Übersichtsarbeiten - OUP 02/2018

Langzeitergebnisse nach Resektion der distalen Tibia bei Osteosarkom und Kallusdistraktion

Moritz Hillmann1, Frederik von Kunow2, Axel Hillmann3

Die Lokalisation des Osteosarkoms auf der distalen
Tibia ist äußerst selten; die Möglichkeiten der Rekonstruktion nach primärer Resektion sind begrenzt, der Ersatz der distalen Tibia durch eine Tumorprothese kommt üblicherweise nicht in Betracht, da die Komplikationsrate hoch ist, die erforderliche Weichteildeckung schwierig und die Verankerung der Prothese im Talus biomechanisch im Langzeit-Follow-up problematisch. Eine alternative Amputation ist
eine funktionell zufriedenstellende Alternative, stellt aber immer einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten dar. Wenn eben möglich, sollte deswegen eine biologische Rekonstruktion angestrebt werden.

Material und Methode: 2 Patienten im Alter von 11 (w) und 17 (m) Jahren mit Osteosarkom der distalen Tibia wurden nach COSS-Protokoll behandelt. Im vorgegebenen Operationsintervall wurde der Tumor reseziert, die resezierte Strecke betrug 12,8 cm (w) und 13,5 cm (m). Eine primäre Rekonstruktion unterblieb, stattdessen wurde ein Platzhalter aus PMMA-Zement eingesetzt. Nach Abschluss der Chemotherapie wurde der Platzhalter entfernt, ein Fixateur externe der Fa. Orthofix (Monorail) angebracht und der proximal osteotomierte Knochen mit einer Transportgeschwindigkeit von 1 mm pro Tag nach distal transportiert. Nach der finalen Docking-Operation und knöchernen Konsolidierung wurde der Fixateur abmontiert. Die Tragezeit des Fixateurs, die Komplikationen, die Funktion (MSTS-Score) und die Lebensqualität (SF36) wurden evaluiert.

Ergebnisse: Das Follow-up betrug 15 (w) und 13 Jahre (m). Die Tragzeit des Fixateurs betrug im Fall der weiblichen Patientin 266 Tage und die des männlichen Patienten 275 Tage. Komplikationen waren eine vermehrte Sekretion im Bereich der Schanz’schen Schrauben, ohne dass eine Operation erforderlich war. Die Beinlängendifferenz betrug am Ende des Wachstums 3,5 cm (w) und 2 cm (m). Weiterhin wurde in beiden Fällen eine Fraktur der distalen Fibula beobachtet; das Mädchen entwickelte im späteren Verlauf eine Valgusdeformität, eine vorübergehende Kontraktur des Kniegelenks, und beide Patienten entwickelten eine ausgeprägte Inaktivitätsosteoporose. Ein Rezidiv entwickelte sich in keinem Fall. Der Funktionsscore (MSTS) betrug die volle Punktzahl bei dem männlichen Patienten (30) und bei der Patientin 28/30 Punkte. Beide Patienten waren in den Lebensqualitätsdaten des SF36 nicht beeinträchtigt.

Zusammenfassung: Die Rekonstruktion der distalen Tibia mittels Kallusdistraktion ist im Vergleich zu einer Amputation und einer Rekonstruktion mittels Tumorprothese im Langzeitvergleich nach 15 resp. 13 Jahren eine herausragende Operationsmethode. Die Funktionalität und die Lebensqualität sind bei beiden Patienten nur minimal beeinträchtigt. Limitierend sind die Tumorgröße und die Weichteilkomponente, die ein solches Rekonstruktionsverfahren unmöglich machen kann. Nur wenn der Tumor die Gefäßnervenstraße initial nicht erreicht hat und noch dazu ein gutes Ansprechen auf die präoperative Chemotherapie aufweist, ist das Verfahren anwendbar.

