Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Neuromodulation des Spinalganglions bei chronischen post-chirurgischen Knieschmerzen
Dorsal-Root-Ganglion-Stimulation: Eine Therapieoption bei chronischen Schmerzen nach Knieoperationen

2018 veröffentlichten Morgalla et al. erstmalig die Ergebnisse von 62 Patienten mit einem Follow-up von 36 Monaten nach DRG-Stimulation. 27 dieser Patienten wurden aufgrund von chronischen Schmerzen nach Knieoperationen behandelt, von denen 16 Betroffene bis zu 3 Jahre nachbeobachtet wurden. Die durchschnittliche Senkung der VAS in dieser Gruppe betrug 69 %. Somit konnte eine mittelfristig stabile Schmerzreduktion belegt werden [21].

Schmerzen nach
Knie-TEP-Implantationen

Die DRG-Stimulation hat sich als effektiv bei der Behandlung von chronischen Schmerzen nach Knie-TEP-Implantation erwiesen [14, 20, 21, 28]. In den USA werden jährlich über 700.000 Knieprothesen implantiert und Revisionseingriffe durchgeführt. Die Inzidenz von neuropathischen Schmerzen wird mit bis zu 34 % angegeben [3, 18].

Auf den ersten Blick scheint die Spinalganglienstimulation nicht die adäquate Behandlungsoption für diese Patientengruppe zu sein, da man vermuten könnte, dass der Hauptschmerz nozizeptiver Natur ist. Nichtsdestotrotz berichten viele Patienten über neuropathische Komponenten, die durchaus im Vordergrund des Schmerzempfindens stehen können. In der DRG-FOCUS-Studie berichten die Autoren über 14 Patienten mit chronischen Schmerzen nach der Implantation, die erfolgreich mit der DRG-Stimulation behandelt werden konnten (12 Knie-TEP und 2 Hüft-TEP) [14].

Van Bussel berichtete über Ergebnisse von 12 Patienten mit CRPS, die auf das Knie beschränkt waren, und verglich die Ergebnisse der SCS-Therapie mit der DRG-Stimulation [26]. Bei den Patienten wurden vorübergehend gleichzeitig DRG- und SCS-Stimulationssonden gelegt und nacheinander randomisiert mit SCS und dann DRG-Stimulation getestet. Die Art der verwendeten Stimulation war verblindet. Zehn Patienten bevorzugten die DRG-Stimulation, 2 die SCS-Stimulation. Die Präferenz für eine DRG-Stimulation beruhte auf dem Fehlen von Parästhesien außerhalb des Schmerzbereichs und einer stabileren, von der Körperposition unabhängigen Stimulation.

In einem Fallbericht beschreiben van Bussel et al. einen Patienten mit CRPS des Kniegelenks, welches sich nach einer diagnostischen Arthroskopie entwickelt hatte. Nach DRG-Stimulation der Spinalganglien auf der Höhe L2, 3 und 4 besserte sich die Situation deutlich. Zum 3-monatigen Follow-up berichtete der Patient, dass der anfängliche Schmerz (NRS) von 9 auf 1–2 gefallen war und dass sich die Bewegung des Knies verbessert hatte [27].

Bei einer zu erwartenden Zunahme von Knie-TEP-Implantationen ist davon auszugehen, dass die Anzahl der chronisch post-operativen Schmerzen ansteigen wird.

Grundlagen

Pathophysiologische Grundlagen

Bei der Suche nach neuen Therapieansätzen bot sich das Spinalganglion (Dorsal Root Ganglion) an, weil es eine hoch organisierte anatomische Struktur ist, die eine kritische Rolle in der Entstehung und Unterhaltung chronischer Schmerzen spielt.

