Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Nicht-invasives Skoliose-Screening
Validitätsanalysen zur videorasterstereografischen FrüherkennungA validity study for early diagnosis by means of raster stereography

Jan Schröder1, Markus Liebig2, Jan-Thorben Sander3, Rüdiger Reer1, Klaus-Michael Braumann1

Zusammenfassung: Eine nicht-invasive Skoliose-Diagnostik sollte nicht nur zuverlässig und anwenderfreundlich sein, sondern auch eine direkte Umrechnung in Kennwerte ermöglichen, die bei Skoliosen als „Goldstandard“ anerkannt sind. Ziel war es daher, den rasterstereografischen „Skoliosewinkel“ anhand des radiologischen COBB-Winkels zu validieren. Inkludiert wurden 10 fachärztlich zugewiesene Patienten mit einem aktuellen Röntgenbild der gesamten Wirbelsäule (13–76 Jahre), die videorasterstereografisch (Formetric 4D-Average, DICAM II) im Hinblick auf ihren Skoliosewinkel untersucht wurden. Der radiologische COBB-Winkel wurde verblindet lege artis von einem Facharzt ermittelt. Bei klinisch relevanten Skoliosen (COBB > 10°) stimmten Formetric-Skoliose- und Röntgen-COBB-Winkel hochgradig überein (absolute Differenz 1,1° ± 1,4° (0°–3°); rho = 1,00; p < 0,01). Bei COBB-Winkeln ? 10° waren Korrelationen niedriger (rho = 0,49; p > 0,05) und die absolute Differenz größer: 5,9° ± 3,4° (1°–12°). Für klinisch nicht relevante COBB-Winkel ergaben sich rasterstereografische Abweichungen des Formetric-Skoliosewinkels, die denen des Quantec-Systems (Q-Winkel) entsprachen, für klinisch relevante skoliotische Wirbelsäulendeformitäten waren die Abweichungen sogar deutlich geringer. Trotz der Limitierungen durch den geringen Stichprobenumfang sprechen die Befunde für ein valides, nicht-invasives Screening mithilfe des Formetric-Systems für Personen mit klinisch relevanten Skoliosen.

Schlüsselwörter: Skoliose, Rasterstereografie, COBB-Winkel,
Validität

Zitierweise
Schröder J, Liebig M, Sander JT, Reer R, Braumann KM. Nicht-invasives Skoliose-Screening. Validitätsanalysen zur videorasterstereografischen Früherkennung.
OUP 2015; 12: 588–593 DOI 10.3238/oup.2015.0588–0593

Summary: A non-invasive scoliosis diagnosis procedure should not only be user-friendly and leading to reliable results, but it should also offer a resulting parameter that can easily be compared to the “gold standard“ of radiographic scoliosis imaging. So, the study was aiming at validating the raster stereography “scoliosis angle“ by means of radiographic COBB-angles. A total of 10 patients (13 to 76 years of age) were examined and recruited by an orthopaedic physician, if they agreed to participate as volunteers, and if there was a recently taken radiograph of the whole spine. COBB-angles were calculated blinded and lege artis from the radiographs. The participants’ spine shape was examined by means of raster stereography back shape reconstruction (Formetric 4D-Average, DICAM II) to reveal the “scoliosis angle“. For clinically imposing deformities (COBB > 10°), the radiography and raster stereography angles were very similar (rho = 1.00; p < .01): differences ranged between 0° and 3° (1.1° ± 1.4°). For smaller deformities (COBB ? 10°), correlations were lower (rho = 0.49; p > .05) and angle differences were ranging from 1° to 12° (5.9° ± 3.4°). For smaller deformities, we found numerical differences between COBB and Formetric-scoliosis angles that were in a line with earlier findings validating the Quantec-system (Q-angle). For screening purposes of clinically relevant scoliotic deformities, the Formetric spine shape reconstruction could explain the COBB angle even better, although study limitations concerning the sample size should be taken into account.

Keywords: scoliosis, raster stereography, COBB-angle, validity

Citation
Schröder J, Liebig M, Sander JT, Reer R, Braumann KM. Non-invasive scoliosis-screening. A validity study for early diagnosis by means of raster stereography.
OUP 2015; 12: 588–593 DOI 10.3238/oup.2015.0588–0593

Hintergrund und
Fragestellung

Rasterstereografische Verfahren zur Rückenoberflächenvermessung und Rekonstruktion der Wirbelsäulenkurvatur werden seit Jahrzehnten im Therapie-Monitoring bei Skoliosen eingesetzt, um die Strahlenexposition insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu minimieren [1]. In einer jüngeren Übersichtsarbeit wurden unterschiedliche rasterstereografische Systeme in Vor- und Nachteilen qualifiziert [2]. Dem Formetric-System darf eine anwenderfreundliche Bedienung und eine Wirbelsäulenformanalyse in Echtzeit bescheinigt werden [3], während kritisiert wird, dass die Rekonstruktion der Wirbelrotation auf Korrelationsmodellen basiere [2]. Frühere Validitäts- und Nützlichkeitsanalysen konnten zwar eine gute Skolioseaufklärung ohne falsch-negative diagnostische Einschätzungen zeigen [4], die Befunde führten jedoch nicht zu Konsequenzen in der Praxis, weil ein Transfer zum radiologischen „Goldstandard“ nicht gelang [5, 6]. Jüngste technische Weiterentwicklungen ermöglichen nun eine direkte Vergleichbarkeit mit dem COBB-Winkel.

Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, diesen „Skoliosewinkel“ radiologisch zu validieren, bzw. Abweichungen vom COBB-Winkel zu quantifizieren.

Material und Methoden

Studiendesign

Die vorliegende Arbeit zur Verfahrensvalidierung wurde als prospektive Querschnittstudie durchgeführt, wobei vorliegende Röntgenaufnahmen im Sinne einer retrospektiven Analyse genutzt wurden.

Stichprobenbeschreibung

Für die aktuelle Vorstudie konnten 10 Patienten (4 Frauen und 6 Männer) im Alter von 13–76 Jahren (51,7 ± 19,6 Jahre; BMI: 25,4 ± 4,9 kg/m²) akquiriert werden. Die Probanden wurden von einer orthopädischen Facharztpraxis zugewiesen, wenn sie grundsätzlich mit einer nicht invasiven Wirbelsäulenformanalyse zu Studienzwecken einverstanden waren.

Einschlusskriterium war, dass die Patienten im Rahmen ihrer vorliegenden orthopädischen Problematiken bereits eine ärztlich indizierte Röntgenaufnahme der gesamten Wirbelsäule haben mussten und dass es grobe klinische Hinweise für Wirbelsäulenformdeformitäten gab (z.B. asymmetrischer Taillenknick, Rippenbuckel, Schulter- oder Beckenschiefstand, Oberkörperschiefstellung). Die Röntgenaufnahmen sollten aktuell sein, damit die Patienten für die Akquise in Frage kamen.

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