erkrankungen der Hüfte bei Kindern und Adoleszenten. Man kann sie auch als die „big five“ der kindlichen Hüfterkrankungen bezeichnen. Infolge der anatomischen Nähe der ischiocruralen Muskelgruppe zur Hüfte, mit reflektorischer Tonuserhöhung im Krankheitsfall, ist die fortgeleitete Schmerzangabe in den Oberschenkel oder in das gleichseitige Kniegelenk nicht selten. Der diagnostische Zeigefinger, dass im Kindesalter zu jedem unklaren Knieschmerz eine differenzierte Betrachtung der Hüfte gehört, behält unverändert seine Gültigkeit.

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