Originalarbeiten - OUP 09/2013

Konservative Versorgungsrealität am Beispiel der Behandlung der symptomatischen Gonarthrose
Ein Diskussionsbeitrag zum Thema „Implantieren wir wirklich zu viel?“Personal opinion with regard to the question: „Do we really perform too much total knee arthroplasties?“

Für 85 % der Patienten ist es entscheidend, so z.B. Mannion et al. [8] stellvertretend für zahlreiche andere Untersuchungen, nach der Implantation einer Knieendoprothese schmerzfrei zu sein. Erfüllt werden konnte diese Erwartung jedoch bei lediglich 43 % der Patienten.

4. Implantieren wir so viel, weil sich die konservative Therapie nicht mehr lohnt?

Die bittere Wahrheit, so nachzulesen im meinen Patienten wärmstens ans Herz gelegten Ratgeber „Meine Rechte als Patient“ von Herrn Rechtsanwalt Baczko [9] ist nämlich, „... dass seit Jahren Politiker aller Parteien den falschen Eindruck vermitteln, der sozialversicherte Patient hätte Anspruch auf die bestmögliche, also optimale Behandlung.

Es wird völlig verschwiegen, dass die GKV ihren Mitgliedern ambulant nur eine absolut minimale Versorgung zugesteht. Leistungen der GKV müssen vom Gesetz aus ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein.

Es ist also gesetzlich geregelt, dass der GKV-Patient ein Patient 2. Klasse ist.“

Für mich als „Kassen”-Arzt in Rheinland-Pfalz bedeutet diese Vorgabe: 38 Euro Umsatz lassen sich maximal für die Behandlung eines Patienten in 3 Monaten generieren. 10 Euro stehen für die Medikamentenverordnung zur Verfügung. Und 20 Euro im Schnitt für die Verordnung von Physiotherapie – was in etwa einer einzigen KG-Anwendung in 3 Monaten entspricht.

Dies vor dem Hintergrund, dass sich die KV Rheinland-Pfalz als Verwalterin des chronisch unterfinanzierten Budgets in ihrem aktuellen Honorarverteilungsmaßstab dafür entschieden hat, Erst- und Einmalkontakte und -behandlungen nicht zu budgetieren (GOP 18210–18212), jedoch alle weiteren Arzt-Patienten-Kontakte (GOP 18331 und 18311) inklusive der nicht durch die Grundpauschale abgedeckten Diagnostik (z.B. Röntgen, Sonografie, Labor) und Therapie (z.B. Punktionen, Anlage eines fixierenden Verbandes, Infusionstherapie, Chirotherapie, Akupunktur) auf das Niveau des Vorjahrs einzufrieren.

Praktisch bedeutet diese Absurdität, dass ich zurzeit beliebig viele Patienten mehr als im Vorjahr einmal klinisch untersuchen und im Rahmen der Grundpauschale behandeln darf, jedoch auf keinen Fall mehr Zweitkontakte haben oder mehr der o.g. diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen durchführen darf als im Vorjahr. Sollte ich solche Mehrleistungen gegenüber der KV abrechnen, droht der Regress. Das gleiche gilt natürlich auch für Medikamentenverordnungen oder die Verordnung von Physiotherapie, die weder das Vorjahresniveau noch den Fachgruppendurchschnitt relevant überschreiten dürfen.

Ausgenommen von dieser Budgetierung sind, wie es der Name schon sagt, extrabudgetäre Leistungen, wie z.B. ambulant durchgeführte Operationen. Womit wir auch hier wieder bei den 4 oben genannten Fragen wären.

Konservative Therapie

Vor diesem Hintergrund evidenzbasiert zu behandeln ist unmöglich? Nicht ganz.

Denn überraschend viele nicht-operative Therapieformen sind:

  • mit möglichst wenig Aufwand verbunden,
  • möglichst billig,
  • möglichst schnell,
  • und zum Teil sogar evidenzbasiert.

Mein persönliches multimodales Konzept umfasst:

Gewichtsreduktion

Zunächst spreche ich bei den allermeisten Patienten ein im wahrsten Sinne des Wortes gewichtiges Problem an. Der Durchschnitt meiner Gonarthrose-Patientinnen ist zwischen 1,55 und 1,69 m groß und wiegt zwischen 85 und 110 kg. Das entspricht einem BMI von 35 und mehr. Ich mahne die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion an, denn bereits 5–10 kg weniger führen zu Beschwerdeminderung am Arthroseknie, und zwar unabhängig vom Ausmaß des Arthroseschadens, so Gudbergsen et al. 2012 [10].

Diehl et al. [11] weisen zusätzlich darauf hin, dass bei einem BMI von 35 die Wahrscheinlichkeit für eine Knie-TEP 18-mal höher ist als in einer normalgewichtigen Population. Und jedes Kilo Körpergewicht bedeute biomechanisch eine Mehrbelastung des Knies von etwa 3 kg.

Mein Fazit: Gewichtsabnahme belastet nicht mein Budget und der Nutzen ist evidenzbasiert.

Nahrungsergänzungsmittel

Immer wieder fragen Patienten nach Nahrungsergänzungsmitteln, im Deutschen Ärzteblatt 2008 [12] wurde z.B. die Wirkung der oralen Chondroitinzuführung verneint. Diehl et al. formulieren es diplomatischer, dass eine geringe Schmerzreduktion bei geringem Arthrosegrad möglich sei. Zumindest seien keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt.

Mein Fazit: Belastet nicht mein Budget, ist nicht evidenzbasiert.

Schuhaußenranderhöhung

Möglicherweise kann eine Schuhaußenranderhöhung eine Entlastung des medialen Kompartiments bewirken, die AAOS-Leitlinie [13] spricht sich jedoch klar dagegen aus.

Mein Fazit: Nicht evidenzbasiert, liegt im Ermessen des Arztes.

Krankengymnastik

Auch wenn Diehl et al. [11] postulieren, positive Effekte der Krankengymnastik auf Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Gelenkfunktion seien in einer Reihe von Studien demonstriert worden: Ich verordne keine Regress-bedrohte KG bei Gonarthrosepatienten, sondern empfehle im Einklang mit der AAOS-Leitlinie [12] Selbstübungen zur Verbesserung der Beweglichkeit und der Kraft.

Mein Fazit: Die Verordnung von Physiotherapie ist extrem regressbedroht und ihr Nutzen nicht evidenzbasiert.

Topische NSAR

Besser in mein von Regress-Befürchtungen bestimmtes „Kein Aufwand“-Konzept passt da die Cochrane-Analyse von Derry et al. aus 2012 [14], wonach die lokale Diclofenac-Anwendung bei Kniegelenkarthrose gleich wirksam ist wie die orale NSAR-Verabreichung.

Mein Fazit daher: Belastet nicht mein Budget und ist evidenzbasiert.

Orale Medikation

Bei der Tablettenverordnung wird im aktuellen Review des British Medical Journals [15] an erster Stelle das rezeptfreie Paracetamol empfohlen, bis zu 4 g/d, ebenso wie von Diehl et al. [11], der auf die Komplikationsmöglichkeit einer schweren Leberfunktionsstörung hinweist.

Mein Fazit: Belastet nicht mein Budget und ist evidenzbasiert.

Besondere Vorsicht ist geboten bei der Verschreibung von sog. nichsteroidalen Antirheumatika. Nach Bennell et al. [15] gilt dies insbesondere bei einer Ulcusanamnese. Dann sollte auf einen Cox-2-Hemmer oder Naproxen ausgewichen werden, jeweils mit Protonenpumpen-Inhibitor.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5