Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Interventionelle Wirbelsäulentherapie ohne Zuhilfenahme bildgebender Verfahren

Die eindeutige Identifizierung der Beckenkämme, der Spina iliaca posterior superior auf beiden Seiten (SIPS) und der Dornfortsätze L3, L4, L5 und S1 sind für alle Injektionstechniken an der Lendenwirbelsäule äußerst relevant.

Als „intercrestal line“, auch bekannt als Tuffier´s line oder Jacoby´s line, bezeichnet man eine horizontale Linie, die beide Darmbeinkämme verbindet. Sie durchquert in der Regel den Dornfortsatz L4 (Abb. 1). Das wird in der Literatur im Rahmen von mehreren klinisch-radiologischen und anatomischen Studien verifiziert [5, 14, 33].

Die Palpation erfolgt durch ein bimanuelles Aufsuchen der Beckenkämme. Anschließend gleiten die Daumen von lateral über die hinteren Darmbeinstacheln nach medial bis zur Spina iliaca posterior superior (SIPS).

Nach der Palpation und korrekter Ermittlung der Beckenkammhöhe und der SIPS erfolgt nun das Aufsuchen der unteren lumbalen Dornfortsätze. Die Dornfortsätze L1 bis L4 sind länglich geformt, dagegen ist der Dornfortsatz L5 kleiner und hat eine eher rundlichere Form. Der Dornfortsatz S1 findet sich in Höhe der SIPS und ist selten tastbar (Abb. 1).

Nach Beendigung des Palpationsvorgangs sollte man die ertasteten Strukturen und deren Begrenzungen auf die Patientinnen-/Patientenhaut aufmalen. Anschließend erfolgt das Aufsuchen der Einstichstelle entsprechend der Vorgaben und Messungen für die jeweils geplante Injektionstechnik. Das Markieren der Einstichstelle erfolgt am einfachsten durch Drehen eines Kugelschreibers mit eingefahrener Mine auf der Haut. Dadurch erhält man eine Markierungsstelle, die auch nach der präinterventionellen Desinfektion noch deutlich sichtbar ist [27].

Landmarkengestützte
Injektionsstechniken

Zervikale
Spinalnervenanalgesie (CSPA)

Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 5 ml Mepivacainhydrochlorid 0,5 %), ggf. gemischt mit Kortikosteroiden (Off-Label-Use) mit einer 6–8 cm langen Kanüle an der Austrittsstelle der zervikalen Spinalnervenwurzel aus dem Foramen intervertebrale. Hauptindikationen sind die am häufigsten in diesem Wirbelsäulenbereich vorkommenden C6 und C7 Wurzelreizsyndrome mit Irritation in den entsprechenden Segmenten C5/C6 und C6/C7 [30, 31].

Technik:

Sitzende Position, Kopfvorneigung ca. 30°–40°

Palpation und Markieren der Dornfortsatzspitzen C5, C6 und C7

Senkrechter Einstich 3–4 cm lateral der Medianlinie auf der halben Distanz zwischen 2 Dornfortsätzen bis zum Rand der Seitenmassen der Halswirbelbögen

Wurzel C6: 3,5–4 cm lateral bei C5/6 (Abb. 2)

Wurzel C7: 3,5–4 cm lateral bei C6/7) (Abb. 3)

Nach Knochenkontakt Stichrichtung nach kraniolateral oberhalb der Knochenbegrenzung, Vorschieben etwa 0,5–1 cm (Abb. 3)

Zervikale Facetteninfiltration (Fac. Zervik.)

Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 5–10 ml Mepivacainhydrochlorid 0,5 %), ggf. gemischt mit Kortikosteroiden mit einer 6–8 cm langen Kanüle an den zervikalen Wirbelgelenkkapseln. Hauptindikationen sind das lokale und pseudoradikuläre Zervikalsyndrom sowie das Zervikozephalsyndrom.

