Originalarbeiten - OUP 12/2012

Interventionelle Verfahren an der Wirbelsäule

B. Böhm1, A. Eckardt2, P. Drees3

Zusammenfassung: Die Therapie der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung orientiert sich am klinischen Beschwerdebild und der vorliegenden Diagnostik. Die Eingrenzung des Schmerzgenerators ist der entscheidende Schritt für die Einleitung einer Therapie. In vielen Fällen sind dabei Interventionen an der Wirbelsäule (Infiltration, Disko-grafie) nötig. Bei reinen Schmerzsyndromen stehen in Abhängigkeit vom Schweregrad der degenerativen Veränderung
minimalivasive perkutane Verfahren an erster Stelle, bevor wirbelsäulenchirurgische Therapieformen angewandt werden.

Im folgenden Artikel beschreiben die Autoren die Techniken der Thermodenervation, Nukleoplastie und intradiskalen elektrothermalen Therapie (IDET). Für alle minimalinvasiven Therapieformen gilt eine strenge, patientenselektionierte
Indikationsstellung, wenn die Verfahren Erfolg haben sollen.

Schlüsselwörter: Degenerative Wirbelsäulenerkrankung,
Thermodenervation, Nukleoplastie, intradiskale elektrothermale Therapie (IDET)

Summary: The treatment in degenerative spine disease orientates itself at the clinical complaint picture and the diagnsotic investigation carried out. The delimitation of the pain generator is the decisive step for the introduction of a therapy. Interventions are necessary at the spinal column (spinal injection, discography) in many cases. At pure pain syndromes minimalivasive percutaneous methods are in first place in dependence of the severity of the degenerative change before spinal surgical operations are used.

In the following article the authors describe the radiofrequency facet joint denervation, nucleoplasty, intradiscal electrothermy (IDET). A strict indication is necessary to all minimal invasive technics if the methods shall succeed.

Key Words: spinal degenerative disease, radiofrequency facet joint denervation, nucleoplasty, intradiscal electrothermy (IDET)

1. Einleitung:

Die Bedeutung der Funktionseinheit Bewegungssegment nach Junghans spielt in der Genese des Rückenschmerz eine zentrale Bedeutung. Grundlage jeder Therapie bei degenerativer Wirbelsäulenerkrankung ist das Erkennen der schmerzauslösenden Pathologie. Dabei kommt der Anamnese eine überragende Bedeutung zu. Die Diagnostik kann den klinischen Verdacht erhärten, in vielen Fällen sind aber „interventionelle Tests“ (wirbelsäulennahre Infiltrationen, Diskographie etc.) notwendig, um eine diagnostische Sicherheit zu erlangen.

Bedeutung der Bandscheibe

Die Wirbelsäule entsteht aus der Chorda dorsalis. Die Chorda bildet den späteren Gallertkern. Die Wirbelsäule durchläuft einen natürlichen Alterungsprozess. Schon mit dem 30. Lebensjahr treten beim Menschen physiologischerweise degenerative Veränderungen der Bandscheibe auf. Der Nukleus pulposus hat einen hohen Proteoglycan- und damit hohen Wassergehalt. Bei der kindlichen Bandscheibe liegt der Wassergehalt bei 90 % und nimmt im Alter auf ca. 70 % ab [29]. Der intradiskale Ruhedruck einer intakten Bandscheibe beträgt ca. 500 kPa, kann aber in Abhängigkeit von der Belastung bis auf 2300 kPa ansteigen [19, 59]. Unter Belastung verliert die Bandscheibe Wasser, der osmotische Druck nimmt umgekehrt proportional der Belastung zu [38]. Krämer bezeichnet dieses Stadium als Stadium 1 der Diskose. Das 2. Stadium beginnt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr [23]. Histologisch wurden Revaskularisationen und Neoinnervationen der Bandscheibe gefunden, die offensichtlich mit chronischen Schmerzsyndromen korrelieren [24, 50].