Schlüsselwörter: Kallusdistraktion, Extremitätenerhalt,
Osteosarkom, distale Tibia, Rekonstruktion

Zitierweise
Hillmann M, von Kunow F, Hillmann A: Langzeitergebnisse nach
Resektion der distalen Tibia bei Osteosarkom und Kallusdistraktion. OUP 2018; 7: 101–106 DOI 10.3238/oup.2018.0101–0106

The distal tibia is a rare localization of an osteosarcoma. The reconstruction of the distal tibia after resection is challenging because of anatomic conditions and poor tissue covering. The outcome for endoprosthesis of the distal tibia is very poor. Another option is the amputation of the lower leg. The functional results after amputation are satisfying. However, the amputation shows wellknown problems. That’s why biological reconstruction after resection whenever possible should be the first aim.

Methods: 2 patients (f: 11 years, m: 17 years) suffered from an osteosarcoma of the distal part of the tibia. Both patients received neoadjuvant chemotherapy (COOS protocol). Ten weeks after starting the chemotherapy both patients were R0-resected (wide resection according to Enneking). Resection lengths of the bone were f: 12.8 cm and m: 13.5 cm. Both
patients showed good response to the chemotherapy (grade 2 according to Salzer-Kuntschik). A placeholder made of PMMA cement was inserted. After surgery an adjuvant chemotherapy for 6 months was completed. Four weeks after ending the chemotherapy a second operation was performed. The PMMA spacer was removed and a fixateur externe (Fa. Orthofix, Monorail) was fixed. A proximal tibia osteotomy was performed and the tibial segment was transported distally 1 mm per day. A docking operation with a tibial-talar arthrodesis was performed. The wearing time of the fixateur, the complication rate the functional score (MSTS after Enneking) and the quality of life (QoL, EORTC, SF 36) were evaluated.

Results: Follow-up was 15 (f) and 13 (m) years after primary operation. The wearing time of the fixateur externe was 266 (f) resp. 275 (m) days. Complications were serous secretion near the Schanz’ screw; a leg length difference after distraction of 3.5 cm (f) and 2 cm (m), a distal fibula fracture (f),
a valgus deformity of the tibia (f), a contracture of the knee (f) and a clinical inactivity osteoporosis (f, m). There was no recurrence of the osteosarcoma. Functional analysis shows 30 points (m) and 28 points (f) (MSTS). Both patients reached the full score of the SF 36.

Discussion: The reconstruction of the distal tibia after resection of the tumor is a challenging procedure. Finally there is still the possibility of amputation, if the technique of reconstruction failed. Function and quality of life are minimally restricted. The reconstruction is not possible if the tumor has get a pronounced soft tissue component or is located near the vessel-nerve cord. A good response of the neoadjuvant chemotherapy is a prerequisite as well. A clinical or radiological assumed progress of the tumor should lead to amputation.

Keywords: callus distraction; limb salvage; osteosarcoma;
distal tibia; reconstruction

Citation
Hillmann M, von Kunow F, Hillmann A: Longterm results after resection of the distal tibia and callus distraction because of an osteosarcoma. OUP 2018; 7: 101–106 DOI 10.3238/oup.2018.0101–0106

1 Queen Victoria Hospital Orthodontic Department/Maxillofacial Unit, West Sussex, Great Britain

Das Osteosarkom ist in den meisten Fällen nahe dem Kniegelenk lokalisiert; die proximale Tibia ist der zweithäufigste Ort der Entstehung dieses malignen Tumors des Kindes- und Jugendalters. Die distale Tibia hingegen disponiert nur sehr selten für die Entwicklung eines malignen Tumors. Nur etwa 3 % aller Osteosarkome entstehen im Bereich der distalen Tibia.

Während sich für kniegelenknahe Tumoren neben verschiedenen Rekonstruktionsverfahren die Implantation einer modularen Tumorprothese als Goldstandard etabliert hat, die Infektionsraten bei guten Standzeiten der Prothese und aufgrund einer Silberbeschichtung auch moderat geworden sind [4], stellt die Rekonstruktion der distalen Tibia nach Tumorresektion eine Herausforderung dar.

