Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Knochenersatz mit Cerasorb in der orthopädischen Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie
Langzeitbeobachtung über 10 JahreA long-term observation over 10 years

Alfred Gruber1

Zusammenfassung: Im Zeitraum von 1997–2013 wurden 106 Fälle mit den Indikationen Tumor (häufigste Diagnose: Enchondrom), Rheuma und Trauma in eine prospektive monozentrische Studie eingeschlossen. In den meisten Fällen handelte es sich um handchirurgische Eingriffe. Alle Patienten wurden mit dem synthetischen, resorbierbaren Knochenregenerationsmaterial Cerasorb behandelt. Bei 8 Eingriffen kam zusätzlich autologe Spongiosa, in 59 Fällen Plättchenreiches Plasma (PRP) zum Einsatz. Im Langzeitverlauf zeigten sich regelmäßig eine komplette Integration und eine Resorption des keramischen Materials zeitgleich zur Bildung körpereigenen Knochens. Es wurden keine klinischen Auffälligkeiten, Allergien oder potenziell materialbedingte Komplikationen dokumentiert. Soweit beurteilbar, finden sich zwischen den 3 Indikationsgruppen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Resorption von Cerasorb und eine gleichermaßen gute knöcherne Heilung. Der Zusatz von PRP oder autologer Spongiosa zu Cerasorb zeigte keine weitere Verbesserung des Heilungs- und Regenerationsprozesses.

Schlüsselwörter: Handchirurgie, Knochenregeneration, Knochenersatzmaterial, Langzeitstudie, Cerasorb, ?-TCP, Beta-Tricalciumphosphat, Rheumatoide Arthritis (RA), Knochenzyste,
Fraktur, Knochentumor, Umstellungskorrektur-Osteotomie

Zitierweise
Gruber A: Knochenersatz mit Cerasorb in der orthopädischen
Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie. Langzeitbeobachtung über 10 Jahre.
OUP 2017; 3: 164–171 DOI 10.3238/oup.2017.0164–0171

Abstract: Between 1997 and 2013 a total number of 106 cases with the indications tumor (most frequent diagnosis: enchondroma), rheumatism, and trauma were included in a prospective monocentre study design. In most cases hand surgery was performed. All patients were treated with Cerasorb, a synthetic resorbable bone regeneration material. Autologous spongious bone was administered additionally in 8 surgical operations, in 59 cases platelet rich plasma (PRP) was used. In the long term resorption of the ceramic material and simultaneous formation of vital autologous bone took place regularly. There were no clinical irregularities, allergic reactions or potential complications documented due to the material. No major differences between the 3 indication groups regarding resorption of Cerasorb and bone healing could be observed. The additional use of autologous spongious bone or PRP showed no further improvement of the bone healing and regeneration process.

Keywords: hand surgery, bone regeneration, bone substitute, long-term study, Cerasorb, ?-TCP, Beta-Tricalciumphosphate, rheumatoid arthritis (RA), bone cyst, fracture, bone tumor,
osteotomy

Citation
Gruber A: Bone substitute with Cerasorb in orthopedic surgery, traumatology and hand surgery. A long-term observation over 10 years. OUP 2017; 3: 164–171 DOI 10.3238/oup.2017.0164–0171

Einleitung

In vielen chirurgischen Fachgebieten besteht ein Bedarf an Knochenersatz- [KEM] und -aufbaumaterialien [KAM]. Das autologe Knochentransplantat ist dabei von den absoluten Mengen betrachtet in der Orthopädie und Traumatologie noch dominierend. Es wird vornehmlich autologer Knochen aus dem Beckenkamm als Spongiosa-Chip oder als kortikospongiöser Span entnommen. Die allgemein gebräuchliche Bezeichnung „Gold-Standard“ für das autologe Knochentransplantat ist jedoch kritisch zu betrachten und scheinbar vor dem Hintergrund von fehlenden Alternativen entstanden, denn sein Einsatz ist mit zahlreichen Nachteilen verbunden. Hierzu zählen eine Verlängerung der Operationszeit, Schmerzen an der Entnahmestelle und zusätzliche Narben, mögliche Nerven- und Gefäßverletzungen, Wundheilungsstörungen und Infektionen. Zudem ist die Verfügbarkeit von autologen Knochentransplantaten begrenzt [1, 2, 3].

