Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019

Konservative Therapie der symptomatischen Gonarthrose in Zeiten der Unterfinanzierung

Dabei ist aus meiner Sicht der richtige Lösungsansatz zur Reduzierung der Knieendoprothesenrate in Deutschland ein anderer.

Zugespitzt zusammengefasst hat ihn von Hirschhausen 2017 [21] in einem Interview für die Neue Osnabrücker Zeitung über die „perversen Zustände in deutschen Kliniken“: „Wenn jemand krank ist und nicht operiert wird, verdient auch niemand was an ihm. Das ist der Grundirrtum. Der goldenen Satz der Medizin ist die Kunst, nicht soviel zu tun, wie es geht. Gutes tun ohne Operation muss sich wieder lohnen.“

Oder, wie es der Spiegel 47/18 thematisiert [6]: Orthopäden, die konservativ behandeln, sollten nicht länger Mediziner 2. Klasse sein – weder vom Renommée her noch von der Vergütung.

Davon sind wir meilenweit entfernt. So schätzt Fasco [12] vom BVOU die Ertragssituation im Kollektivvertrag des EBM als nur marginal verbesserbar ein. Es bleibe bei dem kalkulatorischen Arztlohn von 86 Cent pro Minute.

Wann konservative Therapie?

Bei der fortgesetzten chronischen Unterfinanzierung der ambulanten nicht operativen Orthopädie in Deutschland ist die Indikation zur konservativen Therapie weitgehend zur Ausschlussindikation für eine Knieendoprothese degeneriert.

Nach der Leitlinie „Indikation Knieendoprothese“ [25] sollte ein Versagen konservativer Therapiemaßnahmen, zusätzlich zu einer mittels Röntgen eindeutig nachgewiesenen Gelenkspaltverschmälerung, über mindestens 3–6 Monate dokumentiert sein.

Bedeutet im Umkehrschluss: Mehr als 3–6 Monate muss bei radiologisch gesicherter symptomatischer Gonarthrose nicht in konservative Bemühungen investiert werden. Bei dann anhaltender Beschwerdesymptomatik kann die Indikation zur Knieendoprothetik Leitlinien-gerecht gestellt werden.

Wie viel konservative
Therapie?

Die bittere Wahrheit ist, so nachzulesen im meinen Patienten wärmstens ans Herz gelegten Ratgeber „Meine Rechte als Patient“ von Rechtsanwalt Baczko [2], „dass seit Jahren Politiker aller Parteien den falschen Eindruck vermitteln, der sozialversicherte Patient hätte Anspruch auf die bestmögliche also optimale Behandlung. Es wird völlig verschwiegen, dass die GKV ihren Mitgliedern ambulant nur eine minimale Versorgung zugesteht. Leistungen der GKV müssen vom Gesetz aus ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Es ist also gesetzlich geregelt, dass der GKV-Patient ein Patient 2. Klasse ist.“

Für mich als „Kassen”-Arzt in Rheinland-Pfalz bedeutet diese Vorgaben der GKV: 48 Euro Umsatz lassen sich maximal für die Behandlung eines Patienten in 3 Monaten generieren. Davon bleibt mir laut KBV (Abb. 1) ein Nettoeinkommen von 25 %, entsprechend 12 Euro für 3 Arzt-Patienten-Kontakte, also rund 4 Euro pro Arzt-Patienten-Kontakt.

15 Euro pro Quartal stehen im Durchschnitt pro Fall für die Medikamentenverordnung zur Verfügung. Und 30 Euro pro Quartal im Durchschnitt pro Fall für die Verordnung von Physiotherapie – was in etwa einer einzigen KG-Anwendung in 3 Monaten entspricht.

Mein Ziel ist als Kassenarzt also, mit möglichst wenig Aufwand zu behandeln, möglichst billig, möglichst schnell; und nicht ein möglichst gutes, lang andauerndes Behandlungsresultat zu erzielen, das eine Knie-TEP überflüssig macht.

Dass Letzteres offenkundig so nicht gelingt, bestätigen die o.g. Zahlen der aktuellen Bertelsmann-Studie.