Die operative Versorgung von Tumoren der Tibiadiaphyse hingegen ist technisch ebenfalls aufwendig und schwierig; die Implantation von kontra- oder ipsilateralen Fibulae – frei oder gefäßgestielt – hat eine hohe Zeitspanne bis zur möglichen Vollbelastung und die Komplikationsrate ist relativ hoch [1, 7]. Auch die Augmentation der Fibula mittels Allograft – einem sogenannten Mantelgraft – beinhaltet Risiken: Ermüdungsbruch des Grafts, Resorption oder Infektion des Fremdknochens und andere mögliche Komplikationen lassen nur wenig Rückzugsmöglichkeiten bei Versagen dieser Methoden zu.

Die Rekonstruktion der distalen Tibia ist hingegen schwierig. Die Implantation von Megaprothesen hat sich in diesem Bereich nicht durchgesetzt, auch wenn Einzelfallbeschreibungen des Ersatzes der distalen Tibia für einen kurzen Zeitraum Hoffnung [3] bei Patienten hervorrufen können. Die Verankerung einer schweren langen Prothese im Talus und die anschließende Belastung durch das ganze Körpergewicht stößt biomechanisch an ihre Grenzen, und so gibt es in der Literatur und nach unserer Kenntnis keine Beschreibung einer distalen Tibia-Megaprothese auch nur über einen annähernd adäquaten Zeitraum von mehreren Jahren.

Der Tumor der distalen Tibia stellt den rekonstruktiven Operateur somit vor Herausforderungen. Ein geringer Weichteilmantel des Unterschenkels und auch die enge Lagebeziehung zu der Gefäßnervenstraße auf der einen Seite und die schlechten biomechanischen Voraussetzungen für die Rekonstruktion mittels Tumorprothese andererseits führen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht selten zu der Überlegungen gegen eine Rekonstruktion und zu der Möglichkeit einer Amputation. Die funktionellen Ergebnisse nach Unterschenkelamputation sind durchweg gut [8], leichte und komfortable Exoprothesen bis hin zu Karbonprothesen mit energiespeicherndern Füßen oder elastischen Federn führen zu sehr guten funktionellen Resultaten der Patienten im täglichen Leben bis hin zu hervorragenden sportlichen Leistungen.

Dennoch ist die Amputation einer Extremität immer ein erheblicher Eingriff in die körperliche Integrität eines Menschen. Phantomschmerzen, die trotz Verbesserung in der Pharmakologie nach wie vor ein erhebliches Problem darstellen können, schlecht an Exoprothesen adaptierbare Stümpfe der Gliedmaße bis hin zu psychischen Beeinträchtigungen der zumeist jungen Patienten können Folgen sein, deswegen sollte eine Amputation vermieden werden, wann immer es möglich und onkologisch vertretbar ist.

Methode

Wir berichten über 2 Patienten, ein Mädchen (11 Jahre) und ein Junge (17 Jahre), die im Jahr 2001 (w) und 2003 (m) an einem Osteosarkom der distalen Tibia erkrankten. Die Patienten wurden neoadjuvant nach dem Osteosarkom-Protokoll COSS behandelt. Fristgerecht in der Woche 10 nach Beginn der Chemotherapie wurde die Resektion durchgeführt. Bei beiden wurde ein „gutes Ansprechen“ (Grad 2 nach Salzer-Kuntschik) durch den Referenzpathologen mit einer Zellzahl von vitalen Tumorzellen von bis zu 3 % im Resektat attestiert. Die Resektion war jeweils „im Gesunden“ erfolgt (R0-Resektion, weite Resektion nach Enneking). Die Resektionslängen des tumortragenden Knochens betrug 12,8 cm (w) und 13,5 cm (m). Es wurde jeweils ein Platzhalter aus Palacos-Zement mit Gentamycin eingelegt, dieser wurde mit einem Titan-Steinmann-Nagel gegen Luxation gesichert. (Abb. 1a–d).