Im weiteren Verlauf folgen sekundäre knöcherne Reaktionen der angrenzenden Wirbelkörper, wie Osteochondrose und Spondylose. Letztere stellt eine Abstützreaktion der Wirbelsäule auf eine inzwischen stattgefundene Segmentinstabilität dar. Sie dient dem Schutz der inzwischen degenerierten Bandscheibe. Der Flüssigkeitsaustausch wird durch die zunehmende Sklerose gestört. Die Folge ist ein Flüssigkeits- und Druckverlust in der Bandscheibe (Stadium 3). Die Lokalisation der Schmerzursache ist das Kernproblem in der Behandlung degenerativer Wirbelsäulenleiden, insbesondere dann, wenn operative oder minimalinvasive Therapien eingesetzt werden. In jeder dieser Alterungsstufen treten typische Schmerzsyndrome auf, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Betroffenen führen können. Bezüglich der Schmerzausstrahlung muss zwischen radikulären und pseudo-radikulären Schmerzen unterschieden werden.

Diese Einteilung, die ausschließlich die Schmerzausstrahlung berücksichtigt, wird der Pathogenese, welche insbesondere bei chronischen Schmerzpatienten vorliegt, nicht gerecht. Die Aufdeckung der Schmerzursache hat für die Therapie oberste Priorität.

Die neurale Versorgung des äußeren Anulusdrittels ist unstrittig und ganz sicher nimmt das innere Anulusdrittel nicht an der Versorgung teil. Bogduk et al. beschrieben erstmals die lumbale Bandscheibeninnervation [10]. Immunhistochemisch konnten A?- und C- Fasern gefunden werden [60]. Ein Zusammenhang zwischen in die Bandscheibe eingewachsenen nozizeptiven Fasern und dem Auftreten von sowohl Rücken- als auch Beinschmerzen konnte dargestellt werden [24,50]. Als weiterer Mechanismus wirkt ein Funktionsverlust inhibitorischer Systeme im Rückenmark, die physiologischerweise eine nozizeptive Überaktivität verhindern [4]. Abzugrenzen davon ist der entzündlich- neuropatische Nervenwurzelschmerz. Die Patienten weisen klinisch alle Kriterien des mechanisch- neuropatischen Nervenwurzelschmerzes auf, allein es fehlt das morphologische Korrelat. In operativ gewonnenem Bandscheibengewebe konnten erhöhte Spiegel an Interleukin-6 und PE 2 nachgewiesen werden [35].

Aufgrund dieser Überlegungen hat sich für die Lumboischialgie der Begriff des „Mixed-pain“-Konzepts durchge-setzt. Als Generator der z.T. chronifizierten Schmerzen können also eine nozizeptive lokale Schmerzkomponente und mehrere neuropathische Schmerzkomponenten (mechnisch/entzündlich) auftreten [4].

MR-tomografisch wird der Beginn der Bandscheibendegeneration mit Dehydratation und Einrissen des äußeren Anulus sichtbar. Die MRT gibt außerdem wichtige Hinweise für eine schmerzhafte Bandscheibe. Bei symptomatischen Patienten kann in ca. 30 % eine sog. High intensity zone (HIZ) nachgewiesen werden. Die HIZ wird allgemein als Anulusriss bezeichnet, dennoch bleiben Fragen zur Genese offen [2, 9, 15].

In unserer retrospektiven Untersuchung kamen wir zu dem Schluss, dass neben der Erfassung des „Memory pain“ (subjektives Kriterium), sowohl die Schmerzhaftigkeit bei der Punktion des Längsbandes und Anulus selbst, die Konrastmittelmenge (< 1 ml), die Erfassung der Schmerzintensität als auch die Erfassung der kompletten oder inkompletten Anulusruptur wichtige objektive Kriterien zur Identifizierung einer diskogenen Schmerzursache sind. Unter Einbeziehung dieser Kriterien reduzierte sich die Anzahl der positiven Diskografien von 77,1 % auf 54,1 % [11]. Zu diesem Schluss kommen auch Guyer et al., die den „Memory pain“ und nicht die Kontrastmittelverteilung in den Mittelpunkt stellen und eine Sensitivität von 73 % und Spezifität von 89 % finden [49].

Bedeutung des Wirbelgelenks

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