Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Kann ein neues Prothesendesign Komplikationen vermindern?
Biomechanische Lösungsansätze der Equinoxe reverse SchulterprotheseBiomechanical approaches of the equinoxe reverse shoulder arthroplasty

Y. Benali1, B.A. Heck1, T. Strohmann1, U. Schenk1, J.-P. Stahl1

Zusammenfassung: Eine insuffiziente Rotatorenmanschette in Verbindung mit proximalen Humerusfrakturen und Defektarthropathien stellen die Schulterendoprothetik vor eine große Herausforderung. Verschiedene
Modelle der inversen Schulterprothese haben erste vielversprechende Ergebnisse geliefert. Doch mit der steigenden Anzahl der Nachuntersuchungen fällt der Fokus auf die
prothesenspezifischen Komplikationen. Die Equinoxe reverse Schulterprothese versucht mit biomechanischen Innovationen einen Lösungsvorschlag zu bieten. Die Langzeitergebnisse bleiben jedoch abzuwarten.

Schlüsselwörter: Inverse Schulter Prothese, Equinoxe, Biomechanik, Komplikation

Abstract: Insufficient rotator cuffs in association with proximal humeral fractures and arthritic rotator cuff deficiencies have posed a great challenge on shoulder arthroplasty.
Different types of reverse total shoulder arthroplasty (RTSA) have shown promising results. With an increasing number of follow-up studies, the RTSA specific complications have been shifted into the spotlight. The Equinoxe reverse shoulder arthroplasty is trying to approach them with biomechanical innovations. Yet long term results are still pending.

Keywords: reverse shoulder arthroplasty, equinoxe, biomechanics, complication

Einleitung

Die Geschichte der modernen Schulterendoprothetik wurde von Charles Neer mit seiner Neer Typ 1 Prothese begründet, dabei handelte es sich um eine einfache Monoblockprothese mit 2 verschiedenen Kalottenhöhen und nur einem Kopfradius. 1973 wurde die Neer Typ II eingeführt, welche weiterhin eine Monoblockprothese gewesen ist, die sich aber durch die verschiedenen Schaftlängen und variablen Durchmesser auszeichnete [20]. Eine weitere Neuerung war auch die Möglichkeit eines Glenoidersatzes.

Die 2. Generation der Schulterprothesen wurde durch die Einführung der modularen Schulterprothesen eingeläutet, welche verschiedene Schäfte und Kalotten miteinander kombinieren konnte und somit der natürlichen Anatomie näher kam [19]. Mit dem zunehmenden Verständnis für die Anatomie des Schultergelenks entwickelte sich die 3. Generation, die erstmals das dorsomediale Offset der Kalotte zum Schaft berücksichtigte. Diese stand mit verschiedenen Inklinationen des Kopfes zum Humerusschaft zur Verfügung. Die 4. Generation der Schulterprothetik wurde um einen weiteren Freiheitsgrad ergänzt. Dieser ließ eine Retrotorsion des Kopfes gegenüber der Kalotte zu [13]. Die 5. Generation trägt aufgrund der Zunahme der Implantationszahlen den damit verbundenen Revisionen Rechnung. Diese 5. Generation lässt eine Konversion von einer HEP zu einer anatomischen TEP bzw. einer inversen Prothese zu, ohne dass der Schaft gewechselt werden muss (s.
Abb. 1).

Die inverse Prothese, 1987 von Grammont entwickelt, stellt die Umkehrung der normalen Anatomie der Schulter dar [11]. So werden bei diesem prothetischen Ersatz des Gelenks der proximale Humerus zur Pfanne und das Glenoid zum Kopf. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass anatomische Schultertotalendoprothesen bei defekten Rotatorenmanschetten, besonders in höherem Lebensalter, die Kranialisierung des Humeruskopfes nicht therapieren konnten. Vielmehr kam es bei implantierten Schulterprothesen nach Frakturen oder Omarthrosen selbst zu einer Kranialiserung bei Rotatorenmanschettendefekten. Diese Kranialisierung induzierte eine Arrosion des Akromions, des Coracoids und auch des Glenoids, welche unweigerlich zu Frakturen und weiterer Funktionslosigkeit führte.

