Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Kann ein neues Prothesendesign Komplikationen vermindern?
Biomechanische Lösungsansätze der Equinoxe reverse SchulterprotheseBiomechanical approaches of the equinoxe reverse shoulder arthroplasty

Rotatorenmanschettendefektarthropathien sowie Mehrfragmentfrakturen des proximalen Humerus mit zusätzlichem Rotatorenmanschettendefekt stellen die Schulterendoprothetik vor eine ganz besondere Herausforderung. Erste Versuche mit hemiendoprothetischer Versorgung führten in vielen Fällen zu mangelhafter Funktion und persistierenden Schmerzen des Schultergelenks [26, 31]. Die inverse Schulterprothese zeigte durch die Medialisierung des Rotationszentrums an der Glenosphäre, einem erhöhten Offset und einer Vorspannung des M. deltoideus erste vielversprechende Ergebnisse [2, 28]. Der M. deltoideus als wichtigster Muskel bei der inversen Prothese war so in der Lage, eine Elevation über 100° zu erreichen [4]. Klinische Nachuntersuchungen mit dem Constant-Score und dem DASH-Score zeigten bis zu 30 % bessere Werte [8, 18]. Die subjektive Patientenzufriedenheit konnte deutlich gesteigert werden [4]

Seit der Veröffentlichung der ersten Nachuntersuchungen der inversen Schulterprothesen in den vergangenen Jahren werden jedoch zunehmend postoperative Komplikationen und verbesserungsbedürftige Langzeitergebnisse deutlich [33]. Noch ist jedoch nicht abschließend geklärt, welche klinische Relevanz von den einzelnen Komplikationen ausgeht.

Die mit Abstand am häufigsten beobachtete Komplikation ist das scapular notching [9, 16]. Damit beschrieb Sirveaux 1997 ein für die inverse Schulterprothese spezifisches nativradiologisches Phänomen, bei dem es zu einem knöchernen Defekt des inferioren Glenoids durch andauernden mechanischen Kontakt zwischen der medialen Humeruskomponente und dem Skapulahals kommt [21]. Dieser Kontakt kommt vor allem bei der Adduktion zustande. 2004 führten Nerot und Sirveaux ein Klassifikationssystem ein, bei dem das notching in der a.-p. Röntgenaufnahme des Schultergelenks in 4 Stadien eingeteilt wird (Abb. 6) [28].

Die Inzidenz wurde in Nachuntersuchungen zwischen 35 % und 68 % angegeben [1, 9], es existiert aber eine Studie, die eine Inzidenz von bis zu 96 % beschreibt [30]. Das scapular notching tritt initial im Durchschnitt nach 4,5 Monaten auf und verläuft bis zu 14 Monate progressiv [27]. Noch wird kontrovers diskutiert, ob das scapular notching für die Lockerung der Glenosphäre verantwortlich sein könnte. Neuere Untersuchungen zeigen, dass weniger der inferiore Anteil des Glenoids, sondern der zentrale Kiel bzw. Hohlzapfen für die Stabilität der Glenoidplatte verantwortlich ist [23]. Sie rückten somit das scapular notching aus dem Fokus der Gründe für eine Glenosphärenlockerung. Diese trat abhängig von dem verwendeten inversen Prothesensystem in 2,5 %–11,7 % der Fälle auf [3, 7].

Eine weitere postoperative Komplikation, deren klinische Relevanz bisher noch nicht nachgewiesen werden konnte, ist das Auftreten von strahlendurchlässigen Linien um das Glenoid im a.-p. Röntgenbild des Schultergelenks, sogenannte “radiolucent lines”. Sie waren in 2,5 %–11,1 % der Fälle zu beobachten [29, 32]. Eine Instabilität der gesamten inversen Schulterprothese ist mit 4,7 % im Vergleich zu den anderen genannten Komplikationen selten [33]. Trat sie auf, musste sie jedoch in 88 % der Fälle [13] operativ mit einem Austausch des Humeruskeils oder zusätzlichem Einsatz eines Metallspacers behandelt werden [30]. Im Falle der Lima inversen Schulterprothese wurde eine Dislokationsrate von 13,6 % beschrieben. Alle diese Dislokationen traten innerhalb der ersten 6 Wochen nach endoprothetischer Versorgung einer proximalen Humerusfraktur auf und beeinflussten das klinische Outcome und die Patientenzufriedenheit signifikant [18]. Andere postoperative Komplikationen wie Hämatome [6] und Infektionen [7] waren ebenfalls zu beobachten, lagen allerdings im vergleichbaren Rahmen mit anderen endoprothetischen Versorgungen [5]. Alle Komplikationen zusammen genommen, lag die Revisions- und die Reoperationsrate der inversen Schulterprothese in einer Metaanalyse von Zumtobel et al. mit 782 inversen Schulerprothesen bei 3,3 % bzw. 10,1 % [33].

