Arzt und Recht - OUP 05/2013

Neue arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung zu Abmahnung und Zeugnis

Dies gelte selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 12.8.2010 – 2 AZR 593/09).

Grundsatz: Keine Differenzierung zwischen Entfernung und Rücknahme

Nicht zu beanstanden sei, dass das Landesarbeitsgericht nicht zwischen einem Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und einem solchen auf ihre Entfernung aus der Personalakte differenziert hat. Das Begehren auf Rücknahme einer Abmahnung wird neben dem auf ihre Entfernung aus der Personalakte zumeist nicht eigenständig verfolgt. Eine (mit dem Klageantrag) verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung ist dann als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu verstehen (vgl. BAG 27.1.1988 – 5 AZR 604/86; Hessisches LAG 22.6.2010 – 12 Sa 829/09; LAG Köln 15.6. 2007 – 11 Sa 243/07).

Vorliegend: Keine Entfernung wegen Arbeitgeberinteresse

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe kein schutzwürdiges Interesse mehr daran, dass die Abmahnung in deren Personalakte verbleibe, hielt im vorliegenden Fall der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand:

Personalakten sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über diese Verhältnisse geben (BAG 8.2.1989 – 5 AZR 40/88; 9.2.1977 – 5 AZR 2/76 = ArztR 1978, 34). Ein Arbeitnehmer kann deshalb nur in Ausnahmefällen die Entfernung auch solcher Aktenvorgänge verlangen, die auf einer richtigen Sachverhaltsdarstellung beruhen (BAG 8.2.1989 – 5 AZR 40/88; 7.9.1988 – 5 AZR 625/87; 13.4.1988 – 5 AZR 537/86). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Interessenabwägung im Einzelfall ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen könnte, obwohl der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (BAG 30.5.1996 – 6 AZR 537/95; 8.2.1989 – 5 AZR 40/88; 7.9.1988 – 5 AZR 625/87).

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine Abmahnung könne nach längerem einwandfreien Verhalten des Arbeitnehmers ihre Wirkung verlieren, wofür die Umstände des Einzelfalls maßgeblich seien (vgl. BAG 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 = ArztR 1987, 256). Dies treffe zwar zu. So könne es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre (vgl. BAG 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 = ArztR 1987, 256).

Berücksichtigt worden sei damit aber nur die Warnfunktion einer Abmahnung. Mit einer Abmahnung übe ein Arbeitgeber dagegen seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus. Zum einen weise er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und mache ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordere er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündige, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (BAG 11.12.2001 – 9 AZR 464/00; 30.5.1996 – 6 AZR 537/95; 26.1.1995 – 2 AZR 649/94).

Ein Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung setze demnach nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren hat. Der Arbeitgeber dürfe auch kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation der gerügten Pflichtverletzung haben. Der Arbeitnehmer könne die Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte nur dann verlangen, wenn sie für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses unter keinem rechtlichen Aspekt mehr eine Rolle spielen kann. Das durch die Abmahnung gerügte Verhalten müsse für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden sein. Das sei nicht der Fall, solange eine zu Recht erteilte Abmahnung etwa für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung oder Beförderung und die entsprechende Eignung des Arbeitnehmers, für die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder für die im Zusammenhang mit einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende Interessenabwägung von Bedeutung sein kann. Darüber hinaus könne es im berechtigten Interesse des Arbeitgebers liegen, die Erteilung einer Rüge im Sinne einer Klarstellung der arbeitsvertraglichen Pflichten weiterhin dokumentieren zu können. Demgegenüber verlangten die schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers nicht, einen Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung schon dann zu bejahen, wenn diese zwar ihre Warnfunktion verloren hat, ein Dokumentationsinteresse des Arbeitgebers aber fortbesteht. Auch wenn sich eine Abmahnung noch in der Personalakte befinde, sei im Rahmen eines möglichen Kündigungsrechtsstreits stets zu prüfen, ob ihr noch eine hinreichende Warnfunktion zukam (vgl. etwa BAG 18.11.1986 – 7 AZR 674/84).

Diese Voraussetzungen eines Entfernungsanspruchs habe das Landesarbeitsgericht nicht sämtlich geprüft:

Das Landesarbeitsgericht habe angenommen, die Abmahnung sei wegen Zeitablaufs nicht mehr wirksam und deshalb aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Ihr seit der Abmahnung beanstandungsfreies Verhalten lasse den Schluss zu, sie werde künftig ihre Arbeitspflichten ordnungsgemäß erfüllen.

Es sei jedoch nicht ersichtlich, ob die Abmahnung für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden ist. Das Landesarbeitsgericht habe insbesondere nicht gewürdigt, ob das gerügte Fehlverhalten der Klägerin weiterhin von Bedeutung für eine Beurteilung ihrer Fähigkeiten und Leistungen als Haushaltssachbearbeiterin sein konnte. Dagegen spreche nicht schon der Umstand, dass nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Gefahr einer erneuten Pflichtverletzung nicht mehr bestand.

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