Dieser Sachverhalt erklärt das Design der inversen Schulterprothese, denn sie sollte in erster Linie die Kranialisierung verhindern. Dazu stützt sie sich mit einer nahezu horizontal eingelassenen Pfanne, in den Humerus, am Glenoid bzw. an der Glenosphäre ab. In 2. Instanz konnte durch die Distalisierung des Humerus eine verbesserte Vorspannung des M. deltoideus erreicht werden. Damit wurden der nahezu funktionslosen Schulter die Anteversion und Abduktion ermöglicht und es konnte so eine Teilhabe des Armes erreicht werden. Bei der inversen Schulterprothese, insbesondere den Modellen, welche der Grammont-Prothese nacheifern, ist auch eine Medialisierung des Humerus immanent, welche mit einer Verminderung des offsets einhergeht. Dies verminderte die Vorspannung einer eventuell noch teilweise funktionsfähigen Rotatorenmanschette, wodurch sich die Rotationsfähigkeit der Schulter nach Implantation einer inversen Schulterprothese deutlich verschlechterte [8]. Darüber hinaus führte die Medialisierung zu einem Kontakt der medialen Humeruskomponente zum inferioren Anteil des Glenoids, was bereits nach kurzer Zeit zu dem von Sirveaux beschriebenen scapular notching führt [28].

Indikation und Planung

Die zunehmende Verbesserung der Funktion hat das Indikationsspektrum der inversen Prothese erweitert. So ist neben der ursprünglichen Defektarthropathie auch die Versorgung von nicht rekonstruierbaren Frakturen besonders bei älteren Menschen möglich (> 70 Jahren) [8]. Des Weiteren eignet sie sich besonders in jüngerer Vergangenheit als Revisionsimplantat [17]. Das Equinoxe reverse shoulder System lässt bei fehlgeschlagener hemiprothetischer Versorgung eine Konversion auf eine inverse Prothese unter Belassung der Humeruskomponente zu. Die Indikation muss trotz allem aufgrund der nicht vernachlässigbaren Komplikationen sehr streng gestellt werden, insbesondere da der Wechsel einer inversen Prothese eine herausfordernde Aufgabe ist. Deshalb sollte präoperativ eine ausführliche Anamnese inklusive der Erwartungen des Patienten an das neue Schultergelenk erfolgen. Der Patient muss im Voraus verstehen, was mit der neuen Prothese erreichbar ist, da die Mitarbeit gerade in der postoperativen Phase von großer Bedeutung ist.

Klinisch ist eine ungestörte Funktion des M. deltoideus von äußerster Wichtigkeit, da die Biomechanik der Prothese bei paralytischem Deltamuskel nicht funktionieren kann. Nativradiologisch ist eine Darstellung des Gelenks in einer a.-p. Aufnahme und einer axialen Aufnahme erforderlich. Bei Frakturen des Humeruskopfes kann eine nativradiologische Darstellung der kontralateralen Seite zum Vergleich und zur Prothesenplanung mit den Röntgenschablonen hilfreich sein. Computertomographisch können im Vorfeld ossäre Deformitäten beurteilt werden, die der Prothese, vor allem der Glenoidplatte, keine ausreichende Verankerung bieten würden. Eine MR-Tomographie sollte zur Evaluation der Rotatorenmanschetten erfolgen.

