Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Imminentes Frakturrisiko
Diagnostik und Therapie bei Patienten mit sehr hohem Risiko für osteoporotische Frakturen

Die meisten pharmakologischen Therapieansätze zur Behandlung von Osteoporose sind Medikamente mit hemmender Wirkung auf den Knochenumbau, sog. Antiresorptiva), darunter Bisphosphonate und Denosumab. Durch die Verringerung der Aktivität und/oder Anzahl der knochenresorbierenden Osteoklasten verringern die Antiresorptiva Anzahl und Tiefe der Resorptionslakunen, erhöhen die Knochenmineraldichte (BMD), auch durch Zunahme der sekundären Mineralisierung, alle Effekte zusammen senken das Frakturrisiko. Allerdings wird indirekt durch Antiresorptiva auch die Knochenbildung verringert.

Medikamente mit osteoanaboler Wirkung stimulieren die Knochenneubildung, wodurch beschädigte und unterbrochene Trabekelarchitektur wiederhergestellt werden kann. Zwei osteoanabole Therapien stehen in Deutschland für den klinischen Einsatz zur Verfügung: Teriparatid, das seit 2002 eingesetzt wird und Romosozumab, das seit 2 Jahren verfügbar ist. Zu beiden osteoanabolen Therapieansätzen wurden neben den obligaten Zulassungsstudien, Head-To-Head-Studien zu oralen Bisphosphonaten durchgeführt, die zusammengefasst werden.

Teriparatid-Wirkprinzip

Teriparatid ist ein synthetisches Peptid, das aus den ersten 34 Aminosäuren des intakten menschlichen PTH besteht. Durch die Aktivierung des oberflächengebundenen PTH1-Rezeptors auf Osteoblasten und Osteozyten, induziert PTH die Differenzierung von Stammzellen und „Bone lining cells“ in funktionierende Osteoblasten, steigert die Aktivität von vorhandenen Osteoblasten und verlängert deren Lebensdauer [15]. PTH reduziert auch die Expression von Sklerostin, einem Inhibitor der Knochenbildung. Diese Wirkungen, einzeln und in Kombination, erhöhen die Anzahl und Funktion der Osteoblasten und steigern Knochenbildung und -masse. Durch die Stimulierung der Sekretion des Rezeptoraktivators des Nuklearfaktors kappa-?-Liganden (RANKL), steigert Teriparatid zudem die Aktivität der Osteoklasten und die Knochenresorption.

Romosozumab Wirkprinzip

Romosozumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG2-Antikörper mit hoher Spezifität für humanes Sklerostin, ein aus dem Osteozyten stammendes Glykoprotein, das die Knochenbildung verhindert. Gleichzeitig erhöht Romosozumab die Knochenbildung und vermindert die Expression von RANKL und die Knochenresorption. Die Knochenbildung basiert in erster Linie auf dem Modeling, was die große und schnelle Zunahme der Knochenmasse bewirkt [16]. In Phase-1-Studien wurden divergierende Wirkungen auf biochemische Marker der Knochenbildung (erhöht) bei gleichzeitigem Rückgang der Marker für die Knochenresorption beobachtet. Diese Wirkungen auf den Knochenumbau unterscheiden sich deutlich von der Verringerung der Resorption durch Antiresorptiva und den Anstieg beider Komponenten des Remodeling-Zyklus, die bei Teriparatid beobachtet wurden [17].

Klinische Studien

Bei postmenopausalen Frauen mit nachgewiesener Osteoporose verringert Teriparatid in einer täglichen Dosis von 20 µg/Tag sc die Zahl der Wirbelbrüche und der nicht-vertebralen Frakturen [18]. Bereits in der Zulassungsstudie konnte der große absolute Nutzen von Teriparatid hinsichtlich Senkung des Wirbelkörperfrakturrisikos bei Patienten mit multiplen Wirbelkörperfrakturen gezeigt werden, dies im Vergleich zu Placebo, ein Vorgehen, das heute keinem Ethikvotum aufgrund des Frakturstatus bei Einschluss in die Studie standhalten würde. Das Ergebnis: Bei Patienten mit 2 prävalenten Wirbelfrakturen erlitten 15 von 84 (17,9 %) in der Placebogruppe und 1 von 85 (1,2 %) in der Teriparatidgruppe Wirbelfrakturen, was einer relativen Risikominderung von 93 % (p < 0,001) und einer absoluten Risikominderung von 17 % entspricht.

Die Fracture Prevention Trial aus dem Jahr 2001 zeigte aber auch die Reversibilität der positiven Auswirkungen von Teriparatid auf die Schenkelhals- und Hüft-BMD nach dem Absetzen, die durch die Verabreichung eines Bisphosphonats und von Raloxifen verhindert werden kann. Daten hierzu liegen sowohl für Männer als auch Frauen vor [19?20].

Für Romosozumab wurden in der FRAME-Studie 7180 postmenopausale Frauen im Alter zwischen 55 und 90 Jahren mit Osteoporose eingeschlossen, dies mit einem T-Score von ? –2,5 an der Wirbelsäule, der Hüfte oder dem Oberschenkelhals, was der Definition einer zugrundliegenden Osteoporose und dem Einschlusskriterium entsprach. Die Patientinnen erhielten 12 Monate lang monatlich subkutane Injektionen von Romosozumab (in einer Dosis von 210 mg in 2 Injektionen) oder Placebo; danach erhielten die Patientinnen in jeder Gruppe 12 Monate lang Denosumab in einer Dosis von 60 mg alle 6 Monate subkutan. Nach 12 Monaten wurde unter Romosozumab ein um 73 % geringeres Risiko für Wirbelbrüche (P < 0,001) und ein um 36 % geringeres klinisches Frakturrisiko (P = 0,008) beobachtet [21].

Head-To-Head-Studien: Orale Bisphosphonate-Osteoanabolika

Teriparatid senkt im Vergleich zu einer oralen Bisphosphonattherapie das Frakturrisiko für vertebrale Frakturen und klinische Frakturen stärker. Dies belegt die VERO-Gruppe mit 1360 Patientinnen. Es handelte sich um eine Doppelblindstudie an postmenopausalen Frauen mit mindestens 2 mittelschweren oder 1 schweren Wirbelfraktur und einem BMD-T-Score ? –1,5 bei Studieneintritt bei erlaubter vorheriger antiresorptiver Therapie. Die Randomisierung erfolgte auf 20 µg Teriparatid sc oder 35 mg orales Risedronat einmal wöchentlich über 24 Monate, wobei 680 Patientinnen in jeder Gruppe waren. Der primäre Endpunkt waren neue radiologische Wirbelfrakturen: Nach 24 Monaten traten neue Wirbelfrakturen bei 28 von 680 Patienten (5,4 %) in der Teriparatid-Gruppe und 64 von 680 (12,0 %) Patienten in der Risedronat-Gruppe auf (Risikoverhältnis 0,44, 95 % CI 0,29, 0,68; p < 0?0001). Auch die klinischen Frakturen (ein Kompositum aus nicht-vertebralen und symptomatischen vertebralen Frakturen) wurden reduziert (Hazard Ratio 0,48, 95 % CI 0,32, 0,74; p = 0,0009), wobei kein signifikanter Unterschied bei den nicht-vertebralen Fragilitätsfrakturen beobachtet wurde, dies konnte in später veröffentlichen Metaanalysen und Subgruppenanalysen jedoch gezeigt werden [22, 23, 24].

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