Originalarbeiten - OUP 09/2013

Konservative Versorgungsrealität am Beispiel der Behandlung der symptomatischen Gonarthrose
Ein Diskussionsbeitrag zum Thema „Implantieren wir wirklich zu viel?“Personal opinion with regard to the question: „Do we really perform too much total knee arthroplasties?“

Bei Patienten, die prophylaktisch ASS 100 einnehmen, ist Ibuprofen kontraindiziert! Ibuprofen verringert die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS und bewirkt eine signifikante Steigerung des Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos [16].

Eine Kontraindikation für jegliche NSAR sind natürlich Patienten mit einer Niereninsuffizienz im Endstadium.

Bei gastrointestinalem Risiko ist laut der CONDOR Studie [17] ein Cox-2-Hemmer alleine besser als ein NSAR in Kombination mit einem Protonenpumpen-Inhibitor. Was die dieses Produkt bewerbenden Pharmavertreter aber zumindest mir erst auf Nachfrage preisgegeben haben, ist, dass keine Patienten mit einem irgendwie gearteten kardiovaskulären Risiko in die Studie aufgenommen wurden. Leider sind das aber meine Standardpatienten.

Bei kardiovaskulären Vorerkrankungen ist bei Cox-2-Hemmern sowie bei längerfristiger Einnahme von Diclofenac oder Ibuprofen mit Komplikationen zu rechnen. Das sicherste Medikament für diese Patientengruppe ist nach wie vor Naproxen. Patienten mit einem zusätzlichen gastrointestinalen Risiko sollten zusätzlich einen Magenschutz einnehmen [18, 19].

Mein Fazit: Belastet mein Budget, ist evidenzbasiert.

Akupunktur

Nach Diehl et al. [11] ist keine andere nicht-operative Heilmethode so gut untersucht. In einer ganz aktuellen Vergleichsstudie wird die Wirksamkeit verschiedener Akupunkturverfahren untersucht. Sie liegt zwischen 48 % und 73 % [20].

Mein Fazit: Belastet mein Budget, die Therapie ist evidenzbasiert.

Kortison-Injektion

Es gibt keinen Konsens, welches Präparat Sie in welcher Dosierung und wie häufig in ein symptomatisches Arthroseknie spritzen sollten. Bennell et al. [15] gestehen im British Medical Journal 3–4 Injektionen alle 3 Monate zu, während Diehl et al. [11] laut Studienlage 3–4 Injektionen im Jahr für indiziert halten. In jedem Fall ist ein kurzfristiger Nutzen belegt.

Mein Fazit: Der erhebliche Aufwand der intraartikulären Infiltration wird nicht gesondert vergütet, die Verschreibung des Medikamentes belastet mein Budget, die Therapie ist evidenzbasiert.

Hyaluronsäure

Die intraartikuläre Verabreichung von Hyaluronsäure zeigt – präparatabhängig – positive länger andauernde Effekte am Arthroseknie, laut Cochrane-Review aus 2009 [21] jedenfalls länger als Kortison.

Zur gegenteiligen Auffassung gelangt eine klassische Meta-Analyse von Rutjes et al. [22] in den Annals of Internal Medicine, in der alle Präparate in einen Topf geworfen wurden. Nach gründlichem Umrühren fand man zusammengefasst keinen „klinisch relevanten“ Therapieeffekt mehr.

Mut macht die Untersuchung von Navarro-Sabia et al. [23], die durch eine wiederholte intraartikuläre Gabe eines Hyaluronsäurepräparats einen klaren und über ein Jahr anhaltenden Effekt gegenüber Placebo zeigen konnte.

Genauso sehen es Diehl et al. [11] für milde bis moderate Arthroseformen.

Mein Fazit: Belastet nicht mein Budget, der Patient zahlt, die Therapie ist evidenzbasiert.

Eigene Ergebnisse

Aufgearbeitet wurden 1297 Gonarthrosepatienten aus den Jahren 2005–2011 mit einer „end-stage osteoarthritis“, die eine Gelenkspaltverschmälerung im Stehend-Röntgen und Arthrosezeichen der Ausprägung Kellgren/Lawrence Grad 3 oder 4 aufwiesen und die vor und mindestens ein Jahr nach Therapiebeginn untersucht und mittels des validierten Oxford-Knee-Scores (OKS) evaluiert werden konnten. 866 Patienten waren weiblich. Das Durchschnittsalter aller Patienten lag bei 65 Jahren. 685 Patienten wurden mit einer Knie-TEP versorgt. Die übrigen wurden multimodal wie oben beschrieben konservativ behandelt (Abb. 1).

Ein Jahr nach Knie-TEP (TKA) erreichten doppelt so viele der Patienten (58 %) ein gutes oder sehr gutes Ergebnis wie nach konservativer multimodaler Therapie (29 %) (Tab. 1).

In meiner Sprechstunde ist, entgegen aller Patientenhoffnungen und entsprechend der üblichen standardisierten präoperativen schriftlichen Aufklärung, auch nach operativer endoprothetischer Therapie das schmerzhafte Knie Alltag.

Denn 19 % der von mir betreuten Patienten erzielten nach Knie-TEP lediglich ein schlechtes Ergebnis im Oxford-Knee-Score (OKS) – bestätigt durch eine aktuelle Langzeituntersuchung von Arthur et al. [24], in dessen Publikation ebenfalls 20 % der Patienten ein schlechtes Ergebnis im OKS erzielten, unabhängig von einer Nachuntersuchungszeit von 5 oder 10 Jahren (Tab. 2).

Diskussion

Nach Knieendoprothesen-Implantation zeigt sich in meinem Praxis-Alltag, wie u.a. von Genet et al. [25] berichtet, oftmals bei eigentlicher guter Funktion eine relativ geringe Patientenzufriedenheit. Es gibt hier die bereits erwähnte Erwartungs-Diskrepanz von Arzt und Patient [8], was dazu führt, dass etwa jeder 4. der von mir betreuten Primär-Knie-TEP-Patienten genauso häufig wegen Beschwerden und Funktionsdefiziten bei mir in der Sprechstunde steht wie vor der OP.

Nicht enthalten in dieser retrospektiven Analyse sind solche Patienten, die sich nach der primären Knie-TEP einer Revisions-Operation unterziehen mussten.

Für Deutschland hat soeben Herr Prof. Niethard [26] Zahlen der AOK vorgelegt, die nach seiner Aussage repräsentativ für alle gesetzlich Krankenversicherten sind. Danach standen in 2011 in Deutschland Revisionen und Primär-Knie-TEPs bereits in einem Verhältnis von 1 : 6, bei einem Anstieg der Revisionen um 43 % seit 2005
und etwa gleichbleibender Primärimplantationsrate.

Und für die USA wird ein Anstieg der Revisions-Operationen um sage und schreibe das 5-fache auf dann 300.000 Revisions-Knie-TEPs bis 2030 prognostiziert. Bei gleichbleibender Primärimplantationsrate würde das auf ein Verhältnis von Revisions-TEP zu Primär-TEP von dann ca. 1 : 2 hinauslaufen [5].

Ist es da nicht verständlich, dass immer mehr medizinische Fachrichtungen außerhalb der Orthopädie und Unfallchirurgie [5, 15] hinterfragen, ob die Knieendoprothetik nun Teil der Lösung oder Teil des Problems ist?

Die statistischen Daten liegen auf dem Tisch, die Unterschiede innerhalb Europas sind so schwerwiegend, dass sie nicht einfach mit Erhebungsmängeln seitens der OECD erklärt werden können.

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