Biomechanik

Biomechanisch zeigt die Equinoxe reverse Schulterprothese in vielerlei Hinsicht innovative Ansätze. Sie weist im Gegensatz zu anderen inversen Schulterprothesen neben einem medialen Rotationszentrum (center of rotation) (s. Abb. 2) ein deutliches höheres Offset auf [24, 25]. Dies führt dazu, dass der Deltamuskel, der sich über das Tuberculum majus umleitet, die Humeruskomponente auf der Glenosphäre zentriert und so eine hohe Stabilität gewährleistet. Als sogenannter „wrapping angle“ wird der Winkel bezeichnet, bis zu dem eine exakte Zentrierung stattfindet. Physiologisch liegt dieser Winkel bei 48° (s. Abb. 3). Bei der Grammont-Prothese konnte ein wrapping angle von 8°, bei der Encore 28° und bei der Equinoxe reverse bis zu 40° gemessen werden [24, 25].

Der M. deltoideus ist der wichtigste Muskel bei der Versorgung mit einer inversen Schulterprothese. Der physiologische Hebelarm (moment arm) zwischen dem Kraftvektor des Deltamuskels (deltoid force) und dem Rotationszentrum beträgt ca. 10 mm. Bei der inversen Schulterprothese kommt es durch die Medialisierung des Rotationszentrums zu einem deutlich vergrößerten Hebelarm. So erreicht die Encore-Prothese eine 2,7-fache Vergrößerung und die Equinoxe reverse eine bis zu 3,5-fache Vergrößerung des physiologischen Hebelarmes [20]. Dies bedeutet, dass für die gleiche Arbeit bei der Equinoxe reverse Prothese weniger Kraft aufgewendet werden muss. Gerade bei älteren Patienten kann dies ein einflussreicher Faktor in der Nachbehandlung und Rehabilitation sein.

Prothesendesign

Die Equinoxe reverse (Abb. 4) steht dem Markt seit 2007 zur Verfügung. Sie zählt zu den Prothesen der 5. Generation. Das heißt, dass die Konversion einer Hemiarthroplastik auf eine inverse Prothese deutlich einfacher ist. Die Glenoidverankerung wird durch eine große gridbestrahlte Glenoidplatte (25 x 34 mm) vermittelt, welche 6 Optionen für eine Kompressionsverschraubung im Glenoid vorsieht. Die Kompressionsverschraubung, in der Regel 4 Schrauben, hat eine Winkelvariabilität von 30°. Die Schrauben werden mit winkelstabilen Kappen verriegelt. Des Weiteren hat die Basisplatte einen Hohlzapfen, der zum einen mit Spongiosa gefüllt werden kann und zum anderen dem Knochen die Möglichkeit des Hineinwachsens gibt. Auf der Basisplatte wird eine Glenosphäre befestigt, die nach inferior überhängt, um somit das scapular notching zu vermindern (Abb. 5). Der Schaft kann zementiert oder zementfrei implantiert werden. Durch verschiedene Humerusinlays, Adapterplatten und Glenosphären besteht die Möglichkeit einer individuellen Anpassung der Prothese.

Operationstechnik

Der Patient wird in einer modifizierten “Beach-Chair”-Position mit Elevation des Kopfteiles um 30° gelagert. Die beiden am häufigsten gewählten Zugangswege sind der delto-pectorale Zugang vom distalen Ansatz des M. deltoideus über den Proc. coracoideus bis inferior der Clavicula sowie der supero-laterale Zugang von der anterioren Kante des Akromions bis nach posterolateral. Darüber hinaus ist der transakromiale Zugang sowie der Zugang über eine Osteotomie der Klavikula möglich. Beim delto-pectoralen Zugang wird der subdeltoidale Bereich mobilisiert und die Faszie der Länge nach bis zum Lig. coracoacromiale gespalten. Der N. axillaris wird identifiziert und geschont. Der Ansatz des M. subscapularis wird 1 cm medial vom Tuberculum minus gelöst und ein inferiores Kapselrelease durchgeführt.

Die Humeruskopfresektion mit der Sägelehre erfolgt am anatomischen Hals mit 20° Retroversion von inferior nach superior. Nun folgt die Eröffnung des Humerusschafts posterior des Sulcus intertubercularis. Schrittweises Aufraspeln des Schaftes mit der Reibahle. Zur Kontrolle der Retrotorsion kann der Retrotorsionshandgriff an den Raspelgriff fixiert und am Unterarm des Patienten ausgerichtet werden. Der Probeschaft wird bis zum richtigen Sitz im Humerus eingeschlagen.