Bei der Verwendung von allogenem Spenderknochen sind potenzielle immunologische und Infektions-Restrisiken nicht sicher auszuschließen. Sie gelten daher als „the surgeon´s second option“ [4]. Allogenes Material ist durch die Möglichkeit der Übertragung von Krankheitserregern und der möglichen Abstoßung durch das Immunsystem mit einem nicht auszulöschenden Restrisiko behaftet [5]. Auch allogene Materialien werden in der Zukunft nicht unbegrenzt verfügbar sein [6].

Xenogenes Knochenersatzmaterial ist überwiegend bovinen Ursprungs und kommt als hochtemperiertes proteinfreies Hydroxylapatit (HA) oder als chemisch behandeltes, mit Restproteinen behaftetes HA zum Einsatz. Beide HA-Typen resorbieren so gut wie nicht und können als pure Defektfüller das Remodeling des Knochens stören. Außerdem besteht bei dem chemisch behandelten Rinderknochen das Risiko der Übertragung von Proteinen [5].

Synthetische Materialien wie ?-Tricalciumphosphat (?-TCP) sind aufgrund ihrer Zusammensetzung und des Herstellungsprozesses frei von der Übertragungsmöglichkeit pathogener Keime. Sie sind unbegrenzt verfügbar. Die bisherigen Humanstudien in der Orthopädie und Unfallchirurgie belegen, dass ?-TCP ohne Komplikationen bei unterschiedlichen Defekten und Defektvolumina erfolgreich eingesetzt werden kann [14, 15, 16, 19, 24] und somit bei bestimmten Indikationen eine echte Alternative zum Knochentransplantat darstellt – wobei für den Erfolg die Beachtung gewisser Aspekte wichtig ist. Dabei ist zu beachten, möglichst den direkten Kontakt von ?-TCP mit Weichteilen zu vermeiden, damit kein Bindegewebe in den Defekt einwachsen und die Knochenneubildung be- oder sogar verhindern könnte [4]. Bei gutem Kontakt mit dem Knochen am Defektrand verbindet sich das ?-TCP Material im Sinne einer Osseointegration [8]. Anschließend erfolgt dann eine kontinuierliche Resorption bei gleichzeitiger Neubildung von autologem Knochen, eine sogenannte „schleichende Substitution“. Zudem sind allergische Reaktionen bei diesem Material bisher unbekannt [9].

?-TCP besitzt keine primäre Osteoinduktivität oder osteogene Potenz. Seine geringe mechanische Belastbarkeit ist eine bekannte materialbedingte Schwäche. Die Fortschritte in der keramischen Technologie lassen für die Zukunft jedoch erwarten, dass die Belastungstoleranz Verbesserungen erfährt. Bestrebungen gehen in die Richtung, die synthetische Calcium-Phosphat-Matrix mit Strukturproteinen z.B. Kollagen zu verbinden [10].

Xenogene Knochenersatzmaterialien – meist aus Rinderknochen – resorbieren nur sehr langsam und zeigen selbst nach über 10 Jahren im Gewebe kaum einen Substanzverlust. Solche um- bzw. eingebauten Materialien verbleiben immer als Fremdkörper im Knochenlager. Sie dienen als persistierender Defektfüller, der jedoch das freie Remodeling des Knochens am Ort der Läsion unterbindet und damit die Anpassung der Knochenstruktur an die biomechanischen Belastungen verhindert [11].

Da keins der genannten Fremdmaterialien die Anforderungen an ein ideales Knochenregenerationsmittel erfüllt, wurden in den vergangenen Jahren verstärkt Anstrengungen unternommen, synthetische Materialien zu entwickeln, wobei ein besonderes Interesse dem ?-TCP galt [12, 13].

