Originalarbeiten - OUP 09/2013

Konservative Versorgungsrealität am Beispiel der Behandlung der symptomatischen Gonarthrose
Ein Diskussionsbeitrag zum Thema „Implantieren wir wirklich zu viel?“Personal opinion with regard to the question: „Do we really perform too much total knee arthroplasties?“

J-D Rompe1

Zusammenfassung: Die Behandlung der fortgeschrittenen symptomatischen Gonarthrose ist mit der Verbreitung der modernen Knieendoprothetik in Kombination mit der DRG-Abrechnung zu Ungunsten des konservativen Vorgehens aus dem Gleichgewicht geraten. Das Grundvertrauen der Patienten in die uneigennützige Indikationsstellung durch den die Operation anbietenden Arzt ist erschüttert.

Der Artikel stellt die Möglichkeiten der unterfinanzierten
ambulanten konservativen Therapie zur Diskussion mit dem Tenor „möglichst wenig Aufwand – möglichst billig – möglichst schnell“. Um die im europäischen Vergleich in Deutschland zu häufig gestellte Indikation zur Knieendoprothese zurückzufahren, wäre aus meiner Sicht jedoch genau das Gegenteil erforderlich: eine zeitaufwendige, auf die Bedürfnisse des Patienten eingehende Versorgung, mit umfassenden nicht-budgetierten Angeboten zu Physiotherapie, manueller Therapie, Orthesenversorgung, psychologischer Betreuung und diätetischer Anleitung. Vor diesem Hintergrund ist noch einmal explizit darauf hinzuweisen, dass die arthroskopische Operation des symptomatischen Arthroseknies zur Schmerzlinderung nicht evidenzbasiert und nur in wenigen Ausnahmefällen leitliniengerecht ist.

Schlüsselwörter: Kniegelenkarthrose, Kniegelenkendoprothetik, konservative Therapie

 

Zitierweise

Rompe JD: Konservative Versorgungsrealität am Beispiel der Behandlung der symptomatischen Gonarthrose. OUP 2013; 7: 414–419
DOI 10.3238/oup.2013.0414–0419

 

Abstract: Worldwide, surgery is only indicated for symptomatic knee osteoarthritis when conservative measures are unsuccessful. Why then, in comparison with other European countries, is the rate of total knee arthroplasty much higher in Germany?

One of the reasons may be the chronic underfunding of conservative measures. Osteoarthritis of the knee is a chronic disease and as this, its management should be patient-centered and -coordinated, with attention to modifiable risk factors and comorbidities. Focus should be on conservative non-drug treatment, particularly exercise. For overweight or obese patients weight loss is recommended. Of course, management should be evidence-based. Interventions with high cost and risk that outweigh their benefits are to be avoided. The use of paracetamol or non-steroidal anti-inflammatory drugs for pain relief is recommended, with due attention to precautions and contraindications. Patients should be referred to a physiotherapist for exercise, manual therapy and gait aids; to a producer of orthoses for bracing; to a psychologist for cognitive behavioural therapy; and to a dietitian for nutritional advice. Arthroscopy for pain management is not evidence-based. Patients are to be referred for joint replacement only when symptoms are severe and other treatments have failed over a relevant period of time.

Keywords: osteoarthritis of the knee, total knee arthroplasty, conservative management

 

Citation

Rompe JD: Non-operative management of osteoarthritis of the knee is underfunded. OUP 2013; 7: 414–419
DOI 10.3238/oup.2013.0414–0419

Einleitung

Die Behandlung der fortgeschrittenen symptomatischen Gonarthrose ist mit der Verbreitung der modernen Knieendoprothetik in Kombination mit der DRG-Abrechnung aus dem Gleichgewicht geraten.

Die Tagesschau der ARD [1] titelte am 11.4.2013 „In Deutschland sitzt das Skalpell zu locker“ und fährt fort: „Im Jahr 2005 gab es rund 130.000 Knieendoprothesen-Operationen in Deutschland. Im Jahr 2011 waren es 160.000, ein Plus von fast einem Viertel. Warum? Gehen die Knie immer schneller kaputt oder werden die Deutschen immer anspruchsvoller? Nein, sagt Karl Lauterbach. Der SPD-Gesundheitsexperte sieht einen anderen Grund für die steigenden OP-Zahlen: Geld.“

Ihre Fortsetzung fand diese Diskussion jüngst bei Günther Jauch [2] unter dem Titel „Patientenfalle Krankenhaus – unnötige OPs für satte Gewinne? OP-Boom in Deutschland: In kaum einem anderen Land wird so oft das Skalpell angesetzt. Auf 100.000 Einwohner kommen zum Beispiel 295 Hüft-Operationen und 213 Knie-Eingriffe, so eine Studie der OECD. Besonders häufig wird offenbar dort operiert, wo die Konkurrenz zwischen den Krankenhäusern groß ist.“

Vor dem Hintergrund solcher Anwürfe ist es Zeit, den Blick für die aktuelle Behandlungsrealität zu schärfen, und sich und den Patienten nicht andauernd etwas vorzumachen.

4 kritische Fragen stehen im Raum.

1. Implantieren wir zu viel?

Herr Prof. Günther konstatierte als Vertreter der DGOU im Mai 2012, dass in Deutschland die Versorgungsrate mit künstlichen Kniegelenken über den Vergleichszahlen der meisten anderen europäischen Länder mit Ausnahme der Schweiz liegt [3].

Dies wird aktuell von der OECD bestätigt: “Regarding surgical procedures, Germany has the second highest rate of knee replacements” [4]. Danach werden in Deutschland pro 100.000 Einwohner 213 Knie-TEPs implantiert, im OECD Durchschnitt jedoch nur 122.

Und das, wo nach neueren Untersuchungen überhaupt nur 20–30 % der Patienten mit sog. end-stage osteoarthritis eine Knie-TEP in Betracht ziehen [5].

Damit stellt sich (der Öffentlichkeit) gleich die 2. Frage:

2. Implantieren wir so viel, weil es sich für uns lohnt?

Dies wird unserem Berufsstand in Fernsehen (ARD, 14.1.2013 „Vorsicht Operation“ [6]) und Presse (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.1.2013 „Muss es wirklich sein?“ [7]) jedenfalls vorgeworfen: „Ein Krankenhaus verdient kein Geld, wenn es einem Patienten von nicht eindeutig indizierten Knieoperationen abrät. Denn es hat kaum Interesse daran, lukrative Operationen zu vermeiden.“

3. Implantieren wir so viel, weil es sich für die Patienten lohnt?

Unbestritten gehört die Versorgung mit künstlichen Gelenken mit zu den effektivsten Behandlungsmaßnahmen in der modernen Medizin, so Prof. Günther für die DGOU in 2012 [3].

Allerdings wird über die Definition von Effektivität gestritten. Es gibt unzweifelhaft Unterschiede zwischen dem Ziel, das der Operateur mit der Implantation einer Knieendoprothese verfolgt und zwischen dem, was die Patienten sich von dieser Operation erwarten.

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