Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

MPFL-Plastik – Indikationen, Technik und Ergebnisse

Häufig führt ein Valgustrauma des Kniegelenks, ähnlich dem typischen Verletzungsmechanismus der vorderen Kreuzbandruptur, zu einer lateralen Luxation der Patella. Eine traumatische Patellaluxation ohne instabilitätsfördernde Begleitpathologien kann vor allem durch einen direkten Schlag auf die mediale Patella erfolgen. Betroffen sind typischerweise junge Patienten mit hohem Aktivitätsniveau [2, 35]. In etwa der Hälfte der Fälle (44 %) finden sich gleichzeitig osteochondrale Frakturen, seltener zusätzlich Rupturen des medialen Kollateralbands oder des vorderen Kreuzbands [8, 35].

Die Indikation zur MPFL-Plastik sollte immer im Rahmen der individuellen Therapieentscheidung nach Patellaluxation gestellt werden.

Dabei muss zwischen Erst- und Rezidivluxation unterschieden werden. Bei traumatischer Patellaerstluxation ohne osteochondrale Flakefraktur galt die konservative Therapie lange Zeit als Goldstandard. Studienergebnisse der vergangenen Jahre haben jedoch zu einer differenzierteren Herangehensweise unter Einbeziehung der individuellen Anamnese, Anatomie und Begleitpathologien geführt [3, 27, 28].

Der Patella Instability Severity Score von Balcarek et al. bietet einen objektiven Algorithmus zur Therapieentscheidung bei erlittener Patellaerstluxation [3]: Gemäß einer Risikoanalyse fließen Alter, positive kontralaterale Anamnese, sowie die von Dejour [7] definierten 4 radiologisch erfassbaren Instabilitätskriterien ein:

1. Patellare Verkippung in der axialen Schicht (Patella Tilt ? 20° oder ? 20°)

2. Patella alta

3. erhöhter TT-TG-Abstand oder TT-PCL-Abstand

4. Ausprägung der Trochleadysplasie.

Sobald ein Punktwert von ? 4 nach Anwendung des PIS-Scores erreicht wird, liegt voraussichtlich ein erhöhtes Reluxationsrisiko vor und eine operative Intervention sollte in Erwägung gezogen werden.

Mit Hilfe des PIS-Score werden die 3 stabilisierenden Faktoren (statisch, aktiv und passiv) analysiert und somit die resultierende „Gesamtstabilität“ der Patella beurteilt.

Falls eine osteochondrale Verletzung ohnehin zu einer kurzfristigen OP-Indikation führt, sich jedoch nach individueller Risikoanalyse keine Indikation zur MPFL-Plastik ergeben hat, kann eine Naht des MPFL oder eine mediale Raffung (arthroskopisch oder offen) erfolgen. Die Rupturlokalisation des MPFL sollte jedoch vor Durchführung einer Naht anhand des MRT genauestens analysiert werden. Petri et al. fanden Läsionen an der patellaren Insertion bei signifikant jüngeren Patienten (im Mittel 19,5 Jahre alt), im Vergleich zur Läsionen an der femoralen Insertion (im Mittel 25,4 Jahre alt) [26].

Besteht klinisch (immer präoperative Narkoseuntersuchung!) eine patellare Instabilität bei über 30° oder bei noch deutlich höherer Flexion, ist dies ein Hinweis auf relevante Begleitpathologien. Somit sollten bereits nach Erstluxation schon Kombinationseingriffe mit Korrektur eines patellaren Malalignments oder Ausgleich einer Trochleadysplasie in Erwägung gezogen werden [12, 25, 44].

Treten nach konservativer Therapie, Naht des MPFL oder medialer Raffung erneute Rezidivluxationen oder anhaltende Instabilität auf, ist in jedem Fall eine operative Intervention zur Stabilisierung der Patella indiziert.