Technik:

Sitzende Position, Kopfvorneigung ca. 20°–30°

Palpation und Markieren der Dornfortsatzspitzen C5, C6 und C7

Senkrechter Einstich 2 cm lateral der Medianlinie auf der halben Distanz zwischen 2 Dornfortsätzen bis zum jeweiligen Facettengelenk (Abb. 4)

Klinische Relevanz der
landmarkengestützten
interventionellen Therapie an der Halswirbelsäule

Im Mittelpunkt der landmarkengestützten interventionellen Therapie an der Halswirbelsäule steht eine Serie von zervikalen Spinalnervanalgesien, ergänzt durch Facetteninfiltrationen. Okzipitalnerv- und Triggerpunktinfiltrationen erweitern, je nach Indikation und Krankheitsausprägung, das Behandlungsprogramm. Beide Techniken stellen eine Alternative zu aufwendigen Dekompressionsoperationen dar [31].

Thorakale Facetteninfiltration (Fac. thorakal.)

Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 5 ml Mepivacainhydrochlorid 0,5 %), ggf. gemischt mit Kortikosteroiden mit einer 6–8 cm langen Kanüle an den thorakalen Wirbelgelenkkapseln. Hauptindikationen sind das lokale- und pseudoradikuläre Thorakalsyndrom [30, 31].

Technik:

Sitzende Position, leicht kyphosierte BWS

Palpation und Markieren der Dornfortsatzspitzen C7, Th1, Th3, Th7 zur topografischen Orientierung und anschließend Aufsuchen der betroffenen Dorfortsätze

Senkrechter Einstich 1 cm lateral der Dornfortsatzoberkante bis zum jeweiligen Facettengelenk (Knochen-Kapselkontakt) (Abb. 5)

Klinische Relevanz der
landmarkengestützten
interventionellen Therapie an der Brustwirbelsäule

Mit der interventionellen Therapie an den thorakalen Bewegungssegmenten können Irritationen von Nozizeptoren in den Facettengelenken, den Kostotransversalgelenken und den thorakalen Spinalnerven behandelt werden. Es besteht jedoch ein hohes Pneumothoraxrisiko. Insgesamt empfiehlt sich eine weitgehende Zurückhaltung bei der Injektionsbehandlung an der Brustwirbelsäule, da lokale und radikuläre Thorakalsyndrome einen gutartigen selbstlimitierenden Verlauf zeigen. Die thorakale Facetteninfiltration ist von allen Injektionstechniken an der Brustwirbelsäule am sichersten [27, 30, 31].

Lumbale
Spinalnervenanalgesie (LSPA)

Posterolaterale Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 10 ml Mepivacainhydrochlorid 0,5 %), ggf. gemischt mit Kortikosteroiden (Off-Label-Use) mit einer 12 cm langen Kanüle an der Austrittsstelle der lumbalen Spinalnervenwurzel aus dem Foramen intervertebrale. Hauptindikationen sind die am häufigsten in diesem Wirbelsäulenbereich vorkommenden L3-, L4-, L5- und S1-Wurzelreizsyndrome mit Irritation in den entsprechenden Segmenten L3/4, L4/5 und L5/S1 [30, 31].

Technik:

Sitzende Position

Palpation und Markieren der Beckenkämme, der SIPS und der Dornfortsätze L3, L4 und L5

Ausgehend von einer Einstichstelle 8 cm lateral der Medianlinie in Höhe der Beckenkämme erfolgt die Einstellung der 12 cm langen Kanüle auf 60° in der Horizontalebene

Abhängig von der Segmentirritation gibt es 3 Stichrichtungen (Einstich bis zum Knochenkontakt/foraminoartikuläre Injektion):

horizontaler Einstich: Wurzel L3 (Region L3/4)

kraniales Anwinkeln um 30°: Wurzel L4 (Region L4/5)

kraniales Anwinkeln um 50°: Wurzel L5 (Region L5/S1) (Abb. 6)

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