Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Neuromodulation des Spinalganglions bei chronischen post-chirurgischen Knieschmerzen
Dorsal-Root-Ganglion-Stimulation: Eine Therapieoption bei chronischen Schmerzen nach Knieoperationen

Genetische Veränderungen im DRG durch periphere afferente Nervenverletzungen sind ein weiterer Grund für die Entstehung neuropathischer Schmerzen. Hierbei kommt es ggf. im Rahmen der Neuroplastizität zu Veränderungen der Gene für Neuropeptide, Rezeptoren, Ionenkanäle, Signaltransduktions-Moleküle und Proteine des synaptischen Vehikels [29].

Dies ist einer der Mechanismen, warum das Spinalganglion selbst zum ektopen Schrittmacher werden kann und somit eigenständig Aktionspotenziale auch ohne weiteren Efferenz-Input aus dem Schmerzgebiet generieren kann. Die Schmerzen können auch ohne weiter fortbestehenden Schaden weiter aufrechterhalten werden.

Zusammenfassend kommen dem Spinalganglion 3 Hauptmechanismen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung neuropathischer Schmerzen zu:

ektope Schrittmacher-Funktion

gestörte Low-Passfilter-Funktion

gestörte aktive Weiterleitung der Schmerzefferenzen.

Diese pathologischen Mechanismen lassen sich durch die Spinalganglien-Stimulation einschränken oder umkehren. Weiterhin scheint es sich in tierexperimentellen Rheuma-Studien zu bewahrheiten, dass auch eine direkte Modulation des inflammatorischen Systems vorhanden ist [4].

Anatomische Grundlagen

Beim Menschen gibt es 31 paarige (jeweils rechts und links) gemischte Spinalnerven, die für die Weiterleitung autonomer, sensorischer und motorischer Informationen aus der Peripherie und aus dem Rückenmark verantwortlich sind. So finden sich zervikal 8 paarige Spinalnerven, thorakal 12, lumbal und sakral jeweils 5 Nervenpaare sowie ein coccygeales Paar. Diese Spinalnerven bilden sich aus dem sensorischen, dorsalen afferenten Axonen und den ventralen motorischen efferenten Axonen und treten jeweils aus den Neuroforamen zweier benachbarter Wirbel heraus [10, 11].

Beim Austritt der sensorischen dorsalen Nervenwurzel aus dem
Neurofarmen bildet sich das Dorsalganglion. Es handelt sich um eine Ansammlung von bipolaren Zellkörpern, welche von Gliazellen umgeben sind und den Axonen der sensorischen Zellen des Dorsalganglions, die die primären afferenten sensorischen Nerven bilden. Die sensorischen Dorsalganglienneurone werden als pseudounipolare Neurone bezeichnet. Sie besitzen 2 Axonarme, die funktionell als ein Axon agieren und dem im Dorsalganglion liegenden Zellkern, der über einer T-Junction miteinander verbunden ist.

Ablauf

Indikationen

In Anbetracht der Schlüsselrolle des Spinalganglions bei der Generation und Unterhaltung von chronischen neuropathischen Schmerzen steigt die Einsatzmöglichkeit der DRG-Stimulation als neues neuromodulatives Therapieverfahren stetig.

Chronische, fokale neuropathische Schmerzsyndrome, wie sie auch im Rahmen von postchirurgischen Schmerzsyndromen auftreten, sind eine Domäne der Spinalganglien-Stimulation. Diese kann, falls notwendig, allein oder in Kombination mit anderen neuromodulativen Verfahren eingesetzt werden.

Interessanterweise lassen sich aber periphere neuropathische Schmerzen, wie sie z.B. bei peripheren iatrogenen Nervenverletzungen auftreten können, so gut behandeln, dass mittlerweile die Indikation zur Neurolyse peripherer Nerven seltener gestellt wird.

Präinterventionelle Diagnostik

Voraussetzung für die Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen mithilfe der Spinalganglien-Stimulation ist – wie auch bei der Therapie mittels SCS – neben der vollständigen körperlichen Anamneseerhebung und körperlichen Untersuchung des Patienten die Ausschöpfung und Dokumentation sämtlicher anderer konservativer Verfahren. Auch eine neurologische Abklärung und die Dokumentation des Status quo sind als obligat anzusehen.

