Übersichtsarbeiten - OUP 06/2019

Low-grade-Infektionen bei Schulterprothesen

Ein Low-grade-Infekt steht meistens in Zusammenhang mit Biofilm-bildenden Bakterien [25]. Der häufigste Verursacher der Low-grade-Infektion der Schulter ist C. acnes (ca. 70 %) [19, 26]. Es ist ein opportunistisches Pathogen und kann invasive und chronische implantatassoziierte Infektionen verursachen [26]. Dabei ist vor allem der Biofilm verantwortlich, unter dem sich der Keim vor dem Zugriff des Immunsystems und vor Antiinfektiva versteckt. Ein Biofilm stellt einen sessilen Zusammenschluss von Bakterienzellen dar, der folgendermaßen definiert wird:

  • 1. Die Keime müssen sich zu einem Substrat verbunden haben oder Verbindung zu einem Interface oder zu sich selbst haben. Inerte Oberflächen bieten hier einen idealen Haftgrund [25, 27].
  • 2. Die Matrix des Biofilms muss aus zumindest teilweise selbst produzierten, extrazellulären, polymeren Substanzen bestehen.
  • 3. Die Keime im Biofilm müssen einen anderen Phänotypen bezüglich Wachstum, Gen Expression und Proteinbiosysthese aufweisen, als ihre planktonischen Artgenossen (als einzelne Zellen in Flüssigkeit) [28]. So wurden die Grundzüge eines Biofilms von Dunne et al. treffend als „Bakterien, Glykokalyx und Oberfläche“ zusammengefasst [29].

Die Eigenschaft niedrig pathogener Keime zur Produktion von Biofilmen stellt die Grundlage zur Entwicklung einer typischen Low-grade-Infektion dar. Die Diagnostik, Therapie und Prävention eines Low-grade-Infekts beschäftigt sich somit zwangsläufig mit den Eigenschaften des Biofilms. Wenn es gelingt, den Biofilm zu eliminieren oder die Keime an der weiteren Proliferation aus dem Biofilm zu hindern, kann es gelingen, den Low-grade-Infekt erfolgreich zu behandeln. Die Matrix aus der ein Biofilm konstruiert ist, kann aus endogen oder exogen produzierten Polysacchariden, Proteinen und/oder extrazellulärer DNA zusammengesetzt sein, die sich je nach Bakterienspezies und deren Untergruppen unterscheidet [28]. Eine Organisationsstruktur eines Biofilms kann aus einzelnen wenigen Zellen bis hin zu einer dicken Schicht aus multiplen Zelllagen bestehen, die sich strukturell und funktionell erheblich voneinander unterscheiden können [27]. Die Struktur des Biofilms orientiert sich in der Regel an der lokalen Infrastruktur, die dem Keim zur Verfügung steht. Dazu zählen die Verfügbarkeit von Nahrung, der Abtransport von Abfällen und Gas sowie die Platzbedürfnisse [29]. Meistens besteht im Biofilm ein komplexes Netzwerk aus Kanälen, durch die Nährstoffe in tiefere Regionen zu den Artgenossen transportiert werden.

Sobald ein Fremdkörper in Kontakt mit dem körperinneren Gewebe kommt, so beschichtet der Wirt diesen Fremdkörper sehr rasch (innerhalb von Minuten) mit einer extrazellulären Matrix aus Proteinen, einer „Grundschicht“. Die verschleppten Keime bleiben dann an der Oberfläche dieser Grundschicht haften. Wenn es der Granulozytenabwehr des Wirtes nicht gelingt, das Pathogen an dieser ersten Haftung an der Oberfläche zu hindern, gewinnt der Keim in der Regel „das Rennen“. Der von Gristina et al. beschriebene „race for the surface“ ist dann damit für den Wirt verloren [30]. Wenn die Einbettung im Biofilm vollzogen ist, kann die neutrophile Granulozytenabwehr die Erreger kaum noch erreichen und eradizieren [31]. Die Resistenz gegenüber antimikrobiellen Mechanismen ist dann gegenüber ihrer planktonischen Form bis zum Faktor 1000, erhöht [32; 33]. Folglich bedürfen Infekte durch Biofilm-Bildner häufig einer chirurgische Therapie [34, 35].

