Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Kann ein neues Prothesendesign Komplikationen vermindern?
Biomechanische Lösungsansätze der Equinoxe reverse SchulterprotheseBiomechanical approaches of the equinoxe reverse shoulder arthroplasty

Biomechanisch zeigt die Equinoxe reverse Schulterprothese in vielerlei Hinsicht innovative Ansätze. Sie weist im Gegensatz zu anderen inversen Schulterprothesen neben einem medialen Rotationszentrum (center of rotation) (s. Abb. 2) ein deutliches höheres Offset auf [24, 25]. Dies führt dazu, dass der Deltamuskel, der sich über das Tuberculum majus umleitet, die Humeruskomponente auf der Glenosphäre zentriert und so eine hohe Stabilität gewährleistet. Als sogenannter „wrapping angle“ wird der Winkel bezeichnet, bis zu dem eine exakte Zentrierung stattfindet. Physiologisch liegt dieser Winkel bei 48° (s. Abb. 3). Bei der Grammont-Prothese konnte ein wrapping angle von 8°, bei der Encore 28° und bei der Equinoxe reverse bis zu 40° gemessen werden [24, 25].

Der M. deltoideus ist der wichtigste Muskel bei der Versorgung mit einer inversen Schulterprothese. Der physiologische Hebelarm (moment arm) zwischen dem Kraftvektor des Deltamuskels (deltoid force) und dem Rotationszentrum beträgt ca. 10 mm. Bei der inversen Schulterprothese kommt es durch die Medialisierung des Rotationszentrums zu einem deutlich vergrößerten Hebelarm. So erreicht die Encore-Prothese eine 2,7-fache Vergrößerung und die Equinoxe reverse eine bis zu 3,5-fache Vergrößerung des physiologischen Hebelarmes [20]. Dies bedeutet, dass für die gleiche Arbeit bei der Equinoxe reverse Prothese weniger Kraft aufgewendet werden muss. Gerade bei älteren Patienten kann dies ein einflussreicher Faktor in der Nachbehandlung und Rehabilitation sein.

Prothesendesign

Die Equinoxe reverse (Abb. 4) steht dem Markt seit 2007 zur Verfügung. Sie zählt zu den Prothesen der 5. Generation. Das heißt, dass die Konversion einer Hemiarthroplastik auf eine inverse Prothese deutlich einfacher ist. Die Glenoidverankerung wird durch eine große gridbestrahlte Glenoidplatte (25 x 34 mm) vermittelt, welche 6 Optionen für eine Kompressionsverschraubung im Glenoid vorsieht. Die Kompressionsverschraubung, in der Regel 4 Schrauben, hat eine Winkelvariabilität von 30°. Die Schrauben werden mit winkelstabilen Kappen verriegelt. Des Weiteren hat die Basisplatte einen Hohlzapfen, der zum einen mit Spongiosa gefüllt werden kann und zum anderen dem Knochen die Möglichkeit des Hineinwachsens gibt. Auf der Basisplatte wird eine Glenosphäre befestigt, die nach inferior überhängt, um somit das scapular notching zu vermindern (Abb. 5). Der Schaft kann zementiert oder zementfrei implantiert werden. Durch verschiedene Humerusinlays, Adapterplatten und Glenosphären besteht die Möglichkeit einer individuellen Anpassung der Prothese.

Operationstechnik

Der Patient wird in einer modifizierten “Beach-Chair”-Position mit Elevation des Kopfteiles um 30° gelagert. Die beiden am häufigsten gewählten Zugangswege sind der delto-pectorale Zugang vom distalen Ansatz des M. deltoideus über den Proc. coracoideus bis inferior der Clavicula sowie der supero-laterale Zugang von der anterioren Kante des Akromions bis nach posterolateral. Darüber hinaus ist der transakromiale Zugang sowie der Zugang über eine Osteotomie der Klavikula möglich. Beim delto-pectoralen Zugang wird der subdeltoidale Bereich mobilisiert und die Faszie der Länge nach bis zum Lig. coracoacromiale gespalten. Der N. axillaris wird identifiziert und geschont. Der Ansatz des M. subscapularis wird 1 cm medial vom Tuberculum minus gelöst und ein inferiores Kapselrelease durchgeführt.

Die Humeruskopfresektion mit der Sägelehre erfolgt am anatomischen Hals mit 20° Retroversion von inferior nach superior. Nun folgt die Eröffnung des Humerusschafts posterior des Sulcus intertubercularis. Schrittweises Aufraspeln des Schaftes mit der Reibahle. Zur Kontrolle der Retrotorsion kann der Retrotorsionshandgriff an den Raspelgriff fixiert und am Unterarm des Patienten ausgerichtet werden. Der Probeschaft wird bis zum richtigen Sitz im Humerus eingeschlagen.

Nun erfolgt die Glenoidpräparation. Zuvor wird der Humerusschaftschutz auf den proximalen Anteil des implantierten Schaftes gesetzt. Jegliche Weichteilreste um das Glenoid werden reseziert. Die Glenoidplattenbohrlehre wird am inferioren Aspekt des Glenoids platziert. Um beim Fräsen des Glenoids eine zentrale Achse zu haben, wird ein 2 mm Führungsloch gebohrt. Das Glenoid wird schrittweise aufgefräst und die Glenoidplattenbohrlehre zum Bohren des Hohlzapfenlochs erneut angelegt. Aus dem resezierten Humeruskopf wird ein Stück autologer Knochen gewonnen und in den Hohlzapfen platziert. Nun wird die Glenoidplatte unter Beachtung der korrekten Rotationsposition eingesetzt. 4 der 6 Bohrlöcher werden für eine optimale Fixierung der Platte ausgewählt. In der Regel sind dies das superiore und die 3 inferioren Löcher. Die Glenosphäre wird nun eingesetzt und anhand der superior-inferioren Achse des Glenoids ausgerichtet.

Die Stabilität des Implantats wird durch die Probereposition beurteilt. Durch das Aufsetzen verschiedener Probekeile lassen sich Offsets zwischen 0 und 12,5 mm ermöglichen. Bei der Probereposition sollte darauf geachtet werden, dass der M. deltoideus bei anliegendem Arm gespannt ist und die Elevation und Abduktion nicht zu einem Impingement führt. Sollte nach der Reposition mehr Spannung benötigt werden, stehen sogenannte “constraint” Keile zur Verfügung. Diese bieten zwar mehr Stabilität, können aber das Bewegungsausmaß einschränken. Wenn die Spannung des M. deltoideus nicht ausreichend ist, kann durch Variation der Probeplatte und des Probekeils ein anderes Offset erreicht werden. Nach Implantation des Schafts in Press-fit-Technik oder durch Einzementieren wird die finale Humerusadapterplatte mit einer Drehmomentschraube am Prothesenschaft fixiert. Nun sollte die Humeruskomponente auf die Glenosphäre reponiert und die Stabilität und das Bewegungsausmaß erneut getestet werden. Ist dies zufriedenstellend, kann mit dem Wundverschluss begonnen werden.

Komplikationen

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