Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Integrationsversorgung für Patienten mit Rückenschmerzen
Daten aus dem IGOST-FPZ-KonzeptEvaluation of a concept developed by IGOST and managed by FPZ

Gabriele Lindena1, Martin Strohmeier2, Raimund Casser3

Zusammenfassung: Von der IGOST (Interdisziplinäre Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie) wurden Leitlinien mit einer körperlichen Untersuchung und einem psychosozialen Risikoscreening zur Steuerung von Patienten mit Rückenschmerzen in Versorgungsebenen mit Hilfe von FPZ (Forschungs- und Präventions-Zentrum) umgesetzt. Von 6431 Patienten wurden 0,2 % mit körperlich bedrohlichen Hinweisen (red flags), 7,8 % mit Warnhinweisen auf Erkrankungen identifiziert. 40,9 % der Patienten hatten problematische Werte im psychosozialen Risikoscreening. 8,7 % der Patienten blieben in Ebene 1, 46,4 % wurden in Ebene 2 weitergeleitet, weitere 7,2 % danach weiter in Ebene 3, 29,6 % kamen von Ebene 1 auf 3. Auf allen Versorgungsebenen ließen sich die Schmerzen klinisch relevant lindern. Patienten mit Rückenschmerzen lassen sich effektiv steuern, wenn Untersuchungs- und Screeninginstrumente sowie die Versorgungsebenen ausgestaltet und verfügbar sind.

Schlüsselwörter: Rückenschmerzen, Versorgungsebenen,
Versorgungssteuerung, Risikofaktoren

Zitierweise
Lindena L, Strohmeier M, Casser R: Integrationsversorgung für
Patienten mit Rückenschmerzen. Daten aus dem IGOST-FPZ-Konzept. OUP 2016; 6: 379–387 DOI 10.3238/oup.2016.0379–0387

Summary: An IGOST- (Orthopedic Pain Management Association) FPZ- (Research and Prevention Centre) project implemented low back pain guidelines using physical exploration and psychosocial risk factor screening for care management pathways.

0.2 % of 6431 patients showed threatening somatic signs (red flags), 7.8 % warning orange flags. 40.9 % of 5905 patients without these somatic signs showed poor prognostic values in psychosocial screening. 8.7 % of the patients stayed in care management level 1, 46.4 % were assigned to level 2, additional 7.2 later on to level 3, 29.6 % were directly transferred from level 1 to 3. In all levels pain was reduced in a clinically relevant manner. Patients with low back pain may be sent in pathways effectively. Tools of physical examination and psychosocial screening should be developed further as well as pathways and levels of treatment intensity and content.

Keywords: Low back pain, care levels, care management, risk factors

Zitierweise
Lindena G, Strohmeier M, Casser R: Integrative care for patients with low back pain. Evaluation of a concept developed by IGOST and managed by FPZ.
OUP 2016; 6: 379–387 DOI 10.3238/oup.2016.0379–0387

Einleitung

Integrierte Versorgungsprojekte haben zum Ziel, die Koordination zwischen den Leistungsträgern zu verbessern und damit die Versorgung der Patienten effektiver und ggf. auch kostengünstiger zu gestalten. Rückenschmerzen stellen ein großes medizinisches und gesundheitsökonomisches Problem dar [1, 2]. Es sind sehr viele Menschen betroffen [3] und es gibt eine Vielzahl an körperlichen und psychosozialen Risikofaktoren für das Auftreten und die Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen [4]. Leitlinien werden nicht umgesetzt: Risikofaktoren müssten frühzeitig erkannt und die Patienten ihrem Bedarf entsprechend versorgt werden [5]. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz NVL legt großen Wert auf die Versorgungskoordination [4].

Das IGOST-FPZ-Konzept wurde von der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST e.V.) 2004 initiiert. Das Forschungs- und Präventionszentrum (FPZ) setzte dieses Konzept seit 2006 in Verträgen nach § 140 SGB V überregional um [6]. Es bezieht 3 Versorgungsebenen ein und orientiert sich am Gesundheitspfad Rückenschmerz der Expertenrunde bei der Bertelsmann Stiftung (GPRS) [7]. Ein frühzeitiges Screening auf psychosoziale Risikofaktoren (yellow flags) und die Untersuchung auf bedrohliche Erkrankungen (red flags) und ggf. weitere Klärung körperlicher Hinweise (in diesem Projekt orange flags genannt) sollte dem Erstversorger in Ebene 1 ermöglichen, die Patienten bedarfsgerecht zu steuern. Patienten ohne „flags“ sollten in Ebene 1 behandelt werden, Patienten mit orange flags zu Fachärzten in Ebene 2 zur weiteren Diagnostik geleitet werden, solche mit yellow flags in Ebene 3, um dort eine interdisziplinäre multimodale Diagnostik und Therapie zu erhalten. Zu einer solchen Vorgehensweise gibt es bisher wenige patientenbezogene Daten. Ein ebenfalls auf alle Versorgungsebenen für Patienten mit Rückenschmerzen ausgelegtes hausarztbasiertes Konzept der AOK Baden-Württemberg hat zwar viele Hausärzte einbezogen, wurde aber nicht patientenbezogen evaluiert.

Das IGOST-FPZ-Konzept war überregional verbreitet und verfügte über eine strukturierte patientenbezogene Datensammlung. Die folgende Arbeit beschreibt die in das Projekt eingeschlossenen Patienten sowie deren Steuerung und betrachtet die Lehren aus dem Projekt.

Methoden

Das Projekt startete 2006, in diese Auswertung wurden Daten von Patienten einbezogen, die bis 31.12.2008 eingeschlossen worden waren.

Patienten und Behandlungspfade

Patienten mit Rückenschmerzen wurden bei den teilnehmenden Ärzten nach ihren Schmerzen befragt, auf psychosoziale Risikofaktoren gescreent (yellow flags) und körperlich untersucht (red und orange flags). Sie wurden entsprechend den Ergebnissen durch die Versorgungsebenen geleitet (s. Abb.1).

  • 1. Patienten ohne „flags“ sollten in Ebene 1 behandelt und erst nach 4 Wochen bzw. 2 Wochen bei Arbeitsunfähigkeit an die 2. Ebene übergeben werden, wenn sich die Rückenschmerzen nicht besserten.
  • 2. Bei Hinweisen auf bedrohliche Ursachen der Rückenschmerzen (red flags) sollten die Patienten unmittelbar einer weiteren klinischen Diagnostik zur Abklärung und Behandlung überantwortet werden.
  • 3. Bei Warnhinweisen auf körperliche, aber nicht bedrohliche Ursachen (orange flags) sollten die Patienten im regionalen Netz in die 2. Versorgungsebene zur weiteren Diagnostik und Behandlung überwiesen werden.
  • 4. Bei moderaten Warnhinweisen auf psychosoziale Risikofaktoren (Gruppe C im HKF R10) sollten die Patienten ebenfalls in Ebene 2 übermittelt werden.
  • 5. In Ebene 2 war eine Aufnahme in ein FPZ-Trainingsprogramm möglich.
  • 6. Bei Warnhinweisen auf psychosoziale Risikofaktoren (yellow flags, Gruppen D und E im HKF R10) sollten die Patienten in der 3. Ebene eine bio-psycho-soziale Diagnostik und Therapie erhalten.
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