Multiple Luxations- oder Subluxationsereignisse stellen ein großes Risiko für die Entwicklung von patellofemoralen Knorpelschäden dar. Daher sollten rezidivierende Luxationen mittels einer stabilisierenden Operation behandelt werden.

Traumatische Patellaluxationen betreffen überwiegend junge, aktive Patienten, die sich teilweise noch im Wachstumsalter befinden [35]. Offene Wachstumsfugen galten lange Zeit als Kontraindikation für eine MPFL-Rekonstruktion. Es wurden mittlerweile jedoch unterschiedliche Methoden beschrieben, mit deren Hilfe eine MPFL-Rekonstruktion unter Schonung der Wachstumsfugen durchgeführt werden kann (siehe MPFL-Rekonstruktion bei Kindern mit offenen Wachstumsfugen).

OP-Techniken

Ziel der MPFL-Plastik ist es, die Patella in der frühen Flexion zwischen 0 und 30° Grad auf ihrem Pfad in die knöcherne Führung der Trochlea zu stabilisieren, ohne diesen wesentlich zu verändern. Hierfür ist eine möglichst anatomische und isometrische Rekonstruktion des MPFL notwendig.

Die MPFL-Plastik dient somit zur Rekonstruktion der passiven Stabilisatoren der Patella. Auf die statischen und aktiven Stabilisatoren nimmt sie keinen Einfluss.

Die Literatur bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken zur MPFL-Plastik. Diese unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Transplantatwahl, die femorale und patellare Fixierung sowie Vorspannung der Bandplastik und Position, in der diese durchgeführt wird.

Zur Rekonstruktion des MPFL kann die Semitendinosus-, Gracilis- oder Quadriceps-Sehne als Transplantat verwendet werden. Auch Techniken mit Verwendung der Sehne des M. adductor magnus oder Allografts sind beschrieben [46].

Dynamische Rekonstruktionen mit Transposition der Semitendinosus-Sehne sind von den statischen Techniken als anatomische Doppel- oder Einzelbündelrekonstruktion zu unterscheiden [16, 25, 30].

Doppelbündelrekonstruktion des MPFL mittels
Gracilis-Sehne

Häufig wird die Doppelbündelrekonstruktion unter Verwendung des M. Gracilis oder seltener des M. Semitendinosus angewendet [30, 34]:

Die Sehnenentnahme erfolgt minimalinvasiv, entsprechend der Sehnenentnahme einer Kreuzbandersatzoperation. Anschließend wird die patellare MPFL-Insertion offen präpariert und das Transplantat am proximalen und distalen Ende der patellaren Insertion fixiert (proximales Drittel der medialen Patellafacette) (Abb. 3).

Die patellare Fixierung mittels Interferenzschrauben, Titan-Fadenankern oder im transversalen Bohrkanal, scheint transossären Nähten oder einer Knochenbrücke biomechanisch überlegen zu sein [18].

Anschließend wird das mediale Retinakulum in der mittleren Schicht bis zur femoralen Insertion getunnelt. Die femorale Insertion des MPFL sollte dringend Bildwandler-gestützt aufgesucht werden: Schöttle et al. ermittelten in der streng seitlichen Röntgenprojektion bei kongruenten Femurkondylen einen Punkt, 1 mm anterior der Verlängerung des posterioren Kortex zwischen einer Orthogonalen auf Höhe des posterioren Ansatzes der medialen Femurkondyle und dem posterioren Punkt der Blumensaat-Linie als Ursprung des MPFLs [31].

Die beiden freien Enden des Sehnentransplantats werden armiert und in den Bohrkanal eingezogen. Bei 30° Kniegelenkflexion wird die Vorspannung des Sehnentransplantats eingestellt und zuvor die Isometrie im gesamten Bewegungsumfang kontrolliert: Bei endgradig freier Flexion sollte zwischen 0 und 30° keine übermäßige Lateralisation aus der Neutralstellung möglich sein (im eigenen Vorgehen erlauben wir eine ca. 8–10 mm laterale Translation).

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