Nun erfolgt die Glenoidpräparation. Zuvor wird der Humerusschaftschutz auf den proximalen Anteil des implantierten Schaftes gesetzt. Jegliche Weichteilreste um das Glenoid werden reseziert. Die Glenoidplattenbohrlehre wird am inferioren Aspekt des Glenoids platziert. Um beim Fräsen des Glenoids eine zentrale Achse zu haben, wird ein 2 mm Führungsloch gebohrt. Das Glenoid wird schrittweise aufgefräst und die Glenoidplattenbohrlehre zum Bohren des Hohlzapfenlochs erneut angelegt. Aus dem resezierten Humeruskopf wird ein Stück autologer Knochen gewonnen und in den Hohlzapfen platziert. Nun wird die Glenoidplatte unter Beachtung der korrekten Rotationsposition eingesetzt. 4 der 6 Bohrlöcher werden für eine optimale Fixierung der Platte ausgewählt. In der Regel sind dies das superiore und die 3 inferioren Löcher. Die Glenosphäre wird nun eingesetzt und anhand der superior-inferioren Achse des Glenoids ausgerichtet.

Die Stabilität des Implantats wird durch die Probereposition beurteilt. Durch das Aufsetzen verschiedener Probekeile lassen sich Offsets zwischen 0 und 12,5 mm ermöglichen. Bei der Probereposition sollte darauf geachtet werden, dass der M. deltoideus bei anliegendem Arm gespannt ist und die Elevation und Abduktion nicht zu einem Impingement führt. Sollte nach der Reposition mehr Spannung benötigt werden, stehen sogenannte “constraint” Keile zur Verfügung. Diese bieten zwar mehr Stabilität, können aber das Bewegungsausmaß einschränken. Wenn die Spannung des M. deltoideus nicht ausreichend ist, kann durch Variation der Probeplatte und des Probekeils ein anderes Offset erreicht werden. Nach Implantation des Schafts in Press-fit-Technik oder durch Einzementieren wird die finale Humerusadapterplatte mit einer Drehmomentschraube am Prothesenschaft fixiert. Nun sollte die Humeruskomponente auf die Glenosphäre reponiert und die Stabilität und das Bewegungsausmaß erneut getestet werden. Ist dies zufriedenstellend, kann mit dem Wundverschluss begonnen werden.

Komplikationen

Rotatorenmanschettendefektarthropathien sowie Mehrfragmentfrakturen des proximalen Humerus mit zusätzlichem Rotatorenmanschettendefekt stellen die Schulterendoprothetik vor eine ganz besondere Herausforderung. Erste Versuche mit hemiendoprothetischer Versorgung führten in vielen Fällen zu mangelhafter Funktion und persistierenden Schmerzen des Schultergelenks [26, 31]. Die inverse Schulterprothese zeigte durch die Medialisierung des Rotationszentrums an der Glenosphäre, einem erhöhten Offset und einer Vorspannung des M. deltoideus erste vielversprechende Ergebnisse [2, 28]. Der M. deltoideus als wichtigster Muskel bei der inversen Prothese war so in der Lage, eine Elevation über 100° zu erreichen [4]. Klinische Nachuntersuchungen mit dem Constant-Score und dem DASH-Score zeigten bis zu 30 % bessere Werte [8, 18]. Die subjektive Patientenzufriedenheit konnte deutlich gesteigert werden [4]

Seit der Veröffentlichung der ersten Nachuntersuchungen der inversen Schulterprothesen in den vergangenen Jahren werden jedoch zunehmend postoperative Komplikationen und verbesserungsbedürftige Langzeitergebnisse deutlich [33]. Noch ist jedoch nicht abschließend geklärt, welche klinische Relevanz von den einzelnen Komplikationen ausgeht.

