Übersichtsarbeiten - OUP 06/2019

Low-grade-Infektionen bei Schulterprothesen

Im Zweifel kann auch eine Szintigrafie helfen, weil sie eine Gewebereaktion als Stressreaktion erkennt und damit den erhöhten lokalen Stoffwechsel detektiert. Sie ist aber nicht in der Lage, dessen Ursache festzustellen, und eine Infektion kann daher nicht mit ausreichender Spezifität erkannt werden [43]. Die Genauigkeit liegt auch mit modernen Methoden höchstens zwischen 50 und 70 % [43].

Eine sonografisch kontrollierte Gelenkpunktion bietet sich bei erkennbaren Flüssigkeitskollektionen zur weiteren Diagnostik an. Eine blinde Punktion erweist sich oft als unzureichend, da kein repräsentatives Aspirat gewonnen werden kann.

Therapiealgorithmus

Wenn der Verdacht auf eine Low-grade-Infektion besteht, so besteht in der Regel die Indikation zur operativen Versorgung. Die weitere Behandlung orientiert sich dann systematisch an der Ursache, dem Stadium, der Ausdehnung, dem Keimspektrum und dem allgemeinen Zustand des Patienten bzw. seinen Vorerkrankungen (Rheuma, Diabetes mellitus).

Als therapeutische Optionen bei manifestem Low-grade-Infekt bestehen:

  • 1. partieller Wechsel der Komponenten oder
  • 2. kompletter Wechsel der Prothese.

Dieser kann a) einzeitig oder b) 2-zeitig unter Einsatz einer antibiotikabeladenen, artikulierenden Interimsprothese erfolgen. Als Rückzugsoption bietet sich die Resektionsarthroplastik an. Für eine Arthrodese reicht die knöcherne Abstützung zur Herbeiführung einer knöchernen Fusion nach Prothesenexplantation in der Regel nicht aus.

Bei Verdacht auf eine Low-grade-Infektion gilt es, zunächst die Diagnose zu sichern. Dies kann mitunter schwierig sein, da laborchemische und klinische Parameter in der Regel unauffällig sind. Eine aseptische Glenoidlockerung kann bei länger einliegender Prothese einen Infekt vortäuschen. Eine Kontrollarthroskopie sollte dann angeboten werden, sie verfolgt 3 Ziele:

  • 1. Beurteilung einer Glenoidlockerung,
  • 2. der mikrobiologischen und histologischen Probenentnahme und
  • 3. der endoskopischen Arthrolyse.

Bei Verdacht auf Beteiligung der Weichteile kann eine MRT helfen, Infiltrationen oder Abszesse zu erkennen. Bei einliegender Prothese können jedoch erhebliche metallische Artefakte das Bild stark beeinträchtigen, weshalb ein Röntgen/CT meist zu bevorzugen ist. Da in der Regel Biofilmbildner beteiligt sind, sollte in Abhängigkeit von Keimspektrum und Komorbiditäten ein 2-zeitiger Wechsel bevorzugt werden. Eine nicht zielgerichtete Antibiotikatherapie mit zu kurzer Behandlungsdauer ist dringend zu vermeiden [44].

Therapieoptionen

Arthroskopische Spülung

Eine arthroskopische Spülung ist zur vorübergehenden Entlastung eines Empyems und zur Vermeidung einer Septikämie sinnvoll. Zur Behandlung einer Low-grade-Infektion kommt sie eigentlich nicht zu Einsatz, da sich dieser Infekt über einen langen Zeitraum entwickelt und nicht frühzeitig erkannt wird. Wenn ein Biofilmbildner involviert ist, ist eine arthroskopische Spülung selten erfolgreich und kaum indiziert [44].

Offenes Debridement

Bei frühen Infektstadien kann in der Regel ein Debridement unter Erhalt der zementierten oder knöchern fest verankerten Prothesenteile durchgeführt werden [44]. Es stellt die Alternative zum Prothesenwechsel dar, sollte aber möglichst innerhalb der ersten 8 Tage nach Infektmanifestation durchgeführt werden [45]. Meistens macht sich eine Low-grade-Infektion aber erst nach längerem Zeitraum und mit Osteolysen um die Prothesenkomponenten bemerkbar, sodass auch der Wechsel der gelockerten Komponenten erforderlich ist. Wenn sich im Rahmen einer Kontrollarthroskopie der Verdacht auf einen Low-grade-Infekt bestätigt hat, so muss die weitere operative Strategie geplant werden, die ein chirurgisches Debridement obligat beinhaltet. Eine Spülung mit der Jet-Lavage mit lokalem Antiseptikum (z.B. Lavasept) und mehreren Litern Spülflüssigkeit (z.B. Ringer-Lösung) wird ebenfalls in jedem Revisionsfall gefordert. Der Wechsel von leicht zu entfernenden Teilen wie dem Polyethyleninlay oder der Glenosphäre bei inversen Prothesen sollte immer durchgeführt werden, da somit auch Biofilme entfernt werden. Auch die Hohlräume, wie z.B. hinter der Glenosphäre einer inversen Prothese, sollten eröffnet und gespült werden. Im Anschluss empfiehlt sich eine resistenzgerechte Langzeitantibiotikatherapie über einen Zeitraum von 3–6 Monaten.

