Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Möglichkeiten und Herausforderungen des individualisierten Beckenteilersatzes bei ausgeprägten azetabulären Defekten

Die klinischen Ergebnisse von individuellen Beckenteilersätzen sind aufgrund der unterschiedlichen Implantatkonstruktionen sowie der uneinheitlichen Erfassung und Klassifikation der Defekte nur eingeschränkt vergleichbar, insgesamt sehr heterogen und für eine Vielzahl angewendeter Implantate nicht vorhanden.

Lediglich zu individualisierten Triflange-Implantaten, bei denen die azetabuläre Komponente in ihrer anatomischen Position über 3 Laschen am Os ilium, Os ischium und Os pubis abgestützt und mittels Schrauben verankert wird, sind bis heute mehrere Studien publiziert, die eine annähernd evidenzbasierte Beurteilung dieser Implantate zulassen [18, 46].

DeBoer et al. (2007) berichteten anhand von 20 Patienten und einem durchschnittlichen Follow-up von 10 Jahren über keine Revisionsnotwendigkeit, einen Anstieg des Harris-Hip-Score (HHS) von 41 auf 80 und sichtbare Kallusbildung in 18 Patienten [15].

Colen et al. (2013) zeigten anhand von 6 Patienten und einem Follow-up von 10–58 Monaten insgesamt ebenfalls gute radiologische und zufriedenstellende klinische Ergebnisse, ohne Notwendigkeit eines Revisionseingriffs [13].

Taunton et al. (2012) berichteten hingegen von einer Revisionsrate von insgesamt 30,3 % (20/57) und einer Dislokationsrate von 21,1 % (12/57) bei einem Follow-up von 65 Monaten (24–215 Monate) sowie einem vergleichbaren postoperativen HHS von 74,8 Punkten. 81 % der Patienten zeigten bei der letzten Kontrolle eine stabile Komponente mit ausgeheilter Beckendiskontinuität [46].

Berasi et al. (2015) stellten bei 24 Eingriffen und einem Follow-up von 57 Monaten (28–108 Monate) eine Revisionsrate von 16,7 % (4/24) fest. 2 der 4 Revisionen wurden hierbei aufgrund von Infekten, die anderen beiden aufgrund von periprothetischen Frakturen notwendig [3].

Wind et al. (2013) zeigten an 19 Hüftrevision mit periazetabulären Defekten vom Typ III und IV nach AAOS und einem durchschnittlichen Follow-up von 31 Monaten (16–59 Monate) eine Verbesserung des Harris-Hip-Scores von 38 auf 63 und einer Erfolgsrate von 65 %. Beim letzten Follow-up berichteten allerdings nur 43 % der Patienten von einer Verbesserung gegenüber der präoperativen Situation [49].

Citak et al. (2017) zeigten bei 9 Patienten, die bei ausgeprägtem azetabulären Defekt mit individuellen Implantaten versorgt wurden, eine Implantat-bezogene Überlebensrate von 89 %. Allerdings war die Gesamt-Komplikationsrate mit 56 % vergleichsweise hoch [12].

Mit Blick auf die Implantationsgenauigkeit der individuellen Implantate bei Typ-3-Defekten nach Paprosky konnten Baauw et al. (2015) anhand von 16 Patienten mit Blick auf Inklination, Anteversion und Rotation in 43,8 % suboptimale Positionen feststellen [1]. Vor diesem Hintergrund kann eine Kombination mit Impaction-bone-Grafting die Implantation in der klinischen Praxis erleichtern.

Zusammenfassend kann man sicherlich festhalten, dass die bisher publizierten Ergebnisse individualisierter Beckenteilersätze (Triflanges) in Anbetracht der limitierten Ausgangssituation durchaus zufriedenstellend sind und berechtigt Anlass zur Hoffnung geben, dass diese Lösungsstrategien bei hochgradigen Beckendefekten eine Verbesserung für den Patienten bedeuten werden.