Zahlreiche Untersuchungen aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie der Dentalmedizin belegen, dass ?-TCP erfolgreich zur Regeneration des unbelasteten Knochens eingesetzt werden konnte. Die wissenschaftliche Dokumentation über klinische Studien und Fallberichte ist für das synthetische ?-TCP ad modum Cerasorb (curasan AG) besonders ausführlich [14, 15, 16, 17]. Zwischenzeitlich liegen sogar Langzeitbeobachtungen über 10 Jahre zum Einsatz dieses Materials in der Dentalchirurgie vor [18]. Im Gegensatz zu oralchirurgischen Indikationen erfolgt der Einsatz von ?-TCP in der Orthopädie und Unfallchirurgie dagegen bislang noch eher zögerlich. Die Ergebnisse der Knochenheilung nach Einsatz von ?-TCP bei Defekten im Röhrenknochen sind jedoch ebenfalls viel versprechend. So berichtete bereits 1999 Gruber anhand mehrerer Kasuistiken überzeugende Ergebnisse des Einsatzes von ?-TCP bei Knochentumoren, Arthrodesen und der Defektfüllung von Frakturen [19].

Die vorliegende prospektive Studie zeigt nun den Einsatz von ?-TCP (Cerasorb und Cerasorb M) bei 103 Fällen aus den Indikationsgebieten der orthopädischen Unfallchirurgie, Knochentumorchirurgie und bei entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankungen, bei denen auf eine autologe oder allogene Knochentransplantation verzichtet wurde und der Knochenersatz bzw. Knochenaufbau mit ?-TCP erfolgte.

Patienten/Material und
Methoden

In einer offenen, prospektiven, monozentrischen Studie wurde die klinische Anwendung des synthetischen Knochenregenerationsmaterials Cerasorb bezüglich Anwendbarkeit, Handhabung, Resorptionsverhalten und Sicherheit unter Routinebedingungen untersucht und dokumentiert. Cerasorb (Fa. curasan AG) ist eine rein synthetisch hergestellte Keramik aus ?-Tricalciumphosphat (?-TCP). Das poröse Material steht als Granulat in verschiedenen Korngrößen und mit unterschiedlichen Porositäten zur Verfügung. Für spezielle Anwendungen sind auch Formteile von unterschiedlicher Geometrie sowie ein Kollagen-Keramik-Komposit (Cerasorb Foam) erhältlich.

Die Dokumentation der Fälle sollte nach einem vorgegebenen Protokoll mit klinischen und radiologischen Untersuchungen und Nachuntersuchungen zu definierten Zeitpunkten in vorbereiteten standardisierten Dokumentationsbögen erfolgen. Nach Anamnese und Ausgangsbefund sowie intraoperativem Befund erfolgten die Nachuntersuchungen zu 7 vorgesehenen Kontrollzeitpunkten: 1. Tag post-OP, K 1 = 7 Tage, K 2 = 14 Tage, K 3 = 6 Wochen, K 4 = 6 Monate, K 5 = 12 Monate post-OP und im Rahmen einer Abschlussuntersuchung. Kriterien waren klinischer und radiologischer Befund sowie eine klinische Gesamtbeurteilung mit einer 7-Punkte-Skala von 3+ über 0 bis 3–.

Die Studie fand statt vom 15.10.1997 (Einschluss erster Patient) bis zum 05.03.2013 (letzte Untersuchung, letzter Patient). Dokumentiert wurden die Einschluss-Kriterien erfüllenden Fälle in der Reihenfolge ihres Vorsprechens.

Ergebnisse

Patienten und Behandlung

Insgesamt wurden 106 Eingriffe bei 98 Patienten durchgeführt, wobei es bei 6 Patienten Mehrfachbehandlungen gab. Drei Patienten erhielten zwar kein Cerasorb, wurden aber konsequenterweise als „Kontrollen“ weitergeführt. Die Auswertung erfolgte somit für 103 Eingriffe insgesamt und jeweils als Gruppenauswertung für die 3 Indikationen Tumor (52 Eingriffe), Rheuma (28 Eingriffe) und Trauma (23 Eingriffe). Es wurden 59 Frauen und 44 Männer im Alter von 11,7 bis 74,5 Jahren (MW 43,7 Jahre) behandelt. Für die einzelnen Indikationen ergab sich ein durchschnittliches Patientenalter von 40,3 Jahren für Tumor, 56,6 Jahren für Rheuma und 34,9 Jahren für Trauma. Bei den Diagnosen dominierte das Enchondrom, das 30-mal diagnostiziert wurde. Häufig kamen auch Arthrodesen (16-mal) und Zysten (18-mal) vor (Tab. 1). Es wurden gängige Osteosynthese-Maßnahmen eingesetzt, am häufigsten Platten bzw. Miniplatten und Schrauben (Tab. 2). Die verwendeten Cerasorb Granulatgrößen und Mengen sind Tabelle 3 zu entnehmen. Bei 8 Eingriffen wurde autologe Spongiosa eingesetzt, die mit Cerasorb gemischt wurde. Plättchenreiches Plasma (PRP) wurde zusätzlich bei 59 Fällen verwendet, im Median 0,34 ml.