Die mit Abstand am häufigsten beobachtete Komplikation ist das scapular notching [9, 16]. Damit beschrieb Sirveaux 1997 ein für die inverse Schulterprothese spezifisches nativradiologisches Phänomen, bei dem es zu einem knöchernen Defekt des inferioren Glenoids durch andauernden mechanischen Kontakt zwischen der medialen Humeruskomponente und dem Skapulahals kommt [21]. Dieser Kontakt kommt vor allem bei der Adduktion zustande. 2004 führten Nerot und Sirveaux ein Klassifikationssystem ein, bei dem das notching in der a.-p. Röntgenaufnahme des Schultergelenks in 4 Stadien eingeteilt wird (Abb. 6) [28].

Die Inzidenz wurde in Nachuntersuchungen zwischen 35 % und 68 % angegeben [1, 9], es existiert aber eine Studie, die eine Inzidenz von bis zu 96 % beschreibt [30]. Das scapular notching tritt initial im Durchschnitt nach 4,5 Monaten auf und verläuft bis zu 14 Monate progressiv [27]. Noch wird kontrovers diskutiert, ob das scapular notching für die Lockerung der Glenosphäre verantwortlich sein könnte. Neuere Untersuchungen zeigen, dass weniger der inferiore Anteil des Glenoids, sondern der zentrale Kiel bzw. Hohlzapfen für die Stabilität der Glenoidplatte verantwortlich ist [23]. Sie rückten somit das scapular notching aus dem Fokus der Gründe für eine Glenosphärenlockerung. Diese trat abhängig von dem verwendeten inversen Prothesensystem in 2,5 %–11,7 % der Fälle auf [3, 7].

Eine weitere postoperative Komplikation, deren klinische Relevanz bisher noch nicht nachgewiesen werden konnte, ist das Auftreten von strahlendurchlässigen Linien um das Glenoid im a.-p. Röntgenbild des Schultergelenks, sogenannte “radiolucent lines”. Sie waren in 2,5 %–11,1 % der Fälle zu beobachten [29, 32]. Eine Instabilität der gesamten inversen Schulterprothese ist mit 4,7 % im Vergleich zu den anderen genannten Komplikationen selten [33]. Trat sie auf, musste sie jedoch in 88 % der Fälle [13] operativ mit einem Austausch des Humeruskeils oder zusätzlichem Einsatz eines Metallspacers behandelt werden [30]. Im Falle der Lima inversen Schulterprothese wurde eine Dislokationsrate von 13,6 % beschrieben. Alle diese Dislokationen traten innerhalb der ersten 6 Wochen nach endoprothetischer Versorgung einer proximalen Humerusfraktur auf und beeinflussten das klinische Outcome und die Patientenzufriedenheit signifikant [18]. Andere postoperative Komplikationen wie Hämatome [6] und Infektionen [7] waren ebenfalls zu beobachten, lagen allerdings im vergleichbaren Rahmen mit anderen endoprothetischen Versorgungen [5]. Alle Komplikationen zusammen genommen, lag die Revisions- und die Reoperationsrate der inversen Schulterprothese in einer Metaanalyse von Zumtobel et al. mit 782 inversen Schulerprothesen bei 3,3 % bzw. 10,1 % [33].

