Übersichtsarbeiten - OUP 02/2018

Langzeitergebnisse nach Resektion der distalen Tibia bei Osteosarkom und Kallusdistraktion

Keywords: callus distraction; limb salvage; osteosarcoma;
distal tibia; reconstruction

Citation
Hillmann M, von Kunow F, Hillmann A: Longterm results after resection of the distal tibia and callus distraction because of an osteosarcoma. OUP 2018; 7: 101–106 DOI 10.3238/oup.2018.0101–0106

1 Queen Victoria Hospital Orthodontic Department/Maxillofacial Unit, West Sussex, Great Britain

Das Osteosarkom ist in den meisten Fällen nahe dem Kniegelenk lokalisiert; die proximale Tibia ist der zweithäufigste Ort der Entstehung dieses malignen Tumors des Kindes- und Jugendalters. Die distale Tibia hingegen disponiert nur sehr selten für die Entwicklung eines malignen Tumors. Nur etwa 3 % aller Osteosarkome entstehen im Bereich der distalen Tibia.

Während sich für kniegelenknahe Tumoren neben verschiedenen Rekonstruktionsverfahren die Implantation einer modularen Tumorprothese als Goldstandard etabliert hat, die Infektionsraten bei guten Standzeiten der Prothese und aufgrund einer Silberbeschichtung auch moderat geworden sind [4], stellt die Rekonstruktion der distalen Tibia nach Tumorresektion eine Herausforderung dar.

Die operative Versorgung von Tumoren der Tibiadiaphyse hingegen ist technisch ebenfalls aufwendig und schwierig; die Implantation von kontra- oder ipsilateralen Fibulae – frei oder gefäßgestielt – hat eine hohe Zeitspanne bis zur möglichen Vollbelastung und die Komplikationsrate ist relativ hoch [1, 7]. Auch die Augmentation der Fibula mittels Allograft – einem sogenannten Mantelgraft – beinhaltet Risiken: Ermüdungsbruch des Grafts, Resorption oder Infektion des Fremdknochens und andere mögliche Komplikationen lassen nur wenig Rückzugsmöglichkeiten bei Versagen dieser Methoden zu.

Die Rekonstruktion der distalen Tibia ist hingegen schwierig. Die Implantation von Megaprothesen hat sich in diesem Bereich nicht durchgesetzt, auch wenn Einzelfallbeschreibungen des Ersatzes der distalen Tibia für einen kurzen Zeitraum Hoffnung [3] bei Patienten hervorrufen können. Die Verankerung einer schweren langen Prothese im Talus und die anschließende Belastung durch das ganze Körpergewicht stößt biomechanisch an ihre Grenzen, und so gibt es in der Literatur und nach unserer Kenntnis keine Beschreibung einer distalen Tibia-Megaprothese auch nur über einen annähernd adäquaten Zeitraum von mehreren Jahren.

Der Tumor der distalen Tibia stellt den rekonstruktiven Operateur somit vor Herausforderungen. Ein geringer Weichteilmantel des Unterschenkels und auch die enge Lagebeziehung zu der Gefäßnervenstraße auf der einen Seite und die schlechten biomechanischen Voraussetzungen für die Rekonstruktion mittels Tumorprothese andererseits führen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht selten zu der Überlegungen gegen eine Rekonstruktion und zu der Möglichkeit einer Amputation. Die funktionellen Ergebnisse nach Unterschenkelamputation sind durchweg gut [8], leichte und komfortable Exoprothesen bis hin zu Karbonprothesen mit energiespeicherndern Füßen oder elastischen Federn führen zu sehr guten funktionellen Resultaten der Patienten im täglichen Leben bis hin zu hervorragenden sportlichen Leistungen.

Dennoch ist die Amputation einer Extremität immer ein erheblicher Eingriff in die körperliche Integrität eines Menschen. Phantomschmerzen, die trotz Verbesserung in der Pharmakologie nach wie vor ein erhebliches Problem darstellen können, schlecht an Exoprothesen adaptierbare Stümpfe der Gliedmaße bis hin zu psychischen Beeinträchtigungen der zumeist jungen Patienten können Folgen sein, deswegen sollte eine Amputation vermieden werden, wann immer es möglich und onkologisch vertretbar ist.

Methode

Wir berichten über 2 Patienten, ein Mädchen (11 Jahre) und ein Junge (17 Jahre), die im Jahr 2001 (w) und 2003 (m) an einem Osteosarkom der distalen Tibia erkrankten. Die Patienten wurden neoadjuvant nach dem Osteosarkom-Protokoll COSS behandelt. Fristgerecht in der Woche 10 nach Beginn der Chemotherapie wurde die Resektion durchgeführt. Bei beiden wurde ein „gutes Ansprechen“ (Grad 2 nach Salzer-Kuntschik) durch den Referenzpathologen mit einer Zellzahl von vitalen Tumorzellen von bis zu 3 % im Resektat attestiert. Die Resektion war jeweils „im Gesunden“ erfolgt (R0-Resektion, weite Resektion nach Enneking). Die Resektionslängen des tumortragenden Knochens betrug 12,8 cm (w) und 13,5 cm (m). Es wurde jeweils ein Platzhalter aus Palacos-Zement mit Gentamycin eingelegt, dieser wurde mit einem Titan-Steinmann-Nagel gegen Luxation gesichert. (Abb. 1a–d).

Die Chemotherapie wurde postoperativ protokollgerecht über weitere 6 Monate durchgeführt. Nach Beendigung der Chemotherapie wurde 4 Wochen nach der Aplasie eine zweite Operation durchgeführt. Der Palacos-Zement-Spacer wurde entfernt, ein Fixateur-System der Fa. Orthofix mittels Monorail angelegt. Die Schanz’schen Schrauben waren in ihren Gewindegängen mit Hydroxyolapatit beschichtet, eine proximale Tibiaosteotomie wurde durchgeführt und der Segmenttransport vorbereitet. Aus dem ehemaligen Operationsgebiet wurde nochmals eine Gewebeprobe des makroskopisch unverdächtigen Areals um den ehemaligen Tumor entnommen und zur histologischen Beurteilung eingeschickt.

Nach 10 Tagen wurde dann das zu transportierende Segment nach distal transportiert – jeweils 1 mm pro Tag, in 4 Portionen pro Tag, jeweils eine Viertel Gewindeumdrehung der Transportspindel alle 6 Stunden. Während der Tage des Transports erfolgte von den Patienten bzw. den Eltern eine tägliche Reinigung und Wundpflege der Schanz’schen Schrauben.

Nach Erreichen des Talus durch den transportierten Knochen wurde 2 Wochen später eine sog. Docking-Operation durchgeführt. Dabei wurde die Wunde über dem transportierten Segment in Höhe der Talus-Rolle eröffnet, die Knochenkappe, die sich über dem Segment gebildet hatte, angefrischt, und eine Beckenkammspongiosaplastik durchgeführt. Die Talusrolle wurde im Bereich des andockenden transportierten Knochensegments decortiziert, das aus dem Beckenkamm gewonnene Knochenmehl wurde an das Segment angestößelt und umlagert. Diese Talusarthrodese wurde dann noch für die nächsten Wochen mit noch liegendem Fixateur ruhiggestellt.

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