Die Chemotherapie wurde postoperativ protokollgerecht über weitere 6 Monate durchgeführt. Nach Beendigung der Chemotherapie wurde 4 Wochen nach der Aplasie eine zweite Operation durchgeführt. Der Palacos-Zement-Spacer wurde entfernt, ein Fixateur-System der Fa. Orthofix mittels Monorail angelegt. Die Schanz’schen Schrauben waren in ihren Gewindegängen mit Hydroxyolapatit beschichtet, eine proximale Tibiaosteotomie wurde durchgeführt und der Segmenttransport vorbereitet. Aus dem ehemaligen Operationsgebiet wurde nochmals eine Gewebeprobe des makroskopisch unverdächtigen Areals um den ehemaligen Tumor entnommen und zur histologischen Beurteilung eingeschickt.

Nach 10 Tagen wurde dann das zu transportierende Segment nach distal transportiert – jeweils 1 mm pro Tag, in 4 Portionen pro Tag, jeweils eine Viertel Gewindeumdrehung der Transportspindel alle 6 Stunden. Während der Tage des Transports erfolgte von den Patienten bzw. den Eltern eine tägliche Reinigung und Wundpflege der Schanz’schen Schrauben.

Nach Erreichen des Talus durch den transportierten Knochen wurde 2 Wochen später eine sog. Docking-Operation durchgeführt. Dabei wurde die Wunde über dem transportierten Segment in Höhe der Talus-Rolle eröffnet, die Knochenkappe, die sich über dem Segment gebildet hatte, angefrischt, und eine Beckenkammspongiosaplastik durchgeführt. Die Talusrolle wurde im Bereich des andockenden transportierten Knochensegments decortiziert, das aus dem Beckenkamm gewonnene Knochenmehl wurde an das Segment angestößelt und umlagert. Diese Talusarthrodese wurde dann noch für die nächsten Wochen mit noch liegendem Fixateur ruhiggestellt.

Nach Entfernung des Fixateurs nach radiologischer Kontrolle der Konsolidierung der Arthrodese begann der schrittweise Belastungsaufbau und letztlich das Abschulen von den Unterarmgehstützen.

In der folgenden Untersuchung wurden die Patienten klinisch untersucht, ohne eine neuerliche Röntgenaufnahme anzufertigen, da zahlreiche Kontrollaufnahmen aufgrund onkologisch empfohlener und in den jeweiligen onkologischen Kliniken durchgeführten Röntgenaufnahmen in mehr oder minder regelmäßigen Abständen erfolgt waren und sich vor allem in den letzten Jahren keine klinisch relevanten Befundänderungen mehr ergeben hatten.

Es wurden die Fixateur-Tragedauer, der mittlere Index (Zeit pro cm transportiertem Knochen), die Komplikationsrate und die Art der Komplikationen ermittelt.

Weiterhin wurde die Frage nach einem Rezidiv gestellt. Nach einem Follow-up von 15 (w) und 13 (m) Jahren wurde der Funktionsscore der MSTS nach Enneking und die Lebensqualität (QoL nach der EORTC) sowie der SF36 untersucht.

Ergebnisse

Der Defekt nach Tumorentfernung der distalen Tibia betrug 12,8 cm (w) und 13,5 cm (m). Für die Defektstrecken war eine Gesamttransportzeit des Segments einschließlich der initialen 10-tägigen Ruhephase von 158 (w) resp. 163 (m) Tagen erforderlich. Als Ende der reinen Transportzeit wurde der Zeitpunkt definiert, als die Spindel nicht mehr durch die Gewindemutter extrahierbar war, was simultan dann eintrat, als das transportierte Segment an den Talus angedockt war. Das bedeutete einen Index von 12 (w) resp. 11,3 (m) Tagen pro Zentimeter. Über diese Zeit hinaus war es aufgrund der erfolgten Docking-Operation weiterhin erforderlich, den Fixateur bis zur Konsolidierung der Arthrodese tibio-talar zu belassen. Die Gesamttragezeit für den Fixateur betrug 266 Tage (w) versus 275 Tage (m). Allerdings war es erforderlich, das operierte Bein an Unterarmgehstützen über die Tragezeit des Fixateurs hinaus weiter zu entlasten oder nur teilweise zu belasten. Die Gehstützen konnten vollständig nach 410 Tagen (w) und 402 Tagen (m) weggelassen werden (Abb. 2a–e).