Einzeitiger Prothesenwechsel

Über den einzeitigen Wechsel ist in der Literatur wenig beschrieben [12, 46]. Vor dem Beginn einer antibiotischen Therapie müssen zunächst multiple Proben (mindestens 5 verschiedene Lokalisationen) zur mikrobiologischen Untersuchung aus repräsentativem Gewebe (Kapsel/Synovia) und aus dem Protheseninterface entnommen werden. Nach Prothesenentfernung wird gründlich debridiert und analog zum offenen Debridement unter ausreichender Spülung mit Lavasept und einigen Litern Ringer-Lösung gespült. Es sollte antibiotikabeladener Zement verwendet werden (empirisch Gentamycin/Vancomycin). Die Antibiotikatherapie erfolgt oft kalkuliert, da der Keim nicht bekannt ist. Erst nach Eintreffen des Antibiogramms kann resistenzgerecht behandelt werden. Bei Anaerobiern kann die Anzucht allerdings bis zu 14 Tagen dauern. In einem Kollektiv der Mayo Clinic (n = 2279) wurden lediglich 2 Patienten mit periprothetischem Infekt mit einzeitigem Prothesenwechsel behandelt. Ein Patient wurde bereits 9 Monate später bei Infektrezidiv mit einer Resektionsarthroplastik versorgt [12]. Hsu et al. hatten retrospektiv 55 Patienten nach einzeitigem Prothesenwechsel für mindestens 2 Jahre und durchschnittlich 4 Jahren nachuntersucht. Bei der Studiengruppe wurde C. acnes kulturell nachgewiesen, bei der Kontrollgruppe nicht [47]. Weil kein Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt wurde, folgerten die Autoren, dass C. acnes-Infekte auch einem einzeitigen Prothesenwechsel unterzogen werden können [47]. Die Interpretation dieser Ergebnisse ist aber schwierig, da C. acnes intraoperativ bei über 36 % der Patienten mit schulterchirurgischem Ersteingriff gefunden wird [41]. Somit kann der Keimnachweis auch die Folge einer Kontamination darstellen. Der Revisionsgrund wird von den Autoren nicht genannt, somit lässt sich die Frage nach der Effektivität eines einzeitigen Prothesenwechsels nicht konklusiv beantworten.

2-zeitiger Wechsel

Der 2-zeitige Wechsel stellt bei manifesten Low-grade-Infektionen unter Keimnachweis das Standardverfahren dar, für das es in der Literatur ausreichende Evidenz gibt. Die gesamte Prothese wird entfernt, und eine antiobiotikabeladene, artikulierende Interimsprothese (Spacer) wird implantiert (Abb 1 a–e). Die Ergebnisse für dieses Verfahren sind zuverlässig [12, 48, 49]. Der 2-zeitige Wechsel hat den Vorteil, dass die Biofilme samt der von ihnen besiedelten inerten Oberflächen entfernt werden. Der antibiotikabeladene Zement entfaltet lokal einen hohen Wirkspiegel. Mit einem artikulierenden Spacer lassen sich zudem spongiöse Flächen versiegeln, und die Beweglichkeit bleibt in geringem Umfang erhalten. Somit wird die Schrumpfung der periartikulären Weichteile verhindert und die Implantation der Revisionsprothese erleichtert. Auch die Planung des Wechseleingriffs unter Berücksichtigung von Knochen- und Weichteildefekten fällt bei einliegendem Spacer leichter, und die Implantatwahl ist besser planbar [50]. Der 2-zeitige Schulterendoprothesenwechsel wird in unserem Hause nach folgendem Therapiealgorithmus durchgeführt (Abb. 2):

  • 1. präoperative Kontrollarthroskopie des Gelenks in einem separaten Eingriff und Entnahme mehrerer mikrobiologischer und histologischer Proben (vor Beginn der Antibiotikatherapie),
  • 2. offene Revision des Gelenks mit Explantation der Prothese, Debridement und intraoperativer Probengewinnung (Mikrobiologie und Histologie),
  • 3. Implantation eines handgeformten, artikulierenden PMMA-Spacers, angereichert mit keimspezifischem Antibiotikum (Gentamycin/Vancomycin). Eine Verstärkung des Spacers durch einen implantierten Gewindestab ist empfehlenswert. Gegebenenfalls ist auch ein knöcherner Glenoidaufbau notwendig.
  • 4. Reimplantation bei unauffälliger Klinik- und Entzündungsfreiheit. Im Zweifelsfall kann eine Sonografie gesteuerte Punktion vorgeschaltet werden. Wegen der begleitenden Weichteilschäden durch den Infekt und die ausgeprägte Narbenbildung ist in der Regel der Wechsel auf eine inverse Prothese erforderlich.
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