Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Nicht-invasives Skoliose-Screening
Validitätsanalysen zur videorasterstereografischen FrüherkennungA validity study for early diagnosis by means of raster stereography

Eine Eignung für die Früherkennung von Skoliosen und für das Skoliose-Monitoring wurde jüngst einem „Functional Classification System“ (FCS) bescheinigt, das auf Wirbelsäulenformanalysen mit einem anderen rasterstereografischen System basiert: dem Quantec Spinal Image System (QSIS) [18]. Dieses System stellt mit dem „Q-Winkel“ einen Kennwert zur Beschreibung skoliotischer Wirbelsäulenkrümmungen in der Frontalebene analog zum COBB-Winkel bereit, der – bei Beachtung von nicht ganz unaufwendigen Datenerhebungsstandards – reproduzierbar erfasst werden konnte [19]. Korrelationen zwischen Q- und COBB-Winkeln waren befriedigend hoch (0,63–0,70) [20].

Das System wurde für die Praxis jedoch als aufwendig und anwenderunfreundlich beschrieben. Eine technische Weiterentwicklung, der Milwaukee Topografic Scanner (MTS), sollte diesen Mängeln begegnen und konnte aktuell als objektiv und reliabel qualifiziert werden, sodass der MTS als Instrument zum Skoliose-Monitoring empfohlen wurde [21].

Wenn angenommen werden darf, dass der MTS die gleichen Eigenschaften zur Abschätzung des radiologischen COBB-Winkels hat wie der Gerätevorgänger (QSIS), dann können die Daten der vorliegenden Untersuchung mit diesen rasterstereografischen Systemen in Beziehung gesetzt werden. Für QSIS wurde eine mittlere Abweichung des Q-Winkels vom COBB-Winkel von etwa 6°, bei milden bis schwachen skoliotischen Schwingungen von < 21° beschrieben [20]. Dies kommt den hier ermittelten Abweichungen des Skoliosewinkels (Formetric) vom COBB-Winkel von im Mittel ebenfalls 6° (1°–12°) bei kleinen und minimalen COBB-Winkeln bis 10° nahe. Aber im Gegensatz zum QSIS Q-Winkel nimmt die Abweichung des Skoliosewinkels (Formetric) vom radiologischen COBB-Winkel bei ausgeprägten Skoliosen (COBB bis 32°) deutlich ab – auf im Mittel nur 1° (0°–3°).

Korrelationen zwischen Skoliosewinkel (Formetric) und COBB-Winkel waren für ausgeprägte Skoliosen höher als beim Q-Winkel des Quantec-Systems (rho = 1,00; p ? 0,01), für kleine und minimale COBB-Winkel jedoch geringer und statistisch nicht signifikant (rho = 0,49; p > 0,05) und für die Gesamtgruppe vergleichbar groß (rho = 0,77; p ? 0,01) wie beim Q-Winkel.

Problematisch erscheint – bei einer relativ guten Übereinstimmung der Skoliose- und COBB-Winkel – die schwächere Übereinstimmung von rasterstereografischem Skoliose-Apex und radiologischem Neutralwirbel; bei minimalen Deformitäten lag eine Abweichung von bis zu 6 Wirbelkörpern vor. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass das Formetric-System die Wirbelsäule nicht vollständig rekonstruiert, sondern lediglich die Wirbelkörper von C7 bis L4 detektiert, sodass auch Skoliosewinkelberechnungen und die korrespondierende Lage des Neutralwirbels nur innerhalb dieser Segmente vorgenommen werden konnten (Abb. 1).

In diesem Zusammenhang muss auf Limitierungen der aktuellen Arbeit hingewiesen werden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur auf einer sehr kleinen Stichprobe basiert. Angaben zur Sensitivität oder Spezifität [18] sind somit derzeit nicht möglich. Aus technischer Sicht wurde es von Liu et al. [2] als Nachteil beschrieben, dass die Oberflächenrotation bei der Rückenrekonstruktion mit dem Formetric-System auf biomechanischen Korrelationsmodellen basiere, die zu einer mittelbaren Berechnung der vertebralen Rotation herangezogen würden.

Außerdem sollte in Erinnerung bleiben, dass adipöse oder greise Patienten – wegen einer fragwürdigen Rekonstruktionsgüte – für diese Studie nicht immer inkludiert werden konnten. Diese Einschränkung wird in der Praxis jedoch dadurch relativiert, dass es sich beim typischen Klientel in der Skoliosefrüherkennung und im Skoliosetherapie-Monitoring um jüngere oder sehr junge Patienten handelt, bei denen derartige Limitierungen des Formetric-Systems nicht beschrieben wurden.

Schlussfolgerungen
für die Praxis

Die vorliegende Arbeit war als orientierende Vorstudie konzipiert und konnte trotz der angesprochenen Limitierungen die pragmatische und klinische Nützlichkeit der videorasterstereografischen Screening-Diagnostik stützen.

Bei verlässlichen rasterstereografischen Rekonstruktionen können insbesondere klinisch relevante skoliotische Deformitäten mit dem Formetric-System strahlenfrei und ohne falsch-negativen Befund in guter Übereinstimmung zum COBB-Winkel detektiert werden.

Für eine weiterführende Validierung mit Bestimmung der Spezifität und Sensitivität sind größere Fallzahlen notwendig.

Interessenkonflikte: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. Jan Schröder

Universität Hamburg, Fakultät für
Psychologie und Bewegungswissenschaft, Institut für Bewegungswissenschaft, Arbeitsbereich Sport- und
Bewegungsmedizin

Turmweg 2

20146 Hamburg

jan.schroeder@uni-hamburg.de

Literatur

1. Nash CL Jr, Gregg EC, Brown RH, Pillai K. Risks of exposure to X-rays in patients undergoing long-term treatment for scoliosis. J Bone Joint Surg Am 1979; 61: 371–374

2. Liu XC, Thometz JG, Tassone JC, Paulsen LC, Lyon RM. Historical review and experience with the use of surface topographic systems in children with idiopathic scoliosis. OA Musculoskelet Med 2013; 1: 9–19

3. Asamoah V, Mellerowicz H, Venus J, Klöckner C. Oberflächenvermessung des Rückens. Wertigkeit in der Diagnostik der Wirbelsäulenerkrankungen. Orthopade 2000; 29: 480–489

4. Harzmann HC. Stellenwert der Videoraserstereographie als schulärztliche Screeningmethode von skoliotischen Fehlhaltungen und strukturellen Skoliosen. Dissertation. München: Ludwig-Maximilians-Universität München, 2000

5. Hackenberg L, Hierholzer E, Bullmann V, Liljenqvist U, Götze C. Rasterstereographic analysis of axial back surface rotation in standing versus forward bending posture in idiopathic scoliosis. Eur Spine J 2006; 15: 1144–1149

6. Liljenqvist U, Halm H, Hierholzer E, Drerup B, Weiland M. Die dreidimensionale Oberflächenvermessung von Wirbelsäulendeformitäten anhand der Videorasterstereographie. Z Orthop 1998; 136: 57–64

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