Postoperativer Verlauf

Das keramische Knochenersatzmaterial Cerasorb wurde reizlos knöchern integriert. In praktisch allen Fällen zeigte sich radiologisch im Langzeitverlauf eine Komplettauflösung des Knochenersatzmaterials bzw. ein kompletter Einbau und eine Resorption zeitgleich zur Bildung körpereigenen Knochens. Es wurden keine klinischen Auffälligkeiten, Allergien oder potenziell materialbedingte Komplikationen dokumentiert.

Die Auswertung des postoperativen Verlaufs als klinische Gesamtbewertung erfolgte zunächst anhand einer 7-Punkte-Skala ausgehend von den vorgesehenen Untersuchungszeitpunkten (Tab. 4). Es zeigte sich, dass die Zeitpunkte für die Nachuntersuchungen nicht immer eingehalten werden konnten. Dadurch ergab sich eine große Varianz mit teilweiser Überschneidung der einzelnen Zeiträume. Beispielsweise hatte die erste Nachuntersuchung eine Spanne von 3–254 Tagen und die zweite Nachuntersuchung von 11–99 Tagen. Somit war eine stichhaltige Analyse des Verlaufs nicht gegeben. Deshalb wurden die einzelnen Nachuntersuchungen anhand des tatsächlichen Untersuchungsdatums neu zugeordnet und ausgewertet (Abb. 1 bis Abb. 4).

In der Auswertung aller Indikationen über den gesamten Verlauf ergab sich, dass die meisten Fälle der Kategorie 3+ zugeordnet werden konnten. Am zweithäufigsten kam die Kategorie 2+ vor und in einem geringeren Umfang Kategorie 1+. Die Fälle der Kategorie 2+ nahmen im Verlauf etwas ab zugunsten der Kategorie 3+. Die Anzahl der Patienten, die nachuntersucht werden konnten, sank bei den längeren Zeiträumen stark ab (Abb. 1).

Indikation Tumor

Bei allen 52 Patienten dieser Gruppe wurde Cerasorb Granulat verwendet, in 39 Fällen wurde PRP zugesetzt, in einem Fall autologe Spongiosa. Es wurden keine postoperativen Komplikationen beobachtet. Das keramische Material war nach einem Jahr in allen Fällen fast vollständig aufgelöst und durch körpereigenen Knochen ersetzt. Es fanden sich keine Fehlstellungen oder Pseudarthrosen, sondern regelgerechte anatomische Knochenstrukturen. Im Verlauf über den gesamten Untersuchungszeitraum zeigte sich, dass die meisten Fälle der Kategorie 3+ zugeordnet werden konnten. Am zweithäufigsten kam die Kategorie 2+ vor, gefolgt von der Kategorie 1+. Das Verhältnis der Zuordnung zu den einzelnen Kategorien blieb über den gesamten Zeitraum in etwa gleich (Abb. 2).

Indikation Rheuma

27 der 28 Patienten mit knöchernen Defekten durch ihre rheumatische Erkrankung wurden unter Verwendung von Cerasorb Granulat operiert, bei einem Eingriff wurde ein Cerasorb-Stab verwendet, von dem bis zum letzten Beobachtungszeitpunkt (Tag 324) radiologisch keramisches Material sichtbar war. In 9 Fällen wurde autologe Spongiosa, in weiteren 8 Fällen PRP zugesetzt. Bei allen Patienten zeigte sich eine gute Knochenheilung. Es wurden keine postoperativen Komplikationen beobachtet. Es bildete sich regelgerechter neuer Knochen ohne Fehlstellungen oder Pseudarthrosen. Das keramische Material war nach einem Jahr in allen Fällen durch neu gebildeten autologen Knochen ersetzt worden, und die vormaligen Defekte waren gut knöchern durchbaut. Im Verlauf über den gesamten Untersuchungszeitraum zeigte sich, dass die meisten Fälle der Kategorie 3+ zugeordnet werden konnten. Am zweithäufigsten kam die Kategorie 2+ vor und nur wenige Fälle gehörten der Kategorie 1+ an. Der Anteil der Kategorie 2+ nahm im Gesamtverlauf etwas ab zugunsten von 3+ (Abb. 3).

