Originalarbeiten - OUP 02/2022

Kurzfristige Ergebnisse mit einer schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese (Easytech, FX Solutions)

Ein Notching wird bei inversen Endoprothesen mit Häufigkeiten von 0–88 % beschrieben [8, 39, 40, 50, 54, 56, 62, 63]. Im Zumstein-Review lag die Häufigkeit bei 35,4 % [66]. Neben einer Offseterweiterung [7] und der Verwendung exzentrischer Glenosphären [19], kann auch der Inklinationswinkel der humeralen Komponente ein Notching signifikant verringern [12, 30]. Die meistverwendeten inversen Systeme wie bspw. die Delta X-tend™ (DepuySynthes, Raynham, Massachusetts, USA), die Aequalis Reversed™ (Tornier Wrigth Medical, Tennessee, USA) und die Affinis Inverse™ (Mathys, Bettlach, Schweiz) haben einen Schaft-Hals-Winkel von 155°. Kempton et al. beschrieben bei Prothesen mit einem Schaft-Hals-Winkel von 145° eine signifikant niedrigere Inzidenz [30]. Bei der Easytech-Prothese ist somit auch eine reduzierte Notchingrate zu erwarten. Nachdem wir in vorangegangen Studien zur schaftfreien TESS-Endoprothese im Gegensatz zu einem Schaftsystem den Inklinationswinkel selber festlegen bzw. verringern konnten, haben wir in diesen Fallserien einen mittleren Schaft-Hals-Winkel von 147° erzielt. Hier konnten wir mit dem reduzierten Schaft-Hals-Winkel deutlich erniedrigte Notching-Raten von ca. 12 % nachweisen [61]. Bei der Easytech-Endoprothese erfolgt die humerale Resektion standardmäßig mit einen varisierten Inklinationswinkel von 145°. Diese Inklination kann, gemeinsam mit der Glenoidlateralisation, die Ergebnisse der Easytech-Prothese erklären. Darüber hinaus zeigen unterschiedliche Studien, dass sich auch das Bewegungsausmaß der inversen Versorgung mit einer steileren Inklination bessert [34, 35, 59]. In einer biomechanischen Studie zeigten Ladermann et al., dass hinsichtlich des Bewegungsumfanges der optimale Inklinationswinkel bei 144° liegt [34]. Neben dem funktionellen Aspekt sehen wir hierdurch auch die Chance, mögliche Komplikationen wie bspw. Luxationen, die durch ein Anschlagen bedingt sind oder aber auch Glenoidlockerungen, die auch durch ein Notching-bedingt sein können [49], zu vermeiden.

Betrachtet man die humeralen und glenoidalen Offset-Möglichkeiten, kann man die inversen Prothesen in 4 logische Gruppen klassifizieren (Abb. 5). Diese Einteilung mag prima vista komplex erscheinen, dennoch erachten wir dies als interessant, da unterschiedliche geometrische Eigenschaften der verfügbaren Implantate nun einmal das funktionelle Outcome aber auch die Rate früher und später Komplikationen wie Luxationen, Muskel- und Nervenschäden, Notching- und Lockerungsraten etc. direkt beeinflussen bzw. verursachen können. So ist es hilfreich, sich entsprechender Unterschiede verschiedener Implantate bewusst zu sein. Evtl. ist diese Einteilung auch hilfreich, um für die allgemeine oder auch für die individuelle Patientenversorgung das geeignete Implantat zu wählen.