Diskussion

Die inverse Schulterprothese ist in den vergangenen Jahren zunehmend zur primären Therapieoption bei der Versorgung von Rotatorenmanschettendefektarthropathien sowie Mehrfragmentfrakturen des proximalen Humerus mit zusätzlichem Rotatorenmanschettendefekt geworden [16]. Sie wird jedoch nach wie vor in der Mehrheit der Fälle als Revisionsprothese bei fehlgeschlagener hemiendoprothetischer und osteosynthetischer Versorgung im hohen Lebensalter verwendet [4]. Gegenüber der Hemiprothese bietet sie mehrere biomechanische Vorteile. So kann sie durch die Medialisierung des Rotationszentrums auf der Glenosphäre und die gleichzeitige Lateralisierung der Humeruskomponente die Vordehnung, den Kraftvektor des M. deltoideus und den Hebelarm im Vergleich zur Physiologie deutlich positiv beeinflussen. Der Deltamuskel kann so die Funktion der Anteversion im Schultergelenk über 100° übernehmen [8, 18]. Die Rotationsfähigkeit lässt sich nur bedingt wiederherstellen [4]. Dies führt im alltäglichen Leben des Patienten weiterhin zu starken Einschränkungen. Der Beweglichkeit gegenüber steht die deutliche Schmerzreduktion der inversen Prothese als Revisionsprothese. Norris et al. konnten zeigen, dass Schulterschmerzen in bis zu 95 % reduziert werden [22].

Mit der steigenden Anzahl von Nachuntersuchungen fällt der Fokus auf prothesenspezifische Komplikationen und die Überlebenszeit der inversen Schulterprothese. Diese betrug in einer 2006 veröffentlichten Studie lediglich 58 % über 10 Jahre [12]. Die am häufigsten beobachtete Komplikation ist das scapular notching. Die Inzidenz wurde zwischen 35 % und 52 % beschrieben [9, 16] mit progressivem Verlauf bis zu 14 Monate postoperativ [27]. Ursprünglich wurde das scapular notching für die Lockerung der Glenoidkomponente verantwortlich gemacht [3, 28] und ihm ein negativer Einfluss auf das Outcome zugesprochen [27]. Levigne et al. konnten allerdings in der bislang größten Nachuntersuchung von 326 Patienten mit 337 inversen Schulterprothesen in nur einem Fall einen Zusammenhang zwischen dem scapular notching und der Lockerung der Glenosphäre herstellen [15]. Zudem konnte gezeigt werden, dass weniger der inferiore Anteil des Glenoids, sondern der zentrale Kiel bzw. Hohlzapfen für die Stabilität der Glenoidplatte verantwortlich ist [23]. Unbestritten ist, dass die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung des scapular notchings der inferiore Überhang der Glenosphäre ist. Im Fall der Equinoxe reverse Prothese wird dies durch eine so weit wie möglich inferiore Platzierung der Glenoidplatte erreicht. Eines der aktuellen Hauptprobleme ist, dass die wenigen Studien, die es bislang zu dieser Problematik gib,t kurze oder mittellange Nachuntersuchungszeiten haben, nicht randomisiert sind und sehr heterogene Patientenpopulationen beinhalten. Zudem vergleichen sie verschiedene Implantate und chirurgische Techniken. Dazu kommt, dass eine Revision der inversen Schulterprothese, vor allem der Glenoidkomponente, zwar durchaus möglich ist, die Rückzugsmöglichkeiten sind jedoch stark limitiert. Diese sind chirurgisch äußerst anspruchsvoll und die postoperativen Komplikationen und Reoperationsraten sind hoch [33]. Die Equinoxe reverse trägt den hohen technischen Ansprüchen an eine inverse Schulterprothese Rechnung und kann mit ihren biomechanischen Innovationen helfen, Komplikationen zu vermindern. Die Langzeitergebnisse bleiben also abzuwarten und die Indikation zur Versorgung mit einer inversen Schulterprothese sollte weiterhin kritisch gestellt werden.

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