Während eine aseptische Schaftlockerung zementierter Schäfte nur sehr selten zu beobachten ist, lockert das Glenoid nach Verläufen von 10–15 Jahren meist aufgrund mechanischen Versagens aus. Dies wird vor allem durch Partikelabrieb provoziert. Dabei stellen männliches Geschlecht, eine posttraumatische Arthrose oder das Auftreten avaskulärer Nekrosen Risikofaktoren dar [36]. Radiologische Osteolysezonen rund um das Glenoid treten bereits regelhaft nach ca. 5 Jahren auf und sind nicht zwangsläufig durch einen Infekt verursacht [37]. Dies muss bei der präoperativen Beurteilung berücksichtigt werden. Eine vorzeitige Schaftlockerung nach weniger als einem Jahr stellt hingegen einen Hinweis für das Vorliegen einer Low-grade-Infektion dar.

Klinik und Diagnostik

Die Diagnostik zur Erkennung von Protheseninfekten schließt laborchemische, radiologische, klinische Parameter und prädisponierende Risikofaktoren ein.

Dabei gelten die grundsätzlich prädisponierenden Faktoren für die Entstehung eines Infekts auch für den Low-grade-Infekt. Dazu zählen ein hohes Alter (> 80 Jahre), Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis, bereits implantierte Endoprothesen (Hüfte, Knie), vorhergehende Eingriffe am Schultergelenk, Hautläsionen sowie schlechter Ernährungszustand oder i.v. Drogenabusus [38]. Der Low-grade-Infekt scheint aber vor allem Männer und solche jüngeren Alters zu betreffen [39]. Sie erlitten mehr als doppelt so häufig eine Infektion in einer Langzeituntersuchung an über 2500 Patienten nach primärer Schulterendoprothetik als Frauen [39]. Der typische Low-grade-Keim C. acnes wird intraoperativ vor allem bei Männern vorgefunden [19, 40, 41]. Selbst bei gesunden Patienten kann bei einem schulterchirurgischem Ersteingriff aus intraoperativen Proben des OP-Situs C. acnes in über 36 % der Fälle nachgewiesen werden [41]. Bei einer Prothesenrevision liegt die Chance den Keim bei einem Mann zu finden bei mehr als dem Faktor 6 (Odds ratio, OR 6,4, 95 % CI: 3,1–14,1) [19].

Typisch für Low-grade-Infekte sind radiologische Lockerungszeichen im Röntgenbild. Wenn dort Osteolysen beobachtet werden, so steigt die Chance, einen C. acnes bei der Revision zu finden, um den Faktor 13 an (OR 12,9; 95 % CI: 2,9–92,5) [19]. Wenn also ein Saum um den humeralen Schaft innerhalb des ersten Jahres nach Implantation auftritt, so handelt es sich in der Regel um eine infektassoziierte Lockerung. Ein Saum um die zementierte Glenoidkomponente anatomischer Prothesen kann hingegen bis zu 2 mm betragen und tritt aseptisch nach etwa 5 Jahren oder später auf und ist in der Regel nicht infektassoziiert [37]. Weil die beobachterabhängige Variabilität bei der Beurteilung des Röntgenbilds hoch ist, wird beim Verdacht auf eine Lockerung die CT empfohlen [42]. Dabei wird die Darstellung der anatomischen Glenoidkomponente durch Lagerung des Arms in Abduktion wesentlich verbessert (ABER-Position = abduction and external rotation), da Metallartefakte, die von Schaft und Kalotte ausgehen, sich weniger auf das Glenoid projizieren. Alternativ lassen sich Dual-energy-CT-Untersuchungen zur Artefaktreduktion mit gutem Erfolg durchführen.

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