Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

MPFL-Plastik – Indikationen, Technik und Ergebnisse

Mirco Herbort1, Michael J. Raschke1, Johannes Glasbrenner1

Zusammenfassung: Das mediale patellofemorale
Ligament (MPFL) ist der wichtigste Stabilisator gegen eine laterale Translation der Patella in der frühen Flexion und reißt bei traumatischer Patellaluxation.

Die Indikation zur MPFL-Plastik wird im Rahmen der individuellen Therapieentscheidung nach Patellaluxation gestellt und ist besonders bei Kindern häufig nicht trivial. Zur Indikationsstellung gehört eine dezidierte Analyse sämtlicher potenzieller instabilitätsförderenden Pathologien des Kniegelenks. Teilweise sollte neben der MPFL-Plastik ein kombinierter Eingriff mit Trochleaplastik oder ein Versatz der Tuberositas tibiae erfolgen.

Es stehen verschiedene OP-Techniken zur Verfügung, wobei sich insbesondere die Sehnenplastik mit Verwendung des
M. gracilis als Doppelbündel großer Beliebtheit erfreut. Alternative Methoden sind eine flache Sehnenplastik mit Verwendung der Quadriceps-Sehne und die dynamische MPFL-Rekonstruktion mit einer getunnelten Semitendinosus-Sehne.

Nach korrekt ausgeführter MPFL-Plastik kann die Reluxationsrate nach Patellaluxation nachweislich gesenkt werden. Die Operation sollte jedoch sogfältig indiziert und durchgeführt werden, da ansonsten schwerwiegende Komplikationen entstehen können.

Schlüsselwörter: Patellaluxation, MPFL-Plastik, Patellainstabilität

Zitierweise
Herbort M, Raschke MJ, Glasbrenner J: MPFL-Plastik – Indikationen, Technik und Ergebnisse.
OUP 2017; 6: 306–313 DOI 10.3238/oup.2017.0306–0313

Summary: The medial patellofemoral ligament (MPFL) is the main restraint against lateral translation of the patella in early flexion and is hurt in traumatic patellar dislocation.

Therefore, decision to MPFL-reconstruction is based on the individual assessment of risk factors after traumatic patellar dislocation. Especially in children indication for MPFL-reconstruction is not always easy and combined surgery addressing trochlea dysplasia and distal malalignment should be considered.

Many different techniques are described in literature, of which double bundle reconstruction using a M. gracilis graft is quite common amongst orthopaedic surgeons. A flat tendon reconstruction using quadriceps tendon graft mimics the anatomy and biomechancis of the native MPFL and a tunnel transfer of the semitendinosus tendon can be used to achieve a dynamic MPFL reconstruction.

If done correctly, MPFL reconstruction can help to reduce the risk of patellar redislocation. In order to avoid one of the potential intra- and postoperative complications, some important steps should be kept in mind.

Keywords: patella dislocation, MPFL reconstruction,
patella instability

Citation
Herbort M, Raschke MJ, Glasbrenner J: MPFL-Plastik – Indikationen, Technik und Ergebnisse.
OUP 2017; 6: 306–313 DOI 10.3238/oup.2017.0306–0313

Anatomie und Biomechanik

Das mediale Retinaculum patellae besteht aus 3 Schichten. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts differenzierte Tenney in der mittleren Schicht das mediale Patellofemorale Ligament (MPFL) als plane Bandstruktur mit horizontalem Faserverlauf zwischen der Membrana fibrosa der Kniegelenkskapsel und der Fascia cruris [40, 45].

Femoral setzt das MPFL zwischen Epicondylus femoris medialis und Tuberculum adductorium an [1, 23, 31]. Dort findet sich eine Verflechtung mit dem medialen Kollateralband sowie der Sehne des M. adductor magnus [1]. Patellar setzt das MPFL an den oberen zwei Dritteln des medialen Patellarands an und ist hier mit den Sehnen des M. vastus medialis und intermedius verbunden [1]. Nervenfasern im MPFL tragen zur Propriozeption bei [42].

Das MPFL fächert sich in der Breite von 10,6 ± 2,9 mm am femoralen Ansatz über 12 ± 3,4 mm in Bandmitte bis zu 28,2 ± 5,6 mm am patellaren Ansatz auf. Die Länge des Bands beträgt im Mittel 59,8 ± 4,1 mm [23] (Abb. 1).

Das MPFL ist der wichtigste Stabilisator gegen eine laterale Translation in den niedrigen Flexionsgraden [11, 35]. Der kraniale Anteil des MPFL ist in voller Extension gespannt, der kaudale Anteil dagegen bei etwa 30° Flexion [10, 33]. Ab 30° Knieflexion entspannt sich das MPFL und die Patella wird zunehmend durch die knöcherne Führung der Trochlea femoris stabilisiert [1, 32].

Gemäß aktuellen biomechanischen Testungen beträgt die Versagenslast des MPFL zwischen 190,7 und 208 N. Die Steifigkeit wird mit 29,4 ± 9,8 Nm beziffert [1, 13, 20] (Abb. 2).

MPFL-Ruptur und
OP-Indikation

Bei gesundem Kniegelenk ohne höhergradige Dysplasie oder Achsabweichung wird eine traumatische Patellaluxation nur durch ein adäquates Trauma mit Ruptur des MPFL ausgelöst [35, 37]. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass jede Patellaluxation mit einer akuten Ruptur oder einer vorbestehenden Instabilität des MPFL einhergehen muss.

Im Falle einer Patellaluxation besteht jedoch häufig eine relevante Begleitpathologie, die eine grundsätzliche Instabilität der Patella bzw. Luxationsneigung begünstigt. Die stabilisierenden Faktoren des patellofemoralen Gelenks können in 3 Gruppen eingeteilt werden:

1. statische Stabilisatoren

2. passive Stabilisatoren

3. aktive Stabilisatoren

Zu den statischen Stabilisatoren wird vor allem die knöcherne Geometrie der Trochlea Femoris und der Patellarückfläche gezählt. Eine Dysplasie der Trochlea femoris kann somit das Auftreten einer Patellaluxation begünstigen.

Zu den passiven Stabilisatoren werden die Patella stabilisierenden Bandstrukturen gezählt, wie z.B. das MPFL, das mediale Retinakulum, das mediale patellotibiale Ligament (MPTL), etc.

Die aktiven Stabilisatoren werden vor allem durch die muskuläre Führung der Patella bestimmt. Hier haben Muskelkraft, Muskelzug und Zugrichtung der Muskulatur eine wichtige Bedeutung.

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