Indikation Trauma

Bei 18 der 23 Patienten wurde Cerasorb Granulat verwendet, in 3 Fällen ein Cerasorb-Keil, in 2 weiteren Fällen ein Cerasorb-Stab. Siebenmal wurde PRP zugesetzt. Auch in dieser Indikationsgruppe fanden sich keine postoperativen Komplikationen, und das Granulat war nach einem Jahr in fast allen Fällen komplett resorbiert. Somit war der Defekt gut durch neu gebildeten Knochen regeneriert. Es gab keine Fehlstellungen oder Pseudarthrosen. Im Gesamtverlauf zeigte sich eine Prädominanz von Kategorie 2+ Fällen. Zu einigen Untersuchungszeiträumen gab es allerdings fast genauso viele 3+ Fälle (42 Tage und 211 Tage). Zum Ende des Untersuchungszeitraums fand sich ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen allen 3 Kategorien (Abb. 4).

Es ergaben sich zwischen den 3 Indikationsgruppen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Resorption des keramischen Knochenersatzmaterials und eine gleichermaßen gute knöcherne Heilung. Der Zusatz von PRP bzw. autologer Spongiosa hat den guten Heilungs- und Regenerationsprozess nicht noch weiter verbessert. Bei keinem der behandelten Patienten kam es zu unerwünschten Reaktionen, die auf die Verwendung von Cerasorb zurückzuführen waren. Dies spricht für eine optimale Bioverträglichkeit von ?-TCP Cerasorb in der Handchirurgie.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Cerasorb® zur Knochenregeneration in der Handchirurgie für alle hier untersuchten Indikationen gut geeignet ist und sich komplikationslos verwenden lässt.

Diskussion

Berichte zu Langzeitergebnissen nach Operationen in der Traumatologie und Orthopädie sind ausgesprochen selten. Die hier vorgestellte Studie ist nach Kenntnis des Autors die erste, die von einem 10-Jahres-Beobachtungszeitraum über die Verwendung resorbierbarer keramischer Knochenaufbaumaterialien (KAM) in diesem Bereich berichtet. Aktuell publizierten Harel et al. [18] allerdings ihre Erfahrungen über die Verwendung von ?-TCP Cerasorb bei kieferchirurgischen Eingriffen: In ihrer retrospektiven 10-Jahres-Vergleichsstudie erwies sich die Implantation von Zahnersatzimplantaten in mit Cerasorb augmentierte Extraktionsalveolen ebenbürtig zur Implantation in natürlichen Knochen. Diese Langzeitbeobachtungen sind äußerst wertvoll, geben sie doch Anwendern und Patienten zusätzlich Sicherheit zu Nutzen und langfristiger Verträglichkeit der verwendeten Materialien – und gerade für resorbierbare KAM den Beleg der angestrebten vollständigen knöchernen Regeneration. In den hier behandelten Fällen spielte der Kontakt von ?-TCP mit den umliegenden Weichteilen keine Rolle. Im Gegensatz zur Zahnimplantationschirurgie, wo Bindegewebe in die Extraktionsalveolen einwachsen kann, wurden verstreute ?-TCP-Partikel in den Weichteilen um den Knochen in unseren Fällen ebenfalls aufgelöst. Wir fanden hier keine Kalzifizierungen, Kapselverkalkungen oder Exophytenbildungen.

Das Knochengewebe besitzt mit der vollständigen Ausheilung ohne Narbenbildung eine herausragende Eigenschaft. Deshalb ist als oberstes Ziel der Knochendefektheilung die „restitutio ad integrum“ zu fordern. Voraussetzung für den anzustrebenden Knochenaufbau ist bei Erhaltung der Stabilität die Resorption des Aufbaumaterials simultan zur körpereigenen Knochenneubildung [20].