An Komplikationen entwickelten beide Patienten mehrfach seröse Sekretionen aus verschiedenen Pins (Schanz’schen Schrauben), die aber durch die intensive Pin-Pflege mit regelmäßiger Reinigung mit Desinfektionslösungen beherrschbar waren. Eine ärztliche oder gar operative Intervention war nicht erforderlich.

Auch eine Inzision von Hautgewebe distal der Pins während des Transports, wie es gelegentlich vorkommen kann, wenn die Haut durch die Distalisierung der Pins nicht dem Pin weicht, war nicht erforderlich.

Allerdings resultierte am Ende der Distraktionszeit und nach Abschulen von den Unterarmgehstützen bei beiden Patienten eine Beinlängendifferenz zum kontralateralen Bein. Diese betrug 3,5 cm (w) bzw. 2 cm (m). Dies erklärt sich einerseits aus dem während der langen Zeit der Chemotherapie noch bestehenden Wachstum auf der kontralateralen Seite bei fehlender Wachstumsfuge der distalen Tibia und der andererseits langen Zeit des Transports bis hin zur vollständigen knöchernen Konsolidierung bis zur tibio-talaren Arthrodese.

Eine weitere Ursache ist, dass auf die Arthrodese eine leichte Kompression auf die angefrischten und augmentierten Spongiosa-Areale ausgeübt werden muss, durch diese Kompression kann auch ein Längenverlust von mehreren Millimetern resultieren, zumal bei der Patientin eine distale Fibulafraktur entstanden ist und damit bereits eine Verkürzung des Beins während des Callustransports vorlag.

Die Fraktur ist zum wesentlichen Teil bedingt durch die ausgeprägte Inaktivitätsosteoporose, da über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr – rechnet man vom Zeitpunkt der Tumorresektion ca. 1,5 Jahre – keine Belastung auf dem Bein besteht und erst zu diesem Zeitpunkt allmählich wieder eine beginnende Teilbelastung einsetzt. Bemerkenswert war zum Beispiel, dass bereits zum Zeitpunkt der Fixateur-Montage bei der Patientin aufgrund der Inaktivitäts-Osteoporose der knöcherne Calcaneus so weich war, dass die Schanz’schen Schrauben zur Fixierung der unteren Fixateur-Backe vom Operateur mit den Fingern ohne Zuhilfenahme von Schraubendrehern oder durch Vorbohren von Schraubenlöchern gesetzt werden konnten.

Während der Tragezeit des Fixateurs entwickelte die Patientin eine massive Beugebehinderung des Kniegelenks auf eine Flexionsfähigkeit von nur 40°. Erst nach Entfernung des Fixateurs war binnen 4 Wochen durch intensive Physiotherapie eine volle Flexionsfähigkeit des operierten Beins im Kniegelenk von 140° wieder möglich, (gleich wie die Beweglichkeit der kontralateralen Seite). Eine operative Intervention war nicht erforderlich.

In beiden Fällen entwickelte sich kein Rezidiv des Osteosarkoms.

Beide Patienten entwickelten nach Abschluss des Knochentransports eine sekundäre Beinlängendifferenz. Der männliche Patient, der zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits 17 Jahre alt war, also in der Endphase des Wachstumsalters, hatte am Ende der Prozedur noch eine Differenz von 2 cm im Vergleich zur gesunden Seite. Da er dadurch funktionell keine Beeinträchtigung hatte und durch einen entsprechenden Sohlenausgleich seines Schuhwerks auch seinen sportlichen Aktivitäten nachgehen konnte, war eine nochmalige Verlängerungsoperation nicht erforderlich und auch nicht gewünscht.

