Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Integrationsversorgung für Patienten mit Rückenschmerzen
Daten aus dem IGOST-FPZ-KonzeptEvaluation of a concept developed by IGOST and managed by FPZ

Es ist unstrittig, dass Patienten frühzeitig auf Risikofaktoren untersucht und die im psychosozialen Bereich Auffälligen unter ihnen ggf. eine intensivere Therapie erhalten sollen [4]. Da es zu Beginn des Projekts zunächst kein einfach zu handhabendes Screeninginstrument gab, wurde der Patientenfragebogen HKF R10 aus der Kenntnis und Wertigkeit anderer Instrumente [15] entwickelt [8]. Alle Patienten hatten HKF R10-Werte zu Beginn von Ebene 1 und oft auch bei Wechsel in die anderen Ebenen und scheinen das Instrument zu akzeptieren.

Inzwischen wurde der HKF R10 mit der deutschen Version Örebro Musculoskeletal Pain Questionnaire (ÖMSPQ) verglichen und in allen 3 Versorgungsebenen ein höherer Anteil von Patienten mit psychosozialen Risikofaktoren identifiziert [16]. Nach einem Vergleich mit weiteren Instrumenten wurde dem ÖMSPQ in der ersten Versorgungsebene eine zufriedenstellende Konstrukt- und prognostische Validität attestiert [17]. Beide Instrumente sind eher zu lang für die erste Versorgungsebene, tragen aber den vielfältigen Risikofaktoren Rechnung. Ein neues Instrument mit nur 6 Fragen reicht möglicherweise für die Steuerung des ersten Versorgungsschritts bei akuten Rückenschmerzen aus [18].

Der Anteil an Patienten von mehr als 40 % in den Gruppen D und E mit psychosozialen Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen lag höher als die gleichzeitig erhobenen Arztangaben. In dieses Projekt wurden sehr viele Patienten mit einer sehr langen Schmerzdauer eingeschlossen. Von daher erscheint der Anteil der Risikofaktoren nicht zu hoch, wenn man die Patienten der Gruppen D und E betrachtet. Als Screeninginstrument gibt der HKF R10 Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung und erfordert dann eine multimodale Diagnostik, besondere Beachtung bei der Auswahl von Therapieverfahren und im Umgang mit den betreffenden Patienten. In der konkreten Untersuchung und Versorgung werden weitere Gesichtspunkte zur Entscheidung über das Vorgehen ergänzt.

Die Häufigkeit von red flags lag mit deutlich < 1 %, die von orange flags mit < 8 % im Bereich der Erwartungen. Allerdings sind diese red und hier abgegrenzt orange flags für die Erstuntersuchung ebenfalls relevant und bearbeitungsbedürftig [19, 20]. Das Konzept der körperlichen Faktoren müsste im weiteren Verlauf von Rückenschmerzen geprüft werden, u.a. wenn gleichzeitig auch yellow flags vorliegen.

Versorgungskonzept

Nach der körperlichen Untersuchung und dem psychosozialen Screening sollten die Patienten entsprechend den Ergebnissen nach inhaltlichen und zeitlichen Gesichtspunkten durch die Versorgungsebenen geleitet werden. Dabei ist zu beachten, dass Patienten nach individuellen Gesichtspunkten nach Beginn ihrer Rückenschmerzen einen Arzt aufsuchen und diese schon beim ersten Besuch nicht mehr akut sein können.

Nur 8,7 % aller Patienten blieben in Ebene 1, davon etwa die Hälfte mit (trotz) yellow flags. 31,6 % der Patienten mit yellow flags „sprang“ wie vorgesehen von Ebene 1 auf 3. Aber 2900 (49,1 %) Patienten gingen ohne flags oder aus der Zwischengruppe von Ebene 1 auf 2. Die Weiterleitung auf Ebene 2 könnte durch das Angebot des FPZ bei Patienten und Ärzten induziert worden sein, wenn Patienten sich eine solche Trainingstherapie wünschten. Andererseits kann sie länger dauernden Schmerzen und vorangegangenen Therapieversuchen ohne Besserung geschuldet sein.

Das Konzept sah vor, dass sich ein Facharzt bei dem ersten Besuch eines Patienten mit Rückenschmerzen wie in der 1. Ebene verhalten muss. Patienten, die für ihren ersten Besuch einen Orthopäden auswählen, unterscheiden sich von Patienten, die zunächst einen Hausarzt/Allgemeinmediziner aufsuchen, Orthopäden verhalten sich anders als Allgemeinmediziner [21]. Aus den Daten ist nicht unmittelbar zu erkennen, wie stark Orthopäden in der 1. Ebene vertreten waren.

Es wurde nicht erfasst, ob in den teilnehmenden Praxen alle Patienten mit Rückenschmerzen das Aufnahmeverfahren zum IV-Projekt durchliefen, ob ggf. Patienten eine Teilnahme verweigerten.

Bei psychosozialen Risikofaktoren sollten die Patienten in Ebene 3 eine gezielte Behandlung erfahren. Die Ausgestaltung der Ebene 3 ist nach der Datenanalyse unzulänglich. Wenn sich 2. und 3. Ebene kaum unterscheiden, scheint es sowohl an der theoretischen wie praktischen Umsetzung als auch an der Dokumentation von z.B. psychotherapeutischen Aspekten für Patienten mit psychosozialen Risikofaktoren zu fehlen. Es ist daher fraglich, ob die Weiterleitung auf Ebene 3 als solche bewertet werden kann. Generell scheinen in der 3. Ebene Definition und Versorgungsangebote zu fehlen. Inzwischen wurde der Begriff der multimodalen interdisziplinären Schmerztherapie weiter erläutert [22, 23], die Diagnostik [24] und Therapie [25] mit Ziel und Methoden beschrieben.

Alle Versorgungsebenen können mit den Erfahrungen aus diesem Projekt ausgestaltet und u.a. das Dokumentationsinventar weiter entwickelt werden. Z.B. können die für die 3. Ebene bereits vorliegenden Dokumentationsanforderungen und Instrumente aus der Kerndokumentation und Qualitätssicherung KEDOQ-Schmerz [26] genutzt und für die Versorgungsebenen 1 und 2 angepasst werden. Patienten können dann unter Beachtung der aktuellen Qualitätsanforderungen gezielt nach ihren Risikofaktoren in abgestufter Intensität behandelt werden [27–29].

Ziele des Versorgungskonzepts

Die Zielgröße einer guten Versorgung ist zunächst die Linderung der Schmerzintensität auf allen Versorgungsebenen. Dieses Ziel wurde in der jeweiligen Versorgungsgruppe erreicht. Weitere Ziele sind in den Ebenen verschieden, in der ersten Versorgungsebene steht ein Ziel „Arbeitsfähigkeit“ bei insgesamt seltener Arbeitsunfähigkeit nicht im Vordergrund. Sekundärprophylaktische Ziele sind in einem begrenzten Zeitraum von maximal einem Vierteljahr schwer nachzuweisen. Die Patientenzufriedenheit als Ziel wurde nicht gesondert erfasst. Projektbezogene Ziele wie das Screening lassen sich umsetzen. Aber die risikoadaptierte Therapie bei psychosozialen Risikofaktoren in Versorgungsebene 3 muss auch vorgehalten werden.

Schlussfolgerung

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