Die vorliegenden radiologischen Daten belegen eindeutig, dass dies durch das hier eingesetzte synthetische ?-TCP erreicht werden kann. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Scheer et al. (2009), die den Einsatz von ?-TCP bei Korrekturosteotomien des Radius einsetzten. Die Autoren sahen ?-TCP als Alternative zur Verwendung von autologem Knochen aus dem Beckenkamm an [21]. In Übereinstimmung mit den vorliegenden Daten wurde in einer weiteren Studie an Kalkaneus-Frakturen eine vollständige Resorption des eingesetzten ?-TCP bei gleichzeitiger Knochenneubildung innerhalb eines Untersuchungszeitraums von 9 Monaten beobachtet [22]. Jakubietz und Mitarbeiter sahen bei intraartikulären Frakturen des distalen Radius keinen Vorteil von zusätzlicher ?-TCP-Behandlung im Vergleich zur internen Fixierung alleine, berichteten jedoch von einer problemlosen Anwendung und Resorption des Materials [23]. Maus und Mitarbeiter berichten über 30 Patienten, die bei verschiedenen orthopädischen Indikationen mit ?-TCP Cerasorb behandelt wurden. Die Nachbeobachtung erfolgte bis zu 34 Monaten (im Mittel 9 Monate). Die Anwendung des Materials war unproblematisch. Bei keinem Patienten kam es zu lokalen oder systemischen Entzündungszeichen. Alle Defekte wurden knöchern konsolidiert, womit sich der untersuchte synthetische Knochenaufbaustoff als Alternative zur autologen Spongiosa zur Füllung knöcherner Defekte als geeignet erwies [24]. Die Ergebnisse der vorliegenden Erhebung bestätigen somit die Datenlage aus der Literatur, was die Resorption und die unproblematische Anwendung von ?-TCP betrifft. Das Spektrum der Anwendung von ?-TCP wurde hier erweitert auf rheumatologische Fälle und spezifische Fragestellungen aus der Hand- und Fußchirurgie bei einem Beobachtungszeitraum von bis zu 10 Jahren. Dadurch ließ sich nachweisen, dass Cerasorb auch für diese Indikationen bei problemloser Anwendung langfristig die Knochenneubildung fördert. Bei den Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde Cerasorb auch zum Knochenaufbau bei der typischen gelenknahen Osteoporose eingesetzt, z.B. zur Vorbereitung gelenkerhaltender Operationen an der Hand. Auch das Auffüllen des Implantatlagers für den radialen Stamp bei der Implantation einer Handgelenkendoprothese hat sich bewährt. Die Knochenqualität kann damit beim Rheumapatienten deutlich verbessert werden.

Bei der Gesamtauswertung der klinischen Performance wurden in der vorliegenden Studie von 7 möglichen Werten fast immer die besten 2 Noten vergeben. Dies belegt den guten Verlauf der Behandlung mit Cerasorb über den gesamten Untersuchungszeitraum. Auch wenn die hier vorgestellte Studie „offen“, also ohne Kontrollgruppe erfolgte, so kommt der Autor jedoch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung zu dem Schluss, dass dieses keramische Material der Verwendung von autologem Knochen in den untersuchten Indikationen ebenbürtig erscheint.

Autologer Knochen besitzt zwar osteokonduktive und osteoinduktive Eigenschaften. Als Nachteile sind aber die nicht ausreichende Verfügbarkeit, die nicht erreichbare Vorhersehbarkeit des Erfolgs, die Gefahr der Übertragung von Keimen aus der Donorregion in die Empfängerregion und die Morbidität an der Entnahmestelle zu nennen [25, 26, 27, 28]. Die Komplikationsraten sind hoch und die Kenntnis darüber sollte zum Wohl des Patienten dazu führen, nach Möglichkeit synthetische Knochenaufbaumaterialien einzusetzen. Der zeitliche und finanzielle Aufwand bei der autologen Knochenentnahme sollte objektiv ermittelt und in Relation zu den Kosten der synthetischen Knochenaufbaumaterialien gesetzt werden.