Die Beinlängendifferenz der Patientin nach Abschluss des Wachstums betrug 3,5 cm. Somit entschlossen wir uns 4 Jahre nach Abschluss des ersten Verfahrens zu einer erneuten Beinverlängerung in analoger Form mittels Fixateur externe und Monorail-Distraktor der Firma Orthofix. Bei dieser Beinverlängerung von Oktober 2006 bis April 2007 (Abbau des Fixateur Systems) bestand klinisch und radiologisch eine Achsabweichung im Sinne einer Valgusdeformität von ca. 15° mit Scheitelpunkt in der Distraktionsstrecke. Unter dieser Deformität und unter zunehmender Belastung kam es zu einer schleichenden Fraktur, so dass eine erneute Operation erforderlich wurde. Mittels unaufgebohrtem Tibianagel erfolgte eine Gradstellung und Verriegelung, die Fraktur heilte per primam und der Nagel konnte fristgerecht nach einem Jahr entfernt werden. Eine Beinlängendifferenz bestand nun nicht mehr.

Beide Patienten wurden im Jahr 2016 nachuntersucht (15 Jahre und 13 Jahre nach Primäroperation). In der Funktionsanalyse (MSTS-Score nach Enneking) hatte der männliche Patient 30 von 30 Punkten, die Patientin hatte zum Zeitpunkt der Untersuchung noch leichte Einschränkungen im Gangbild und erreichte im Score 28 von 30 Punkten. Im validierten Fragebogen der EORTC (SF36) erreichten beide Patienten einen vollständigen, nicht beeinträchtigten Score.

Diskussion

Die operative Rekonstruktion bei Tumoren nahe dem Sprunggelenk ist schwierig und endet in den meisten Fällen in einer Unterschenkelamputation. Die Weichteilausdehnung des Primärtumors auf der einen Seite und die enge Lagebeziehung zu der Gefäßnervenstraße andererseits mit der Möglichkeit, intraoperativ keine adäquaten Resektionsgrenzen zu erzielen, lassen oft die Chance auf einen Erhalt des Unterschenkels schwinden. In den beiden beschriebenen Fällen war es durch die Zweizeitigkeit des Eingriffs – zuerst die Resektion und Überprüfung der Resektionsgrenzen durch den Pathologen einerseits und andererseits durch die Bestätigung des klinisch bereits angenommenen guten Ansprechens auf die neoadjuvante Chemotherapie – jeweils möglich, eine Interimsmöglichkeit zu schaffen und das Ende der Chemotherapiephase abzuwarten.

Grundsätzlich hätte die Möglichkeit bestanden, bei marginalen Resektionsgrenzen oder aber schlechtem oder Nicht-Ansprechen auf die Chemotherapie, die alternativ in Erwägung gezogene Unterschenkelamputation durchzuführen, ohne dass sich bei dieser „Rückzugsmöglichkeit“ die Chancen für den Patienten verändert oder verschlechtert hätten.

Der Vorteil der Zweizeitigkeit lag weiterhin darin, dass durch die Schanz’schen Pins während der Chemotherapie mit ihren Aplasiephasen das Risiko einer Pin-Infektion nicht unnötig gesteigert worden wäre. Die Montage des Fixateurs externe und der anschließende Kallustransport waren somit ohne übermäßiges Risiko einer lokalen und auch einer systemischen Infektion möglich.

Das vorgestellte Verfahren ist eine Alternative zu einer Unterschenkelamputation. Die Möglichkeit der Rekonstruktion mittels Tumorprothese ist nur sehr begrenzt. Lee [6] beschreibt in einer kleinen Serie von 6 Patienten nicht nur die Möglichkeit von Infektionen, sondern auch von einem Taluskollaps in 2 Fällen. Auch die beiden Fälle von Gosheger et al. [8] mit Rekonstruktion der totalen Tibia mittels Tumorprothese haben nur einen kurzen Nachbeobachtungszeitraum, und es ist zu erwarten, dass insbesondere bei einem Follow-up von 10 Jahren und mehr wie bei diesen beiden beschriebenen Patienten das Risiko des Taluskollaps – je nach Körpergewicht und der Aktivität des Patienten – noch steigen wird. Die Rekonstruktion mittels Allograft wird in der Arbeitsgruppe von Frey sehr kritisch gesehen [2]; noch im Zeitraum von einem Jahr kam es zu einer Fraktur des Grafts, sodass eine neue Rekonstruktion in Erwägung gezogen werden muss oder letztlich eine Amputation erforderlich ist.

