Übersichtsarbeiten - OUP 06/2019

Low-grade-Infektionen bei Schulterprothesen

Robert Hudek, Hani Eltair, Mohamed Aboalata, Frank Gohlke

Zusammenfassung:

Endoprotheseninfektionen der Schulter stellen häufig ein komplexes Problem dar, das in der Regel eine operative Behandlung erfordert. Die typischen Behandlungsalgorithmen hinsichtlich Infektursache, Zeitpunkt und Keimspektrum sind auch bei dem Low-grade-Infekt zu berücksichtigen. Er unterscheidet sich aber von anderen Infekten dadurch, dass er häufig als solcher nicht erkannt wird. Das Therapiespektrum beinhaltet zum einen das prothesenerhaltende Debridement mit Komponentenwechsel sowie den 2-zeitigen, kompletten Prothesenwechsel unter Einsatz einer antibiotikabeladenen Interimsprothese. Von entscheidender Bedeutung ist die Erkennung eines Low-grade-Infekts, da die typischen klinischen Zeichen meist fehlen, und dessen sachgerechte Therapie, um eine Infektpersistenz und damit eine fortschreitende Schädigung des Knochenlagers zu vermeiden.

Schlüsselwörter:

Low-grade-Infektion, Protheseninfektion Schulter, Therapiealgorithmus Protheseninfekt, Revisionsendoprothetik Schulter

Zitierweise:

Hudek R, Eltair H, Aboalata M, Gohlke F: Low-grade-Infektionen bei Schulterprothesen.
OUP 2019; 8: 315–322

DOI 10.3238/oup.2019.0315–0322

Summary: An infected shoulder prosthesis is commonly encountered as a complex problem. It is challenging for the patient and the surgeon simultaneously because surgical treatment is mandatory in most of the cases. The treatment algorithms valid for prosthetic infections are applied in a Low-grade infection as well. They orientate on the infective cause, the timepoint of its appearance and the detected microbial spectrum. However, a Low-grade infection is difficult to recognize as such. Therapy options range from a prosthesis-preserving debridement with component replacement to a 2-step revision procedure including total and meticulous foreign body removal and temporary spacer implantation loaded with antibiotics. The detection of a Low-grade infection is the first and crucial step for an effective treatment because the typical infection signs are usually missing. An appropriate and early therapy is necessary in order to prevent the slow growing bacteria from further spread and persistence in the host tissue, because both can lead to progressive and significant bone damage.

Keywords: low grade infection shoulder, periprosthetic joint infection, treatment algorithm, revision arthroplasty shoulder

Citation: Hudek R, Eltair H, Aboalata M, Gohlke F: Low-grade infections in shoulder prostheses.
OUP 2019; 8: 315–322 DOI 10.3238/oup.2019.0315–0322

Für alle Autoren: Rhön Klinikum, Abteilung Schulterchirurgie, Bad Neustadt a.d. Saale

Einleitung

Die Schulterendoprothetik ist in der orthopädischen Chirurgie seit etwa 70 Jahren fest etabliert [1–4]. In den USA wurden 2008 etwa 50.000 Schulterprothesen implantiert, seither steigt diese Zahl jährlich um etwa 5000 Prothesen [5]. Dadurch steigt auch die Anzahl der Revisionseingriffe exponentiell [6, 7]. Vor 30 Jahren wurde eine Schulterprotheseninfektion zwischen 0,4 und 2,9 % angegeben [4]. Jüngere Ergebnisse berichten für anatomische Prothesen 1,1 % [8] und für inverse Implantate 3,8 % [9]. Bei den inversen Prothesen stellt die Infektion nach der Instabilität aber die zweithäufigste Komplikation dar [7]. In Deutschland werden an der oberen Extremität etwa 20.000 Prothesen/Jahr implantiert, woraus mehr als 3000 Wechseloperationen jährlich resultieren [10]. Eine Low-grade-Infektion provoziert in der Regel keine schwerwiegenden oder letalen Komplikationen, sie führt aber bei der Endoprothetik zu frühzeitigen Lockerungen und zu teils chronischen, langwierigen Verläufen, die häufig einen 2-zeitigen und vollständigen Prothesenwechsel erforderlich machen.

Falls eine Infektion auftritt, werden in der Regel auch bei adäquater Behandlung oft unbefriedigende Ergebnisse erzielt [4, 11–13]. Ein Schulterprothesenwechsel wird oft nur von spezialisierten Abteilungen sicher beherrscht, da ein hohes Maß an Erfahrung erforderlich ist [14].

Pathogenese und Klassifikation

Nach dem Zeitpunkt der Entstehung werden in der Regel 3 Hauptgruppen gebildet, der Low-grade-Infekt stellt eine vierte, gesonderte Kategorie dar:

  • 1. akuter, postoperativer Infekt (0–3 Monate),
  • 2. verzögerter, postoperativer Infekt (3 Monate–2 Jahre),
  • 3. Spätinfekt (> 2 Jahre),
  • 4. Low-grade-Infekt (Zeitpunkt der Entstehung unklar, häufig nicht erkannt).

Der akute Infekt ist meistens die Folge einer intraoperativen Keimverschleppung durch pathogene Keime (z.B. Staphylococcus aureus). Eine frühzeitige lokale Rötung, Überwärmung und starke Schmerzen sind früh nach dem Eingriff vorhanden. Wundheilungsstörungen und Fieber sind ebenfalls typisch und werden daher schnell erkannt. Die verzögerte Infektion ist in der Regel ebenfalls durch perioperativ verschleppte Keime verursacht, diese habe aber nur eine geringe Pathogenität. Ein Infekt entsteht dadurch stark verzögert. Diese Eigenschaften treffen vor allem auf niedrig pathogene Keime zu (z.B. Staphylococcus epidermidis). Die Spätinfektion erfolgt hingegen durch hämatogene Streuung. Sie manifestiert sich als systemischer oder subakut lokaler Infekt.

Die sog. Low-grade-Infektion ist eine besondere Entität, deren Ursache derzeit kritisch diskutiert wird. Die Besiedlung der menschlichen Schulter mit Cutibacterium acnes (zuvor als Propionibacterium acnes bekannt, umbenannt 2016) ist höher als a n anderen Gelenken [15], und deshalb wird das Auftreten dieser Art von Infekten gerade in der Schulterchirurgie häufig beobachtet [15–22]. Weil die Low-grade-Infektion üblicherweise keine klinischen Infektzeichen präsentiert, wird sie selten und wenn, dann häufig erst sehr spät erkannt. Überwärmung und Rötung der Haut oder Fieber fehlen fast immer. Es imponiert meistens nur eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit und allenfalls leicht erhöhte Entzündungsparameter (C-reaktives Protein, CRP zwischen 1–3 mg/dl). Der Keimnachweis langsam wachsender Bakterien ist zudem nicht trivial. Anaerobierkulturen mit besonderen Kulturmedien (Thioglycolat oder Blutkulturmedium) müssen angelegt werden [23]. Zudem werden mehrere Gewebeproben aus unterschiedlichen Anteilen des periprothetischen Gewebes gefordert [24].

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6