Bei einem medialen Glenoid und einem medial positionierten Humerus (MGMH) ist das Rotationszentrum nahe der glenoidalen Gelenklinie positioniert. Das Inlay bzw. der humerale Anteil mit dem Inlay ist nahe zum intramedulären Kanal positioniert. Die Grammont-Prothese ist ein typisches Beispiel (Abb. 5a). Hier zeigen sich folgende Merkmale: Aufgrund der Glenosphäre ohne lateralem Offset findet sich ein reduziertes Risiko für eine glenoidale Lockerung [20]. Die aktive Armabduktion basiert v.a. auf der hohen Vorspannung des Deltamuskels, der Kraftvektor ist eher ungünstig. Aufgrund einer in bestimmten Fällen notwendigen, chronischen Überspannung besteht ein erhöhtes Risiko für eine langfristige Atrophie und Insuffizienz des Deltamuskels. Zudem finden sich hohe Notching-Raten [53], welche teils mit einem erhöhten Risiko einer sekundären Glenoidlockerung einhergeht [49]. Aufgrund der relativen Verkürzung der Rotatoren ist, sofern diese noch vorhanden sind, die aktive Rotation evtl. eingeschränkt.

Bei einem lateralen Glenoid und einem medial positionierten Humerus (LGMH) liegt das Rotationszentrum lateral der Glenoidverankerung (Abb. 5b). Dieses wird bspw. bei der Encore-Prothese (Reverse® shoulder, DJO Global, Guildford, Vereinigtes Königreich) durch eine weitauslaufende Glenosphärenform oder aber durch einen knöchernen Glenoidaufbau (Bio-RSA) erreicht. Die humerale Komponente bleibt nach wie vor in der Humerusachse, so dass dies zu einer Medialisation führt. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch minimale Notchingraten aus. Die ein wenig erhöhte Spannung der Rotatorenmanschette wirkt sich positiv auf die aktive Rotation aus. Bei den metallischen Offseterweiterungen ist das Risiko für eine glenoidale Lockerung auf Grund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface potentiell erhöht [42].

Bei einem medialen Glenoid und einem lateral positionierten Humerus (MGLH) ist das Rotationszentrum wieder weiter medial im Bereich des anatomischen Glenoides lokalisiert. Der Humerusschaft ist lateralisiert, die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft (Abb. 5c). Dieses Prinzip ist besonders gut mit inversen “Onlay-Prothesen“ zu erreichen. Der längere Deltoid-Momentarm und der erhöhte Umlenkwinkel über dem Tuberculum majus wirken sich positiv auf die aktive Arm-Elevation aus. Eine bessere Spannung der Rotatorenmanschette unterstützt die aktive Innen- und Außenrotation. Zudem zeichnet sich dieser Prothesentyp durch ein reduziertes Risiko der glenoidalen Lockerung aus.

Bei einem lateralen Glenoid und einem lateral positionierten Humerus (LGLH) liegt das Rotationszentrum wiederum lateral der glenoidalen Verankerung. Die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft, der Schaft ist lateralisiert (Abb. 5d). Diese Geometrie ist je nach Positionierung des Onlays mit der schaftfreien inversen Onlay-Easytech-Prothese zu erreichen. Dieser Typ zeichnet sich durch geringe Notchingraten aus. Die erhöhte Belastung am Glenoid-Implantat-Interface kann das Risiko für eine glenoidale Lockerung erhöhen. Beide Offset-Optionen, sowohl glenoidal als auch humeral, können je nach Bedarf die Spannung der evtl. noch vorhandenen Rotatorenmanschette verbessern. Der etwas längere Deltoid-Momentarm und der verbesserte Umlenkwinkel des Deltamuskels kann sich positiv auf die aktive Arm-Elevation aufgrund auswirken.

Fazit

Bei den unterschiedlichen inversen Endoprothesen ist es sinnvoll, die gelenkgeometrischen Eigenschaften und deren Auswirkungen auf das funktionelle Outcome sowie auf typische frühe und späte Komplikationen zu kennen. Die ersten klinischen Ergebnisse der schaftfreien inversen Easytech Endoprothese liegen gut im Range für geschaftete und schaftfreie inverse Versorgungen. Die Verwendung des exzentrischen Polyethylen-Onlays erlaubt eine individuelle Anpassung des humeralen Offsets. Aus funktioneller Sicht und auch zur Vermeidung von kurz- u./o. langfristigen Komplikationen ist dies durchaus in Erwägung zu ziehen.

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