Welche konservative
Therapie?

Motivationale Beratung

Patienten sollten Leitlinien-gerecht [33] über die Erkrankung, Vorbeugung der Krankheitsprogression, Verbesserung der Lebensqualität und Mobilität aufgeklärt (motivationale Beratung) und erhalten hierzu den Rat, sich bei ihrer Krankenkasse weiter zu informieren. Solche Patienteninformationen sollen Patienten in die Lage versetzen, das Krankheitsbild Arthrose bzw. die Symptome zu verstehen und einzuordnen: Sie sollen über Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen informieren, aber auch vor nutzlosen, überflüssigen und schädlichen Maßnahmen warnen.

Meine persönliche Meinung: Bei der Unterfinanzierung der ambulanten Tätigkeit sehe ich mich entgegen den Empfehlungen der aktuellen Leitlinie „Gonarthrose“ [33] nicht in der Lage, Selbstmanagement, Eigenverantwortung und Copingstrategien des Patienten zur Bewältigung bio-psycho-sozialer (Stress-)Faktoren zu fördern und zu unterstützen, Ängste und Vermeidungsverhalten abzubauen und Behandlungserwartungen gemeinsam zu besprechen z.B. auch zur Vorsorge und Vermeidung weiterer Schäden/Fehlbelastungen.

Gewichtsreduktion

Zunächst spreche ich bei den allermeisten Patienten ein im wahrsten Sinne des Wortes gewichtiges Problem an. Der Durchschnitt meiner Gonarthrosepatienten ist zwischen 1,55 und 1,65 m groß und wiegt zwischen 85 und 110 kg. Das entspricht einem BMI von 35 und mehr. Ich mahne die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion an, denn bereits 5–10 kg weniger führen zu Beschwerdeminderung am Arthroseknie, und zwar unabhängig vom Ausmaß des Arthroseschadens, so Gudbergsen 2012 [16].

Diehl et al. [10] weisen zusätzlich darauf hin, dass bei einem BMI von 35 die Wahrscheinlichkeit für eine Knie-TEP 18 x höher ist als in einer normalgewichtigen Population. Und jedes Kilo Körpergewicht bedeute biomechanisch eine Mehrbelastung des Knies von etwa 3 kg.

Meine persönliche Meinung: Der Rat zur Gewichtsabnahme belastet nicht mein Budget und der Nutzen ist evidenzbasiert. Wirkungsvoll war in meiner täglichen Praxis das konsequente Durchsetzen einer Gewichtsobergrenze (Ausnahmen bestätigen die Regel) für Patienten, die von mir eine Knieprothese implantiert haben möchten: 80 kg für Frauen, 100 kg für Männer.

Nahrungsergänzungsmittel

Immer wieder fragen Patienten nach Nahrungsergänzungsmitteln. Bereits im Deutschen Ärzteblatt 2008 [23] wurde z.B. die Wirkung der oralen Chondroitinzuführung verneint. Diehl et al. formulieren es diplomatischer, dass eine geringe Schmerzreduktion bei geringem Arthrosegrad möglich sei. Zumindest seien keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt.

In der aktuellen Leitlinie „Gonarthrose“ [33] heißt es dazu: Die publizierten Studien und Metaanalysen zur symptomlindernden (analgetischen, funktionsverbessernden) Wirkung von Chondroitinsulfat zeigen eine widersprüchliche Datenlage. Derzeit gibt es keinen sicheren Beleg für eine strukturmodifizierende (chondroprotektive) Wirkung von Chondroitinsulfat bei Arthrose. Die klinischen Daten aus publizierten Studien und Metaanalysen zur symptomlindernden (analgetischen, funktionsverbessernden) Wirkung von Glucosamin sind widersprüchlich. Die Gabe von Glucosamin bei Patienten mit NSAR-Unverträglichkeit kann in Erwägung gezogen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen sicheren Beleg für eine strukturmodifizierende (chondroprotektive) Wirkung von Glucosamin bei Arthrose.

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