Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Imminentes Frakturrisiko
Diagnostik und Therapie bei Patienten mit sehr hohem Risiko für osteoporotische Frakturen

Welche Patientengruppen besonders frakturgefährdet sind, ist auch in den noch geltenden Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Osteoporose annähernd definiert [9]. Insbesondere die vorliegenden, erst kürzlich eingetretenen Frakturen und das zunehmende Alter erhöhen das Frakturrisiko substanziell. Jede Lebensdekade verdoppelt das Frakturrisiko per se, sodass eine inzidente Fragilitätsfraktur in höherem Alter automatisch das Frakturrisiko deutlich erhöht. Hochrisikosituationen bezogen auf eine Zeit von vornehmlich 2 Jahren werden mit der Begrifflichkeit Imminentes Frakturrisiko umfasst.

Fraktur als Haupt-Frakturrisikofaktor des imminent erhöht liegenden Frakturrisikos

Hauptrisikofaktor bei der Beeinflussung des unmittelbaren sog. imminenten Frakturrisikos ist die inzidente Fraktur. Dies gilt für Wirbelkörper, als auch für Non-vertebrale-Frakturen. Dieses imminente Frakturrisiko wird sowohl durch knochenbezogene Faktoren (zugrundeliegende Osteoporose) als auch durch sturzbedingte Faktoren (einschließlich solcher, die mit der Versorgung nach einer Fraktur zusammenhängen) erklärt. Somit ist eine kürzlich erlittene Fraktur ein stärkerer Risikofaktor als eine frühere Fraktur, das Frakturrisiko ändert sich im Laufe der Zeit. Dies belegen folgenden Studiendaten:

Beispiele Studien zu
imminentem Frakturrisiko

In einer niederländischen Studie mit 4140 postmenopausalen Frauen mit bekannter Frakturvorgeschichte traten nach einer ersten Fraktur 23 % aller nachfolgenden Frakturen innerhalb eines Jahres und 54 % innerhalb von 5 Jahren auf. Vom Zeitpunkt der ersten Fraktur an betrug das relative Risiko (RR) für nachfolgende Frakturen 2,1 (95 % CI 1,7–2,6) und blieb über 15 Jahre hinweg erhöht. Das Frakturrisiko wurde für Zeitintervalle berechnet, innerhalb eines Jahres nach einer ersten Fraktur betrug das RR 5,3 (95 % CI 4,0–6,6), innerhalb von 2?5 Jahren 2,8 (95 % CI 2,0?3,6), und innerhalb von 6?10 Jahren 1,4 (95 % CI 1,01,8) [11].

In der Reykjavik-Studie, einer Stichprobe der isländischen Bevölkerung (n = 18.872), wurden alle Frakturen der Teilnehmer ab ihrem Eintritt in die Studie bis zum 31. Dezember 2012 erfasst. Über einen Zeitraum von 10 Jahren traten bei 28 % der 1498 Personen mit einer Index-Hüftfraktur Frakturen auf. Bei anderen Index-Frakturen lag der Anteil zwischen 35 und 38 %. Nach jeder Index-Fraktur war das Risiko einer Folgefraktur in der Zeit unmittelbar nach der Fraktur am höchsten und nahm mit der Zeit deutlich ab. 31?45 % derjenigen, die eine erneute Fraktur erlitten, frakturierten innerhalb eines Jahres nach Indexfraktur. Dies spiegelte sich in den Risikogradienten wider (2,6?5,3, je nach Frakturstelle), die im Laufe von 10 Jahren abnahmen (1,5?2,2) [12].

Auch das schwedische nationale Patientenregister wurde hinsichtlich kumulativer Inzidenzen neuer Frakturen analysiert. In einer Studie mit 35.146 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 73,8 Jahren und einer Indexfraktur im Jahr 2013 betrug die kumulative Inzidenz einer neuen Fraktur innerhalb von 2 Jahren 11 %, wobei der Ort der Fraktur die Inzidenz und die Art der Folgefraktur beeinflusste. Das Risiko einer zweiten Fraktur war bei klinischer Indexfraktur am Wirbel (18 %) und nach Indexfraktur einer Hüftfraktur (14 %) am höchsten, was jedoch die Behandlungsquote nicht beeinflusste [13].

Und analog zu den schwedischen Daten liegen auch Patientenregisterdaten aus Deutschland vor. Von 18.354 männlichen und weiblichen Patienten, Durchschnittsalter 77 Jahre, mit einer Indexfraktur der Hüfte, des Wirbels, des Unterarms oder des Oberarms wiesen 15 % innerhalb eines Jahres nach Indexfraktur eine weitere Fraktur auf, erneut mit dem höchsten Re-Frakturrisiko (18 %) nach Wirbelkörperfraktur [14].

Faktoren, die neben der Fraktur das imminente Frakturrisiko
erhöhen

Das imminent erhöhte Risiko wird aber nicht alleine durch den Frakturstatus bestimmt. Es liegt auch bei Patienten vor, die Kortikosteroide einnehmen. Des Weiteren betrifft es die gebrechlichen, osteoporotischen Patient*innen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) oder mit Medikamenten, die auf das ZNS wirken, und somit das Sturzrisiko erhöhen. Indirekt wirkten zusätzlich auf das Frakturrisiko der allgemeine Gesundheitszustand und bei der Kognition die körperliche Funktionsfähigkeit als Risikofaktor mit. Und das Alter beeinflusste (natürlich) sowohl die körperliche Funktionsfähigkeit als auch den allgemeinen Gesundheitszustand. Die Komplexität von Frakturrisikobestimmung betrifft somit auch das imminente Frakturrisiko [10]. Und auch, wenn dieser Artikel auf die Imminenz des Frakturrisikos und seine Behandlung fokussiert, sei zusätzlich hervorgehoben: Die Klinik der Osteoporose ist durch Frakturen und ihre Folgen geprägt. Osteoporose-assoziierte Frakturen führen nicht nur zu einer Frakturrisikoerhöhung, sondern klinisch zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Die Einschränkungen der Lebensqualität sind hierbei auch imminent, d.h. im ersten Jahr nach der Fraktur am stärksten ausgeprägt, gerade nach hüftgelenksnahen Frakturen. Folgen der Frakturen sind akute und chronische Schmerzen, funktionelle Einschränkungen und speziell bei multiplen Wirbelkörperfrakturen eine Zunahme von Refluxbeschwerden.

Therapie bei imminenten Frakturrisiko

Anhand der gezeigten Daten zum imminenten Frakturrisiko ist erkennbar, dass eine rasche Therapieeinleitung aufgrund des Folgefrakturrisikos für Patienten mit einem imminenten Frakturrisikos (d.h. innerhalb von 2 Jahren), vor allen Dingen nach inzidenter Fraktur, essenziell ist, dass diese Therapie einen schnellen Wirkungseintritt haben sollte, in Kombination mit einer starken Frakturrisikosenkung. Idealerweise sollte dies therapeutisch mit einer Sturzprävention verbunden sein.

Welche Medikamente hierfür primär infrage kommen, wird im Folgenden diskutiert.

Therapieprinzipien
Osteoporosetherapie

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