Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Nicht-invasives Skoliose-Screening
Validitätsanalysen zur videorasterstereografischen FrüherkennungA validity study for early diagnosis by means of raster stereography

Die Güte der Rekonstruktion war für die Teilgruppe mit COBB-Winkeln > 10° im Stichprobenmittel um etwa 1° besser, als in der anderen Teilgruppe. Dieser Unterschied war jedoch nicht signifikant (p = 0,352). Da die Unterschiede zwischen 1. und 2. Messung innerhalb der Teilgruppen ebenfalls nicht signifikant waren, wurde die Validierung der Wirbelsäulenformrekonstruktion im Vergleich zum Röntgen anhand der gemittelten rasterstereografischen Skoliosewinkel (SKOLmx1–2) vorgenommen (Tab. 2).

Röntgenologische COBB- und rasterstereografische Skoliosewinkel unterschieden sich signifikant in der Gesamtgruppe (SKOL mx1–2 15,6° ± 7,5° vs. COBB 11,6° ± 8,9°; p = 0,012) und bei den klinisch irrelevanten COBB-Winkeln ? 10° (SKOL mx1–2 12,2° ± 4,9° vs. COBB 6,3° ± 3,4°; p = 0,028). Für die ausgeprägten Skoliosen mit COBB-Winkeln > 10° waren die Unterschiede jedoch nicht signifikant (SKOL mx1–2 20,8° ± 8,3° vs. COBB 19,6° ± 8,6°; p = 0,180).

Die Abweichung des gemittelten, rasterstereografischen Skoliosewinkels zum röntgenologischen COBB-Winkel war für die Subgruppe der klinisch relevanten Skoliosen (COBB > 10°) signifikant geringer, als für die Skoliosewinkel von COBB ? 10° (p = 0,038):

Gruppe COBB ? 10°: Abweichung SKOL mx1–2 zum Röntgen von 1°–12° (5,9° ± 3,4°)

Gruppe COBB > 10°: Abweichung SKOL mx1–2 zum Röntgen von 0°–3° (1,1° ± 1,4°).

Abweichungen zwischen radiologischem Neutralwirbel und rasterstereografischem Skoliose-Apex wurden als Differenz der Wirbelkörper ermittelt. Zwischen Röntgen und erster rasterstereografischer Rekonstruktion wurde für die Gesamtgruppe ein Fehler von 0–6 Wirbelkörpern (2 ± 2) beobachtet; für die zweite Rekonstruktion lag der Fehler bei 0–2 Wirbelkörpern (1 ± 1) innerhalb der Gesamtgruppe.

In der Fehlerhaftigkeit, den radiologischen Neutralwirbel deckungsgleich zu detektieren, gab es zwischen den Teilgruppen mit minimaler (COBB ? 10°) oder manifester (COBB > 10°) Skoliose keine statistisch abzusichernden Unterschiede, weder für die erste (p = 0,343), noch für die 2. rasterstereografische Rekonstruktion (p = 1.000), auch wenn in Einzelfallanalysen deutlich wurde, dass radiologischer Neutralwirbel und rasterstereografischer Skoliose-Apex häufiger übereinstimmten, wenn die Skoliose ausgeprägter war (Abb. 2), während bei minimalen skoliotischen Fehlstellungen größere Abweichungen zwischen Neutralwirbel (Röntgen) und Skoliose-Apex (Formetric) zu finden waren.

Trotz der geringen Stichprobenumfänge wurden Validitätskoeffizienten auf Rangskalenniveau für die Teilgruppen (n = 6, resp. n = 4) und die Gesamtstichprobe (n = 10) errechnet:

Gruppe COBB ? 10°: rho = 0,49 (p > 0,05),

Gruppe COBB > 10°: rho = 1,00 (p ? 0,01),

Gesamtgruppe: rho = 0,77 (p ? 0,01).

Diskussion

Die rasterstereografische Rekonstruktion gelang hinreichend gut, auch wenn sich die 1. und 2. Messreihe im Merkmal Skoliosewinkel um maximal 7° unterschieden. Für die Subgruppe der ausgeprägten Skoliosen betrug diese Abweichung maximal 5°. Unterschiede in der Rekonstruktionsgüte zwischen den beiden Subgruppen waren nicht signifikant (p > 0,05). Vergleichbare Unterschiede wurden auch für die wiederholte Ermittlung des radiologischen COBB-Winkels beschrieben [14].

Die Abweichungen der Rasterstereografie zum Röntgen waren für die Gruppe der klinisch irrelevanten Wirbelsäulendeformitäten mit etwa 6° im Mittel so ausgeprägt, dass sich COBB- und Skoliosewinkel signifikant unterschieden (p = 0,028), während bei den klinisch relevanten Skoliosen der Unterschied zwischen Röntgen und Rasterstereografie im Mittel nur etwa 1° betrug und statistisch nicht signifikant war (p = 0,180). Insgesamt waren rasterstereografische Skoliosewinkel in jedem Fall größer als röntgenologische COBB-Winkel. Die Ausprägung einer Skoliose wurde somit rasterstereografisch nie unterschätzt [4]. Im Falle ausgeprägter Skoliosen wurde der radiologische COBB-Winkel sogar sehr gut abgeschätzt (Abb. 2).

Bei ausgeprägten Skoliosen konnte ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen rasterstereografischer und radiologischer Quantifizierung des Skoliosewinkels ermittelt werden (rho = 1,00; p ? 0,01), was für geringfügige und minimale Skoliosewinkel nicht galt (rho = 0,49; p > 0,05), auch wenn hier Limitierungen durch die geringe Stichprobengröße beachtet werden sollten.

Die Ermittlung des radiologischen Neutralwirbels unterlag in der vorliegenden Untersuchung den regulären Fehlern, die einer manuellen COBB-Winkelberechnung immanent sind und den Fehlern, die auf die Erstellung des Röntgenbildes zurückzuführen sind [13, 14]. Beobachtete Abweichungen zum rasterstereografischen Skoliose-Apex lagen im Mittel bei 1–2 Wirbelkörpern, waren bei ausgeprägten Skoliosen jedoch geringer als bei klinisch irrelevanten Wirbelsäulendeformitäten.

Die Ergebnisse der aktuellen Vorstudie scheinen eine günstigere Abschätzung des COBB-Winkels zu erlauben als frühere Studien, die mit der älteren Software des Formetric-Systems immer 2 Kennwerte – frontale Seitabweichung und axiale Rotation der Wirbelkörper – gleichberechtigt betrachten mussten, um die Merkmale einer Skoliose als Ausmaß der skoliotischen Deformität zu beschreiben. Korrelationen zwischen Röntgen und Rasterstereografie waren in älteren Studien zwar akzeptabel, aber eine einfache und transparente Umrechnung zum COBB-Winkel „Goldstandard“ oder zu anderen skoliometrischen Winkelmaßen blieb unbefriedigend [2, 5]. Günstiger waren lediglich die Ergebnisse retrospektiver Längsschnittanalysen, die die Progression skoliotischer Winkelmaße vergleichend evaluiert haben [15–17].

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