Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Neuromodulation des Spinalganglions bei chronischen post-chirurgischen Knieschmerzen
Dorsal-Root-Ganglion-Stimulation: Eine Therapieoption bei chronischen Schmerzen nach Knieoperationen

Björn-Carsten Schultheis, Patrick A. Weidle

Zusammenfassung:

Chronische Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen stellen keine Seltenheit dar. Häufig sind sie neuropathischer Natur und schwierig zu behandeln. Für die Implantation von Knie-Endoprothesen liegt die Prävalenz für persistierende chronische Schmerzen bei Ersteingriffen bei etwa 20 %, kann aber nach Revisonseingriffen auf bis zu 40 % ansteigen. Nach dem Ausschluss einer kausalen Therapieoption kommen die klassischen Therapieverfahren wie Pharmakotherapie, Rehabilitation und lokale Infiltrationen schnell an ihre Grenzen. Der Grund hierfür liegt häufig in einer hohen neuropathischen Schmerzkomponente, die mit konventionellen Therapieoptionen nur schlecht zu behandeln ist. Hier stellt die Neuromodulation mit der Spinalganglien-Stimulation ein minimalinvasives, reversibles und validierbares Therapieverfahren dar, mit dem Betroffenen die Lebensqualität zurückgegeben werden kann.

Schlüsselwörter:
chronischer Schmerz, Neuromodulation, Knieoperation, Knie-TEP, DRG,
Dorsal-Root-Ganglion-Stimulation, neuropathischer Schmerz

Zitierweise:

Schultheis BC, Weidle PA: Neuromodulation des Spinalganglions bei chronischen post-chirurgischen Knieschmerzen. OUP 2019; 8: 550–558

DOI 10.3238/oup.2019.0550–0558

Summary: Chronic post-surgical pain is an important cause of morbidity that is often neuropathic in nature and has historically been difficult to treat. The prevalence of chronic postsurgical pain for the first total knee arthroplasty is about 20 % which increases to about 40 % after a revision surgery. After exclusion of treatable causes the classical treatment-strategies with pharmacological medication, rehabilitation and local infiltrations often reach their limits rather quickly. This may be due to a high component of neuropathic pain.
In these cases neuromodulation offers an interesting and potent treatment option with the dorsal root ganglion stimmulation, which is minimal invasive, reversible and trialed before permanent implantation, has a long lasting effect and the power the give back quality of life to the effected person.
Keywords: chronic pain, neuromodulation, knee surgery, TKA, total knee arthroplastic, DRG, dorsal root ganglion stimulation, neuropathic pain
Citation: Schultheis BC, Weidle PA: Neuromodulation of the dorsal root ganglion for chronic post-surgical knee pain. OUP 2019; 8: 550–558 DOI 10.3238/oup.2019.0550–0558

Björn-Carsten Schultheis, Patrick A. Weidle: Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und interventionelle Schmerztherapie, Krankenhaus Neuwerk, Mönchengladbach

Einleitung

Die Behandlung chronischer Schmerzen stellt eine große Herausforderung an die moderne Medizin dar. Vor allem das Management von Patienten mit chronisch-neuropathischen Schmerzen ist mit klassischen Therapieverfahren nur eingeschränkt möglich.

Chronische Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen stellen keine Seltenheit dar und sind in vielen Fällen neuropathischer Natur. Am häufigsten sind hier Patienten nach offenen Thoraxeingriffen, Mamma-Operationen, Leistenhernien-Repairs, aber auch nach Knie- und Hüft-TEP-Implantationen betroffen. Die Prävalenz liegt bei Ersteingriffen für Knie-Operationen bei etwa 20 % und steigt auf bis zu 40 % nach Revisionseingriffen. Eine weitere Steigerung der Prävalenz ist bei dem Vorliegen von Fibromyalgie als Komorbidität beschrieben [22].

Vor dem Beginn einer neuromodulativen Therapie steht in jedem Fall der Ausschluss einer behandelbaren Ursache. Bei persistierenden Schmerzen nach Knie-TEP-Implantationen muss zuvor eine kausale Therapieoption ausgeschlossen werden. Dies bedeutet in solchen Fällen den Ausschluss einer Fehllage inklusive rotatorischer Mangelkomponente, einer Prothesenlockerung, eines Infekts oder einer eher seltenen allergischen Reaktion auf das Implantat. Häufig sind hier neben der klinischen Untersuchung auch eine Sklettszintigrafie und die Aspiration von Gelenkflüssigkeit mit entsprechender laborchemischer und mikrobiologischer Untersuchung notwendig. Ist eine kausale Therapie nicht möglich, zählen neben einer angepassten Pharmakotherapie die diagnostischen und therapeutischen Infiltrationen der Nn. periarticulares und eine psychologische/psychiatrische Vorstellung zur konservativ-interventionellen Basistherapie. Bei nicht ausreichendem Therapieerfolg kommt es zum Einsatz komplexerer Techniken.

Am Ende dieser Behandlungsoptionen stehen die neuromodulativen Therapieverfahren. Dazu gehören die Neurostimulation des Spinalganglions (DRG: Dorsal-Root-Ganglion) (Abb. 1), die Spinal-Cord-Stimulation (SCS) oder die pharmakologische Neuromodulation mittels intrathekaler Pumpen. So können ansonsten austherapierte neuropathische Schmerzsyndrome erfolgreich behandelt werden.

Allerdings zeigte sich, dass die
bei großflächigen neuropathischen Schmerzsyndromen sehr effektive Spinal-Cord-Stimulation Nachteile bei fokalen neuropathischen Schmerzsyndromen hat. Die Behandlung dieses fokalen post-chirurgischen Schmerzsyndroms ist eine Domäne der Spinalganglien-Stimulation.

2016 veröffentlichten Deer et al. die Ergebnisse der ACCURATE-Studie (prospektiv randomisierte Multicenter-Studie), welche aufzeigen konnte, dass die Spinalganglien-Stimulation der Spinal-Cord-Stimulation mit tonischer Stimulation bei der Behandlung des CRPS I und II überlegen war [5].

Hierbei zeigte sich in der DRG-Gruppe eine signifikante Verbesserung der Schmerzstärke und der Lebensqualität, und es traten deutlich weniger Parästhesien auf, die von vielen Patienten als störend empfunden werden. In den letzten Jahren zeigte sich die Effektivität der Spinalganglien-Stimulation nicht nur beim CRPS [2, 3], sondern auch bei der Behandlung anderer fokaler neuropathischer, post-chirurgischer Schmerzen, wie dem Postherniotomie-Syndrom, dem Phantomschmerz, chronischen Schmerzen nach Knie-Prothesen-Implantationen oder Postmastektomie-Syndromen [5, 8, 9, 28, 27, 20].

Dass die Spinalganglien-Stimulation eine ernstzunehmende Behandlungsoption bei therapieresistenten post-chirurgischen Knieschmerzen darstellen kann, wurde erstmalig von Paul Verrils in einer Fallserie beschrieben [28].

Die Langzeiteffektivität der DRG-Stimulation wurde in einer Studie von Liem et al. nachgewiesen [20]. Die Autoren beschreiben eine signifikante Verbesserung der Stimmung, des Schmerzes und der Lebensqualität 12 Monate nach Behandlungsbeginn bei unterschiedlichen, neuropathischen Schmerzsyndromen. 2018 veröffentlichten Hunter et al. die Ergebnisse einer Multicenter-Studie mit 217 Patienten, von denen 44 an post-chirurgischen Schmerzsyndromen litten. Die Ergebnisse entsprachen dem positiven Outcome der ACCURATE-Studie [14].

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