Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Knochenersatz mit Cerasorb in der orthopädischen Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie
Langzeitbeobachtung über 10 JahreA long-term observation over 10 years

Alfred Gruber1

Zusammenfassung: Im Zeitraum von 1997–2013 wurden 106 Fälle mit den Indikationen Tumor (häufigste Diagnose: Enchondrom), Rheuma und Trauma in eine prospektive monozentrische Studie eingeschlossen. In den meisten Fällen handelte es sich um handchirurgische Eingriffe. Alle Patienten wurden mit dem synthetischen, resorbierbaren Knochenregenerationsmaterial Cerasorb behandelt. Bei 8 Eingriffen kam zusätzlich autologe Spongiosa, in 59 Fällen Plättchenreiches Plasma (PRP) zum Einsatz. Im Langzeitverlauf zeigten sich regelmäßig eine komplette Integration und eine Resorption des keramischen Materials zeitgleich zur Bildung körpereigenen Knochens. Es wurden keine klinischen Auffälligkeiten, Allergien oder potenziell materialbedingte Komplikationen dokumentiert. Soweit beurteilbar, finden sich zwischen den 3 Indikationsgruppen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Resorption von Cerasorb und eine gleichermaßen gute knöcherne Heilung. Der Zusatz von PRP oder autologer Spongiosa zu Cerasorb zeigte keine weitere Verbesserung des Heilungs- und Regenerationsprozesses.

Schlüsselwörter: Handchirurgie, Knochenregeneration, Knochenersatzmaterial, Langzeitstudie, Cerasorb, ?-TCP, Beta-Tricalciumphosphat, Rheumatoide Arthritis (RA), Knochenzyste,
Fraktur, Knochentumor, Umstellungskorrektur-Osteotomie

Zitierweise
Gruber A: Knochenersatz mit Cerasorb in der orthopädischen
Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie. Langzeitbeobachtung über 10 Jahre.
OUP 2017; 3: 164–171 DOI 10.3238/oup.2017.0164–0171

Abstract: Between 1997 and 2013 a total number of 106 cases with the indications tumor (most frequent diagnosis: enchondroma), rheumatism, and trauma were included in a prospective monocentre study design. In most cases hand surgery was performed. All patients were treated with Cerasorb, a synthetic resorbable bone regeneration material. Autologous spongious bone was administered additionally in 8 surgical operations, in 59 cases platelet rich plasma (PRP) was used. In the long term resorption of the ceramic material and simultaneous formation of vital autologous bone took place regularly. There were no clinical irregularities, allergic reactions or potential complications documented due to the material. No major differences between the 3 indication groups regarding resorption of Cerasorb and bone healing could be observed. The additional use of autologous spongious bone or PRP showed no further improvement of the bone healing and regeneration process.

Keywords: hand surgery, bone regeneration, bone substitute, long-term study, Cerasorb, ?-TCP, Beta-Tricalciumphosphate, rheumatoid arthritis (RA), bone cyst, fracture, bone tumor,
osteotomy

Citation
Gruber A: Bone substitute with Cerasorb in orthopedic surgery, traumatology and hand surgery. A long-term observation over 10 years. OUP 2017; 3: 164–171 DOI 10.3238/oup.2017.0164–0171

Einleitung

In vielen chirurgischen Fachgebieten besteht ein Bedarf an Knochenersatz- [KEM] und -aufbaumaterialien [KAM]. Das autologe Knochentransplantat ist dabei von den absoluten Mengen betrachtet in der Orthopädie und Traumatologie noch dominierend. Es wird vornehmlich autologer Knochen aus dem Beckenkamm als Spongiosa-Chip oder als kortikospongiöser Span entnommen. Die allgemein gebräuchliche Bezeichnung „Gold-Standard“ für das autologe Knochentransplantat ist jedoch kritisch zu betrachten und scheinbar vor dem Hintergrund von fehlenden Alternativen entstanden, denn sein Einsatz ist mit zahlreichen Nachteilen verbunden. Hierzu zählen eine Verlängerung der Operationszeit, Schmerzen an der Entnahmestelle und zusätzliche Narben, mögliche Nerven- und Gefäßverletzungen, Wundheilungsstörungen und Infektionen. Zudem ist die Verfügbarkeit von autologen Knochentransplantaten begrenzt [1, 2, 3].

Bei der Verwendung von allogenem Spenderknochen sind potenzielle immunologische und Infektions-Restrisiken nicht sicher auszuschließen. Sie gelten daher als „the surgeon´s second option“ [4]. Allogenes Material ist durch die Möglichkeit der Übertragung von Krankheitserregern und der möglichen Abstoßung durch das Immunsystem mit einem nicht auszulöschenden Restrisiko behaftet [5]. Auch allogene Materialien werden in der Zukunft nicht unbegrenzt verfügbar sein [6].

Xenogenes Knochenersatzmaterial ist überwiegend bovinen Ursprungs und kommt als hochtemperiertes proteinfreies Hydroxylapatit (HA) oder als chemisch behandeltes, mit Restproteinen behaftetes HA zum Einsatz. Beide HA-Typen resorbieren so gut wie nicht und können als pure Defektfüller das Remodeling des Knochens stören. Außerdem besteht bei dem chemisch behandelten Rinderknochen das Risiko der Übertragung von Proteinen [5].

Synthetische Materialien wie ?-Tricalciumphosphat (?-TCP) sind aufgrund ihrer Zusammensetzung und des Herstellungsprozesses frei von der Übertragungsmöglichkeit pathogener Keime. Sie sind unbegrenzt verfügbar. Die bisherigen Humanstudien in der Orthopädie und Unfallchirurgie belegen, dass ?-TCP ohne Komplikationen bei unterschiedlichen Defekten und Defektvolumina erfolgreich eingesetzt werden kann [14, 15, 16, 19, 24] und somit bei bestimmten Indikationen eine echte Alternative zum Knochentransplantat darstellt – wobei für den Erfolg die Beachtung gewisser Aspekte wichtig ist. Dabei ist zu beachten, möglichst den direkten Kontakt von ?-TCP mit Weichteilen zu vermeiden, damit kein Bindegewebe in den Defekt einwachsen und die Knochenneubildung be- oder sogar verhindern könnte [4]. Bei gutem Kontakt mit dem Knochen am Defektrand verbindet sich das ?-TCP Material im Sinne einer Osseointegration [8]. Anschließend erfolgt dann eine kontinuierliche Resorption bei gleichzeitiger Neubildung von autologem Knochen, eine sogenannte „schleichende Substitution“. Zudem sind allergische Reaktionen bei diesem Material bisher unbekannt [9].

?-TCP besitzt keine primäre Osteoinduktivität oder osteogene Potenz. Seine geringe mechanische Belastbarkeit ist eine bekannte materialbedingte Schwäche. Die Fortschritte in der keramischen Technologie lassen für die Zukunft jedoch erwarten, dass die Belastungstoleranz Verbesserungen erfährt. Bestrebungen gehen in die Richtung, die synthetische Calcium-Phosphat-Matrix mit Strukturproteinen z.B. Kollagen zu verbinden [10].

Xenogene Knochenersatzmaterialien – meist aus Rinderknochen – resorbieren nur sehr langsam und zeigen selbst nach über 10 Jahren im Gewebe kaum einen Substanzverlust. Solche um- bzw. eingebauten Materialien verbleiben immer als Fremdkörper im Knochenlager. Sie dienen als persistierender Defektfüller, der jedoch das freie Remodeling des Knochens am Ort der Läsion unterbindet und damit die Anpassung der Knochenstruktur an die biomechanischen Belastungen verhindert [11].

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