Diskussion

Die inverse Schulterprothese ist in den vergangenen Jahren zunehmend zur primären Therapieoption bei der Versorgung von Rotatorenmanschettendefektarthropathien sowie Mehrfragmentfrakturen des proximalen Humerus mit zusätzlichem Rotatorenmanschettendefekt geworden [16]. Sie wird jedoch nach wie vor in der Mehrheit der Fälle als Revisionsprothese bei fehlgeschlagener hemiendoprothetischer und osteosynthetischer Versorgung im hohen Lebensalter verwendet [4]. Gegenüber der Hemiprothese bietet sie mehrere biomechanische Vorteile. So kann sie durch die Medialisierung des Rotationszentrums auf der Glenosphäre und die gleichzeitige Lateralisierung der Humeruskomponente die Vordehnung, den Kraftvektor des M. deltoideus und den Hebelarm im Vergleich zur Physiologie deutlich positiv beeinflussen. Der Deltamuskel kann so die Funktion der Anteversion im Schultergelenk über 100° übernehmen [8, 18]. Die Rotationsfähigkeit lässt sich nur bedingt wiederherstellen [4]. Dies führt im alltäglichen Leben des Patienten weiterhin zu starken Einschränkungen. Der Beweglichkeit gegenüber steht die deutliche Schmerzreduktion der inversen Prothese als Revisionsprothese. Norris et al. konnten zeigen, dass Schulterschmerzen in bis zu 95 % reduziert werden [22].

Mit der steigenden Anzahl von Nachuntersuchungen fällt der Fokus auf prothesenspezifische Komplikationen und die Überlebenszeit der inversen Schulterprothese. Diese betrug in einer 2006 veröffentlichten Studie lediglich 58 % über 10 Jahre [12]. Die am häufigsten beobachtete Komplikation ist das scapular notching. Die Inzidenz wurde zwischen 35 % und 52 % beschrieben [9, 16] mit progressivem Verlauf bis zu 14 Monate postoperativ [27]. Ursprünglich wurde das scapular notching für die Lockerung der Glenoidkomponente verantwortlich gemacht [3, 28] und ihm ein negativer Einfluss auf das Outcome zugesprochen [27]. Levigne et al. konnten allerdings in der bislang größten Nachuntersuchung von 326 Patienten mit 337 inversen Schulterprothesen in nur einem Fall einen Zusammenhang zwischen dem scapular notching und der Lockerung der Glenosphäre herstellen [15]. Zudem konnte gezeigt werden, dass weniger der inferiore Anteil des Glenoids, sondern der zentrale Kiel bzw. Hohlzapfen für die Stabilität der Glenoidplatte verantwortlich ist [23]. Unbestritten ist, dass die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung des scapular notchings der inferiore Überhang der Glenosphäre ist. Im Fall der Equinoxe reverse Prothese wird dies durch eine so weit wie möglich inferiore Platzierung der Glenoidplatte erreicht. Eines der aktuellen Hauptprobleme ist, dass die wenigen Studien, die es bislang zu dieser Problematik gib,t kurze oder mittellange Nachuntersuchungszeiten haben, nicht randomisiert sind und sehr heterogene Patientenpopulationen beinhalten. Zudem vergleichen sie verschiedene Implantate und chirurgische Techniken. Dazu kommt, dass eine Revision der inversen Schulterprothese, vor allem der Glenoidkomponente, zwar durchaus möglich ist, die Rückzugsmöglichkeiten sind jedoch stark limitiert. Diese sind chirurgisch äußerst anspruchsvoll und die postoperativen Komplikationen und Reoperationsraten sind hoch [33]. Die Equinoxe reverse trägt den hohen technischen Ansprüchen an eine inverse Schulterprothese Rechnung und kann mit ihren biomechanischen Innovationen helfen, Komplikationen zu vermindern. Die Langzeitergebnisse bleiben also abzuwarten und die Indikation zur Versorgung mit einer inversen Schulterprothese sollte weiterhin kritisch gestellt werden.

Interessenkonflikt: Dr. U. Schenk und Dr. J.-P. Stahl geben die Übernahme von Reisekosten zum Int. Clinicians‘ Meeting, Mastercourse Shoulder Arthroplasty 2012 an.

Korrespondenzadresse

Dr. med Youssef Benali

Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie

Zentrum für Schwerbrandverletzte

Klinikum Dortmund/ Klinikzentrum Nord

Münsterstraße 240

44145 Dortmund

Youssef.Benali@klinikumdo.de

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Fussnoten

Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, Klinikum Dortmund/Klinikzentrum Nord, Dortmund

DOI 10.3238/oup.2013.0095–00100

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