Aus klinisch-praktischer Sicht sind daher die anatomischen Verhältnisse im Neuroforamen besonders zu beachten (Abb. 2a-b). Wichtig erscheint zudem, dass die Dorsalganglien den größten Anteil sensorischer Neurone im Körper beinhalten und in erster Linie für die Transduktion sensorischer Informationen aus der Peripherie und die Transmission an das zentrale Nervensystem verantwortlich sind. Die Zellkörper nehmen eine entscheidende Rolle bei der Modulation von Schmerzsignalen und sensiblen Impulsen ein, indem sie eigene Botenstoffe synthetisieren und freisetzen [7]. Das Dorsalganglion spielt keine passive Rolle bei der Entstehung chronischer Schmerzen, vielmehr ist es aktiv daran beteiligt. Die DRG-Neurone agieren nicht untereinander: Sie sind voneinander durch Satelliten-Gliazellen isoliert. Sie reagieren allerdings auf periphere und zentrale Stimuli wie Nozizeption, Verletzungen peripherer afferenter Nerven und Entzündungen. Im gesamten zentralen und peripheren Nervensystem sind die Nerven isoliert und durch die Blut-Hirn- sowie Blut-Nervenschranke geschützt [2, 25]. Bei den Spinalganglien verhält sich das anders: Es gibt keine Blut-Nerven-Schranke und sowohl große und kleine Moleküle als auch Makrophagen können die Satellitengliazellen überwinden [13].

Die Satellitengliazellen exprimieren Rezeptoren für verschiedene neuroaktive Botenstoffe, z.B. Chemokine, Zytokine, Adenosin-5´-Triphosphat (ATP) und Bradykinin. Zum einen erreichen Signale von anderen Zellen die Satellitengliazellen, andererseits beeinflussen die Satellitengliazellen die DRG-Neurone und reagieren auf Signale aus ihrer direkten Umgebung. Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass sie an dem Prozess der Transmission im DRG beteiligt sind. So weiß man heute, dass bei der Entstehung neuropathischer Schmerzen nach peripheren Nervenverletzungen die Satellitengliazellen eine wichtige Rolle spielen [12]. Nachweislich sind sie bei den meisten Prozessen im peripheren und zentralen Nervensystem aktiv beteiligt [1]. Belegt ist zudem, dass sie sich sowohl morphologisch als auch biochemisch nach einer peripheren Nervenverletzung verändern [15, 19].

Nozizeptive Schmerzen entstehen durch die Umwandlung noxischer Stimuli sowie durch Transmission von Aktionspotenzialen zum Rückenmark und Gehirn. Neuropathische Schmerzen nach peripheren Nervenverletzungen sind charakterisiert durch eine Hypersensibilität, die durch eine Verringerung der Erregungsschwelle für Aktionspotenziale aus Nozizeptoren entsteht. Bei neuropathischen Schmerzen liegt die erniedrigte Erregungsschwelle sowohl für eine Nozizeptorenaktivität (Hyperalgesie) als auch für nicht noxische Stimuli vor (Allodynie) [17].

Neuropathische Schmerzen führen zu einer Aktivierung des Immunsystems [23]. So werden bei Verletzungen primär sensorischer Neurone und dem Auftreten neuropathischer Schmerzen eine Vielzahl pro-inflammatorischer Mediatoren freigesetzt, z.B. Eikosanoide, Bradykinin, Serotonin, Neurotrophine, Zytokine wie Interleukin, TNF-alpha, Interferon, Growth-factor, Chemokine, ATP
und Sauerstoffradikale aus den Schwann’schen Zellen und den Satellitengliazellen innerhalb des DRGs [16]. Die Aktivierung dieser Zellen führt zu einer Produktion von Schmerzmediatoren. Sie sensibilisieren die Gliazellen durch eine Herabsetzung der Erregungsschwelle und unterstützen somit die periphere und zentrale Sensibilisierung [6]. Interessanterweise führt eine Nervenläsion distal des DRGs zu einem größeren Untergang von Nervenzellen und der Freisetzung von TNF-alpha sowie einer erhöhten Inzidenz von neuropathischen Schmerzen als eine Verletzung proximal des DRGs [24]. Dies kann auch eine Erklärung für die Entstehung chronischer neuropathischer Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen sein.

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