Originalarbeiten - OUP 02/2022

Kurzfristige Ergebnisse mit einer schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese (Easytech, FX Solutions)

Nachdem schaftassoziierte Probleme wie bspw. Frakturen, aufwendige Revisionen und Lockerungen in der Literatur gar nicht so selten sind [2, 25, 45, 55, 65], wird der knochensparenden, schaftfreien Schulterendoprothetik, welche die Kraft ausschließlich proximal in die Metaphyse einleitet, zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Die bekannten gelenkgeometrischen Prinzipien der inversen Endoprothetik werden auch durch schaftfreie Systeme erzielt [61]. Bei differenzierter Indikationsstellung zeigen schaftlose Systeme im Kurzzeit- aber auch im Langzeit-Follow-up mindestens ebenso sichere und gute klinische Ergebnisse wie geschaftete Implantate [2, 4, 13, 41, 61, 58].

Ein ganz anderer Vorteil findet sich bei ggf. nachfolgenden traumatischen periprothetischen Frakturen. Bei konventionell gestielten inversen Endoprothesen kann es zu anatomisch ungünstigen Frakturen im Verlauf des N. radialis kommen. Bei der schaftfreien Endoprothese hingegen liegen die Frakturen deutlich günstiger direkt unterhalb des Humeruskopfes [26]. Obwohl das Konzept schaftfreier inverser Endoprothesen noch relativ neu ist, sind bereits viele verschiedene Modelle auf dem Markt. Bei den inversen Endoprothesen sind beim Design der humeralen Komponenten Inlay- und Onlay-Systeme zu unterscheiden. Ein gutes Beispiel für ein Inlay-System ist das Total Evolutive Shoulder System (TESS™, Zimmer Biomet, Warsaw, Indiana USA), welches die erste und am besten untersuchte schaftfreie inverse Endoprothese auf dem Markt darstellt [3, 5, 24, 28, 61]. Charakteristisch für das TESS-System ist die humerale Corolla, innerhalb der das inverse Polyethylen als Inlay-System aufgenommen wird. Bei der hier untersuchten schaftfreien inversen Easytech Endoprothese (EasytechTM, Fa. FX Solutions, Viriat, Frankreich) handelt es sich hingegen um ein Onlay-System. In den letzten 9 Jahren haben wir mit schaftfreien Inlay-Systemen und in den letzten Jahren auch mit Onlay-Systemen gute Erfahrungen gesammelt. Im Folgenden möchten wir erste klinische und röntgenologische Ergebnisse mit der schaftfreien, inversen Onlay Easytech-Endoprothese vorstellen.

Material und Methode

In diese Untersuchung sind 55 Patienten (m/w = 19/36, Durchschnittsalter 74,6 [Formel: ± ]7,6, Range 56–88 Jahre) mit einer Defektarthropathie einbezogen, bei denen von Mitte 2019 bis Ende 2020 eine schaftfreie, inverse Easytech Endoprothese implantiert wurde. Die Patienten wurden vor der Implantation und mindestens 6 Monate postoperativ untersucht (Ethikvotum der Universität Witten-Herdecke Nr. 47/2019). Zur Beurteilung der Schulterfunktion erfolgte neben der klinischen Untersuchung die Erhebung des Constant Murley-, DASH- und ASES Scores [14, 23, 47]. Bei den hier untersuchten Patienten erfolgte zudem nach ca. 6 Monaten eine Röntgenuntersuchung. In den Röntgenbildern wurden Komplikationen wie evtl. Lockerungen, Luxationen, Frakturen und ggf. Zeichen eines skapulären Notching untersucht. Darüber hinaus erfolgte eine Auswertung der Gelenkgeometrie. Hierbei wurden die akromiohumerale Distanz, das humerale Offset, das laterale glenohumerale Offset und die Höhe des Rotationszentrums als radiologische Parameter bestimmt (Abb. 1).

Bei dem Easytech Schultersystem handelt es sich um ein CE-zertifiziertes Endoprothesen-System. Sowohl die glenoidale als auch die humerale Komponente weist Besonderheiten auf. An der glenoidalen Komponente ist der Durchmesser der Basisplatte mit 24 mm relativ klein gehalten. Der Verankerungszapfen hat eine Länge von 17 mm und einen Durchmesser von 7,5 mm. Dieser kann mit Adaptern um 6 und 10 mm verlängert werden. Zum verbesserten Einwachsen weist sowohl der Zapfen als auch die Rückfläche eine Doppelbeschichtung mit porösem Titan und Hydroxylapatit auf. Die winkelstabilen Schrauben erlauben eine Angulation von max. +/- 12 Grad (Abb. 2a). Für die Lokalisation des zentralen Loches im Glenoid empfiehlt der Hersteller eine Distanz von ca. 12 mm von der unteren Glenoidkante. Dies ist sinnvoll, da unserer Erfahrung nach insbesondere ein Abweichen des zentralen Bohrloches nach kranial die Stabilität der Basisplatte gefährdet. Eine solche Fehlpositionierung kann ursächlich für ein Ausbrechen der Glenoidkomponente sein. Die distale Platzierung und Dimensionierung der Basisplatte basiert auf den Kadaveruntersuchungen von Kelly et al., wonach die distale Position bei ca. 12 mm kranial der ursprünglichen unteren Glenoidkante die beste Stabilität der Basisplatte ermöglicht [29]. Eine solche Positionierung kann nach Entfernung der individuell meist unterschiedlich ausgedehnten Osteophyten und Austasten des Glenoides bspw. durch eine Markierung unter Anwendung dieser 12 mm-Regel erzielt werden. Alternativ bietet die Firma ein Zielinstrument an, das ein Abweichen der Bohrung nach kranial verhindert. Die Glenosphäre ist mit einem Offset von 3,5 mm lateralisiert und nach der Verschraubung auf der Basisplatte um 10 Grad inkliniert; die Durchmesser messen 36 und 40 mm. Sie ist zentriert (Abb. 2c) oder exzentrisch (Abb. 2d) erhältlich. Eine Titan-Nitrit-Komponente ist für Allergiepatienten verfügbar (Abb. 2e).

Bei einigen stielfreien inversen Prothesen erfolgt die humerale Resektion bei 155°. Dies kann bei engen Gelenkverhältnissen den Raum zur Glenoidpräparation einengen. Ist dann ein vermehrter Hakendruck notwendig, so kann dies Schäden des kortikalen Ringes an der Humerusmetaphyse nach sich ziehen. Hingegen kann bei der Easytech Prothese, da es sich um ein Onlay-System handelt, die Resektionsebene am Humeruskopf 2–3 mm tiefer gewählt werden. Auch erfolgt die Resektion standardmäßig etwas steiler mit einer 145°-Osteotomie. Dies bietet mehr Raum für die Glenoidpräparation. Das metaphysäre Anker-Implantat der Easytech-Prothese ist in Durchmessern von 30, 34 und 38 mm verfügbar. Anhand von explantierten Kappenprothesen der Schulter konnten wir zeigen, dass der metaphysäre Knochen nach der Implantation in den peripheren, kortikalisnahen Abschnitten im Follow-up vitaler und stabiler ist als in den zentralen Knochenabschnitten [60]. Aus diesem Grund wählen wir nach der Austestung mit den verfügbaren Probestanzen stets das größtmögliche Implantat. So verhakt sich das Implantat möglichst kortikalisnahe mit fünf sägeblattförmigen Verankerungszapfen. Es ist, ebenso wie die Metaglene, doppelt beschichtet (Abb. 2b).

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