Die Funktion nach der hier beschriebenen Methode und die Lebensqualität sind nur minimal eingeschränkt und auch Patienten mit Tumorprothesenrekonstruktion oder Umdrehplastik weit überlegen [5]. Allerdings ist das Verfahren unabdingbar an bestimmte Voraussetzungen geknüpft: Es ist nur durchführbar, wenn der Tumor der distalen Tibia keine ausgeprägte Weichteilkomponente hat. Ist das Gefäßnervenbündel involviert, ist der distale Unterschenkel nicht zu erhalten. Dies entspricht der allgemeinen Vorgehensweise bei malignen Extremitätentumoren, aber aufgrund der besonderen Anatomie mit sehr engen Verhältnissen am Unterschenkel ist dies eine Besonderheit dieser Lokalisation. Die zweite Voraussetzung ist, dass der Tumor ein möglichst gutes Ansprechen auf die präoperative Chemotherapie haben sollte. Der klinisch oder radiologisch vermutete Progress sollte auf jeden Fall zur Amputation disponieren. Die Zweizeitigkeit ist unabdingbar, denn das Risiko, während der Chemotherapie über die Pins eine Infektion zu generieren, erscheint uns außerordentlich hoch.

Die lange Therapiezeit von etwa einem Jahr bei der beschriebenen Rekonstruktionsstrecke setzt eine sehr gute Compliance und Geduld der Patienten und deren Eltern voraus.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Axel Hillmann

Zentrum für Sarkome und Muskuloskelettale Tumore

Asklepios Klinikum Bad Abbach

Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg

Kaiser-Karl-V.-Allee 3

93077 Bad Abbach

a.hillmann@asklepios.com

Literatur

1. El-Negery A, Elmoghazy NA, Abd-Ellatif MS, Elgeidi A: Vascularized fibular medialization for reconstruction of the tibial defects following tumour excision. Int Orthop. 2017; 41: 2179–87

2. Frey SP, Hardes J, Ahrens H, Winkelmann W, Gosheger G: Total tibia replacement using an allograft (in a patient with adamantinoma). Case report and review of literature. J Cancer Res Clin Oncol. 2008; 134: 427–31

3. Gosheger G, Hardes J, Leidinger B et al.: Total tibial endoprosthesis including ankle joint and knee joint replacement in a patient with Ewing sarcoma. Acta Orthop. 2005; 76: 944–6

4. Hardes J, von Eiff C, Streitbuerger A et al.: Reduction of periprosthetic infection with silver-coated megaprostheses in patients with bone sarcoma. J Surg Oncol. 2010; 101: 389–95

5. Hillmann A, Hoffmann C, Gosheger G, Krakau H, Winkelmann W: Malignant tumor of the distal part of the femur or the proximal part of the tibia: endoprosthetic replacement or rotationplasty. Functional outcome and quality-of-life measurements. J Bone Joint Surg Am. 1999; 81: 462–8

6. Lee SH, Kim HS, Park YB, Rhie TY,
Lee HK: Prosthetic reconstruction for tumours of the distal tibia and fibula. J Bone Joint Surg Br. 1999 Sep;81(5):803–7

7. Manfrini M, Bindiganavile S, Say F et al.: Is There Benefit to Free Over Pedicled Vascularized Grafts in Augmenting Tibial Intercalary Allograft Constructs? Clin Orthop Relat Res. 2017; 475:1322–37

8. Rödl R, Pohlmann U, Gosheger G et al.: [Ablative and extremity salvage tumor surgery of the lower extremity – a 10 year comparison]. Z Orthop Ihre Grenzgeb. 2001; 139: 183–8

Fussnoten

2 Asklepios Klinikum Bad Abbach

3 Zentrum für Sarkome und Muskuloskelettale Tumore, Asklepios Klinikum Bad Abbach

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5