Zur schmerztherapeutischen Dokumentation empfehlen wir z.B. den DSF (Deutscher Schmerzfragebogen) der Deutschen Schmerzgesellschaft (vormals DGSS: Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes), in dem die wichtigsten Bereiche zur Schmerzqualität und -ausbreitung sowie den Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen erfasst werden. Bewährt hat sich ein EDV-gestütztes System, bei dem die Patienten über ein Tablett die Fragebögen ausfüllen können (pain detect, Pain-depression-Index, Schmerz- und Befindlichkeitstagebuch). Vor der Anwendung eines implantierbaren neuromodulativen Verfahrens sollte eine multimodale Schmerztherapie erfolgen, sofern konservative Therapiemaßnahmen noch nicht ausgeschöpft sind.

Vor der Implantation ist eine aktuelle Bildgebung des Wirbelsäulenabschnitts notwendig, in dem die DRG-Sonde implantiert werden soll. Komplettiert wird die bildgebende Diagnostik mit einem aktuellen MRT des für die Prozedur relevanten Wirbelsäulenabschnitts.

Generell ist außerdem zu empfehlen, alle Patienten vor Indikationsstellung im Rahmen einer vollstationären multimodalen Schmerztherapie einem Neurologen und Psychiater vorzustellen. Patienten mit psychiatrischen Begleiterkrankungen müssen stabil eingestellt und psychische Ursachen ausgeschlossen sein.

Unerlässlich ist die Stufendiagnostik oder das sogenannte Pain-Mapping mit BV- oder CT-gesteuerten diagnostischen PRTs (periradikuläre Therapie). Alternativ kann auch eine sensorische Austestung über Radiofrequenznadeln durchgeführt werden. Der Zugangsweg entspricht hier dem transforaminalen Zugangsweg wie bei der transforaminalen epiduralen Medikamentenapplikation.

Am Ende der Vorbereitungen und der Planung des Eingriffs sollten folgende Fragen beantwortet sein:

Welches Ganglion ist das Zielganglion?

Ist der Patient im Bereich der DRG-Sondenplatzierung voroperiert? (Dies kann eine Platzierung erschweren oder unmöglich machen.)

Liegen anatomische Variationen vor, die eine Implantation
erschweren können?

Welche Sondenlänge wird benötigt? Müssen Verlängerungen eingebaut werden, die eventuell eine spätere MRT-Tauglichkeit verhindern, oder sollte im Zweifel eine längere Sonde gelegt werden?

Notwendiges Instrumentarium

Für die Implantation einer DRG-Elektrode wird folgendes spezifisches Instrumentarium benötigt:

DRG Elektrode Spinal Modulation der Firma Abbott

Verlängerung zur perkutanen
Ausleitung

Punktionsset mit Tuhoynadel

Impulsgenerator mit Programmierer.

Zur Implantation benötigt man einen vollständig ausgerüsteten OP mit Bildwandler. Der Patient sollte auf adäquaten Lagerungskissen gelagert werden, um eine Endlordoisierung der WS zu erreichen. Es gelten die allgemeinen sterilen Kautelen und Vorsichtsmaßnahmen. Das Material kann bezogen werden über die Firma Abbott.

Präinterventionelle Aufklärung

Die Implantation einer DRG-Sonde bedarf einer speziellen Aufklärung. Nachfolgend sind Aufklärungshinweise zu spezifischen Komplikationen bzw. klinischen Konstellationen aufgelistet:

Blutung, Infektionen, Nerven-, Gefäß- und Rückenmark-Verletzungen, Querschnittslähmung, Blasen- sowie Mastdarmstörung, Sondendislokation und -brüche

Liquorverlustsyndrom mit starken persistierenden Kopfschmerzen und der Notwendigkeit eines Bloodpatches

Reoperationen und Generatorwechsel (u.a. bei Batterieerschöpfung)

Persistierende Schmerzen im Bereich des Rückens, gluteal und in der Generatortasche, Verschlimmerung des ursprünglichen Schmerzes

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