Ein Hauptaspekt der vorliegenden Erhebung lag auf der chirurgischen Wiederherstellung der Hand, einem wichtigen Körperteil für die Mobilität und Unabhängigkeit der betroffenen Patienten. Daher ist es gerade in der Handchirurgie notwendig, alle Möglichkeiten zu nutzen, um dem Anspruch des Patienten auf ein bestmögliches Ergebnis gerecht zu werden. Dies ist offensichtlich durch die Füllung von knöchernen Defekten mit geeigneten Knochenersatzmaterialien eher möglich. Finanzielle Überlegungen – wie z.B. das Nichtfüllen von Defekten aus Kostengründen – sollten aufgrund der eminenten Bedeutung der Hand für den Patienten in den Hintergrund treten.

30 Patienten der hier berichteten Studie hatten ein Enchondrom in den Diaphysen der Phalangen. Während die in den Metaphysen der langen Röhrenknochen zu findenden Enchondrome häufig keinerlei Symptome verursachen, können die Enchondrome in den Phalangen zu Schmerzen führen, pathologische Frakturen sind möglich. Dies traf hier für 4 Fälle zu. Auch wenn Enchondrome definitionsgemäß benigne Knochentumoren sind, wird in den meisten Fällen im Handbereich – insbesondere wenn Schmerzen oder manuelle Einschränkungen bestehen – zur Kürettage mit folgender Auffüllung durch Spongiosa oder geeignete KAM geraten. Auch hierbei gilt es, durch eine rechtzeitige stabilisierende Maßnahme die Funktionalität der Hand zu erhalten. Durch das Einbringen des KAM in die Defekthöhle erfolgt eine Stabilisierung und die knöcherne Regeneration kann durch die Osteokonduktivität des keramischen Materials zügig erfolgen, so dass potenzielle pathologische Frakturen rechtzeitig vermieden werden können. Durch die vorliegende Studie konnte gezeigt werden, dass durch die Verwendung von Cerasorb ?-TCP solche Defekte erfolgreich stabilisiert werden. Bereits 2005 setzten Ogose und Mitarbeiter erfolgreich ?-TCP bei Kürettage bzw. Exzision von Tumoren in Femur, Humerus, Tibia und anderen Stellen ein [29]. Eine weitere, neuere Studie bewies ebenfalls, dass resorbierbares ?-TCP gut für das Füllen von Defekten nach der Entfernung von benignen und mäßig malignen Knochentumoren geeignet ist [30]. Die hier vorliegenden Daten zur Verwendung von ?-TCP bei der Entfernung von Knochentumoren sind somit im Einklang mit wissenschaftlichen Literaturdaten.

Die Indikationen für die Verwendung Plättchenreichen Plasmas (PRP) in der Human- und Zahnmedizin sind vielfältig: schlecht heilende Wunden, Sehnenentzündungen, Frakturbehandlung, verlangsamte Knochenregeneration, Arthropathien usw. Vor allem in der Mund- und Gesichtschirurgie wird PRP häufig eingesetzt. Indikationsgebiete sind aber in zunehmendem Maße auch Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, wo PRP vor allem zur Prophylaxe von Wundheilungsstörungen eingesetzt wird. Auch in der vorliegenden Studie wurde in 59 von 103 Fällen PRP unter der Vorstellung einer Förderung der Knochenregeneration und einer Verbesserung der Wundheilung appliziert. Auch wenn für den Einzelfall kein direkter Beleg eines zusätzlichen Effekts erbracht werden konnte, so scheinen doch die unauffälligen Verläufe sowohl der Weichteilwunden als auch der radiologisch dokumentierten Knochenregeneration für eine unterstützende Wirkung zu sprechen.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend belegt die vorliegende Studie anhand von über 100 Fällen mit einem Beobachtungszeitraum von bis zu 10 Jahren, dass Cerasorb als zuverlässiges Knochenaufbaumaterial in der Hand- und Fußchirurgie ohne Auftreten von Nebenwirkungen regelmäßig zur kompletten knöchernen Regeneration führt und somit erfolgreich verwendet werden kann.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Alfred Gruber

FA für Plastische und Ästhetische
Chirurgie

RTZ Nürnberg

Schweinauer Hauptstraße 12

90441 Nürnberg

Alfred.Gruber@rtz-nuernberg.de

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Fussnoten

1 RTZ Nürnberg

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