Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019

Konservative Therapie der symptomatischen Gonarthrose in Zeiten der Unterfinanzierung

Jan-Dirk Rompe

Zusammenfassung:

Unter einer Gonarthrose sind degenerative Erkrankungen des Kniegelenks zu verstehen, die durch eine progressive Zerstörung des Gelenkknorpels unter Mitbeteiligung der Gelenkstrukturen wie Bänder, Knochen, synovialer und fibröser Gelenkkapsel sowie periartikulärer Muskulatur gekennzeichnet sind. Nur ein Teil der Patienten mit radiologischen Veränderungen hat Funktionsstörungen oder Schmerzen; und für einen noch viel kleineren Teil stellt sich die Indikation für eine Knieendoprothese. Der Artikel stellt die Möglichkeiten der seit Jahren chronisch unterfinanzierten ambulanten konservativen Therapie zur Diskussion mit dem Tenor „möglichst wenig Aufwand – möglichst billig – möglichst schnell“.

Um die im europäischen Vergleich in Deutschland statistisch auffällig häufig gestellte Indikation zur Knieendoprothese zurückzufahren, wäre jedoch eine zeitaufwendige, auf die Bedürfnisse des Patienten eingehende Versorgung notwendig, mit erheblich verbesserter Vergütung der konservativ-orthopädischen Diagnosestellung und Therapie, mit umfassenden nicht budgetierten Angeboten zu Physiotherapie, manueller Therapie, Orthesenversorgung, psychologischer Betreuung und diätetischer Anleitung – illusorisch angesichts einer vom BVOU als unverändert marginal verbesserbar eingeschätzten Ertragssituation im Kollektivvertrag des EBM.

Schlüsselwörter:

Gonarthrose; konservative Therapie; Knieendoprothese; Unterfinanzierung

Zitierweise:

Rompe JD: Konservative Therapie der symptomatischen Gonarthrose in Zeiten der Unterfinanzierung. OUP 2019; 8: 132–138

DOI 10.3238/oup.2019.0132–0138

Osteoarthritis of the knee is a chronic disease and as this, its management should be patient-centered and -coordinated, with attention to modifiable risk factors and comorbidities. Focus should be on conservative non-drug treatment, particularly exercise. For overweight or obese patients weight loss is recommended. Of course, management should be evidence-based. Interventions with high cost and risk that outweigh their benefits are to be avoided. The use of paracetamol or non-steroidal anti-inflammatory drugs for pain relief is recommended, with due attention to precautions and contraindications. Patients should be referred to a physiotherapist for exercise, manual therapy and gait aids; to a producer of orthoses for bracing; to a psychologist for cognitive behavioural therapy; and to a dietitian for nutritional advice.
Arthroscopy for pain management is not evidence-based. Patients are to be referred for joint replacement only when symptoms are severe and other treatments have failed over a relevant period of time. Due to chronic underfunding of conservative therapy, this is nothing more than wishful thinking. Conservative measures are neglected, and rates of total knee arthroplasty continue to rise.

Keywords: osteoarthritis of the knee; total knee arthroplasty; conservative management; underfunding

Citation: Rompe DJ: Conservative management for symptomatic osteoarthritis of the knee: neglected and underfunded. OUP 2019; 8: 132–138 DOI 10.3238/oup.2019.0132–0138

Jan-Dirk Rompe: Orthomedicum Alzey

Warum überhaupt noch konservative Therapie?

Die Behandlung der fortgeschrittenen symptomatischen Gonarthrose, definiert als degenerative Erkrankung des Kniegelenks (femoro-tibial und femoropatellar) mit progressiver Zerstörung des Gelenkknorpels unter Mitbeteiligung der Gelenkstrukturen wie Bänder, Knochen, synovialer und fibröser Gelenkkapsel sowie der periartikulären Muskulatur, ist mit der Verbreitung der modernen Knieendoprothetik in Kombination mit der attraktiven DRG-Fallpauschalen-Abrechnung aus dem Gleichgewicht geraten [33].

So publiziert die Bertelsmann-Stiftung 2018 [20]: „Nach langer Zeit stabiler und zuletzt rückläufiger Implantationszahlen ist die Anzahl der Knieprothesen-Eingriffe bundesweit seit 2013 wieder um 18,5 Prozent gestiegen. Auf Landkreisebene heruntergebrochen unterscheiden sich die Eingriffszahlen pro 100.000 Einwohner bis zum Dreifachen. Dazu kommt ein weiterer bedenklicher Trend: Die Anzahl der jüngeren Patienten unter 60 Jahre, die sich eine Knieprothese einsetzen lassen, nimmt in Deutschland kontinuierlich zu: Es waren 2016 rund 31 Prozent mehr als noch 2009. Diese Entwicklung ist problematisch für die Patienten.“

Auf die Schieflage hatten Wengler et al. bereits 2014 im Deutschen Ärzteblatt hingewiesen [3]: Die Anzahl der Knieendoprothesen-Erstimplantationen sei in Deutschland insgesamt um 22 % (+ 27.000 Fälle) angestiegen. Bei der Interpretation dieses Anstiegs überwiege der nicht demografisch bedingte Anteil. So finde man zwar auch für Deutschland Hinweise auf eine zunehmende Arthroseprävalenz. Jedoch mache ein verändertes Angebotsverhalten der Leistungserbringer, beispielsweise in Folge der DRG-Einführung, einen weiten Teil der nicht demografischen Veränderungen aus.

Dies wird von der OECD bestätigt [24]: „Regarding surgical procedures, Germany has the second highest rate of knee replacements. The number of knee replacement surgeries are 60 % above the OECD average.“

Und das, wo doch überhaupt nur 20–30 % der Patienten mit sogenannter end-stage osteoarthritis eine Knie-TEP in Betracht ziehen [5].

DGOU, AE, DKG und BVOU [36] reagierten auf die Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018 und wiesen auf ihre seit Jahren verstärkten Maßnahmen im Bereich der Kniegelenkserkrankungen hin – sowohl für die qualitätsgesicherte chirurgische Versorgung als auch für gelenkerhaltende Behandlungsmaßnahmen. Perka und Günther lenkten den Blick auf den Faktor, der aus ihrer Sicht für die Mengenentwicklung von Knieendoprothesen eine zentrale Rolle spielt. Nach wie vor sei die Zahl der Einrichtungen, in denen der Kniegelenkersatz angeboten wird, zu groß. Daher müsse die jetzt beobachtete Mengensteigerung als starker Weckruf an die Gesundheitspolitik verstanden werden.

Dies verdeutlicht exemplarisch den wirtschaftlichen Überlebenskampf selbst großer Endoprothesenzentren, die danach streben (müssen), als Konkurrenz angesehene kleinere Abteilungen – denen einerseits eine schlechtere Versorgungsqualität und andererseits die Hauptverantwortung für die Mengensteigerung unterstellt wird – vom Gesundheitsmarkt zu verdrängen. Da dies ökonomisch bisher nicht gelungen ist, sollen jetzt Fachpolitiker für die Marktbereinigung als Allheilmittel sorgen.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6