Alternativen zum
Beckenteilersatz

Generell kommen für die schwer versorgbaren Paprosky-3B-Defekte mit chronischer Diskontinuität mehrere Strategien zum Einsatz. Neben den bisher beschriebenen Beckenteilersätzen, deren Stabilität über einen craniale Fixation am Os ilium gewährleistet wird, findet vielfach auch das Distraktionsprinzip des Defekts mit Augmenten, Cup/Cage-Konstrukten oder BS-Ringen Anwendung [45]. Bei differenzierter Betrachtung untersuchter Kollektive konnte jedoch gezeigt werden, dass bei 3B-Defekten mit Diskontinuität die 5-Jahres-Überlebensraten von BS-Ringen lediglich 57,7 % betrug [24], was vielfach als Kritikpunkt für diese Versorgung gesehen wird [6, 22].

Sockelpfannen werden über einen konischen Stem im Os ilium verankert und sind daher auch, was die Versorgungsstrategie betrifft, als Alternative zu individualisierten Beckenteilersätzen zu nennen. Ob diese Verankerung aber für eine langfristige Stabilität des Implantats ausreicht, ist anhand der bisher vorliegenden Daten zumindest fraglich. Selbst bei guter Knochensituation im Bereich der Beckenschaufel nach Tumorresektionen bei relativ jungen Patienten wurden lediglich Standzeiten von um die 80 % nach 3 Jahren [47] bzw. 60 % über 5 Jahre berichtet [10]. Im Revisionsfall bei entsprechend schlechterer Knochensituation sollten auch diese Ergebnisse schwer zu erreichen sein.

Wie bereits angesprochen, haben Großköpfe ihren Stellenwert als Salvage-Verfahren bei fehlender Rekonstruktionsmöglichkeit, sind jedoch aufgrund ihres Funktionsverlustes dem Ausnahmefall vorbehalten [21].

Zusammenfassung

Hochgradige Knochendefekte und Beckendiskontinuitäten sind herausfordernde Situationen, mit der orthopädische Chirurgen im Rahmen der Hüftrevisionsendoprothetik immer häufiger konfrontiert werden [4, 11, 14, 15, 25, 38]. Die Vielzahl der Behandlungsmethoden unterstreicht die hohe Komplexität in Diagnostik und Therapie sowie die Tatsache, dass bisher kein System allen Anforderungen gerecht wird. Die mit zunehmendem Defekt ansteigenden Versagensraten der Standard-Revisionssysteme und die Entwicklung neuer Lösungen in den Bereichen Software und Fertigungstechnik führten zur Entwicklung individuell angepasster Komponenten bis hin zum individuellen Beckenteilersatz [4, 11, 14, 15, 25, 38]. Letzterer ist nach unserer klinischen Erfahrung in Situationen mit über die Incisura ischiadica major hinausgehendem Knochendefekt oder bei nicht rekonstruierbarem dorsalem Pfeiler regelmäßig indiziert. Die Vorteile des Verfahrens liegen in der präoperativen Planbarkeit, der Wiederherstellung des physiologischen Offsets und des Drehzentrums, dem optimierten Bewegungsumfang und einer, insbesondere in Verbindung mit einer bipolaren Pfanne, relativ hohen Luxationssicherheit. Die Planung am virtuellen 3D-Modell erlaubt eine hohe Kongruenz zwischen Implantat und Knochenlager sowie eine Positionierung der Schrauben und Zapfen in stabilen Knochenbereichen. An klinisch evidenten Nachteilen ist sicherlich der hohe Schwierigkeitsgrad der Operation, die schwierige Positionierung des Implantats [1] und die fehlende Flexibilität bei veränderten anatomischen Verhältnissen zu diskutieren. Luxationen, wenngleich sie nicht immer eine operative Revision nach sich ziehen, stellen mit Raten von 4–30 % bei individuellen Triflange-Implantaten die häufigste Komplikation dar [11, 15, 25, 46, 49]. Außerdem kommt es in 11–14 % zur Migration der Komponenten [25, 46, 49] und durch die notwendige intraoperative Exposition in 4–8 % der Fälle zu Nervenverletzungen [11, 25, 46, 49]. Insgesamt lässt sich in Fällen, in denen die Anwendung von Standard-Revisionsimplantaten nicht erfolgversprechend erscheint, nach Implantation von Individualprothesen jedoch eine deutliche Verbesserung der klinischen Funktion festhalten [3, 11, 15, 25, 49].

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