Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Nicht-invasives Skoliose-Screening
Validitätsanalysen zur videorasterstereografischen FrüherkennungA validity study for early diagnosis by means of raster stereography

Im Einklang mit der Deklaration von Helsinki in der aktuellen überarbeiteten Fassung wurden die Probanden über den nicht invasiven Charakter einer lichtoptischen Rückenvermessung informiert und die Daten nach der statistischen Aufbereitung anonymisiert [7].

Für das Untersuchungsziel war die Geschlechtszugehörigkeit kein relevantes Gruppierungskriterium, vielmehr der Grad der röntgenologisch klassifizierten skoliotischen Wirbelsäulenkurvatur. Für die Bearbeitung der Fragestellung wurde die Gesamtgruppe daher unterteilt in solche, die eine klinisch relevante Skoliose aufwiesen (definiert als: COBB-Winkel > 10°) und solche, die keine relevante – röntgenologisch überprüfte – Deformität hatten (definiert als: COBB-Winkel ? 10°) (Tab. 1).

Messinstrumente

Videorasterstereografie (VRS)

Die Wirbelsäulenform wurde nicht-invasiv, rasterstereografisch analysiert (Formetric, Diers, Schlangenbad, Deutschland). Die digitale Rekonstruktion der Rückenoberfläche basierte auf lichtoptischen Rasterprojektionsmustern und den korrespondierenden Videokamerabildern (10 frames/sec). Videorasterstereografisch konnten somit dreidimensionale Formanalysen der Rückenoberfläche vorgenommen werden (Abb. 1), aus denen Lage und geometrische Orientierung unter der Haut liegender knöcherner Strukturen errechnet wurden (Auflösung 10 Pkt./cm², Rekonstruktionsfehler < 0,2 mm). Das Messprinzip wurde früher schon ausführlich beschrieben [8, 9]. Von großer Bedeutsamkeit war der berührungslose, strahlenfreie und automatisiert-digitalisierende Charakter der Datenerhebung, sodass die Ergebnisse nahezu in Echtzeit zur Verfügung standen.

Röntgenologische Validierungsstudien konnten hohe Zusammenhänge zwischen knöchernen Strukturen und den unter der Haut detektierten Prominenzen bzw. Einziehungen ermitteln, sodass die Vermessung der Rückenoberfläche gültige Rückschlüsse auf Strukturen des Achsenskeletts ermöglichte [10, 11].

Die Wirbelsäulenform und die
Beckenstellung in der Sagittalebene (Rumpfneigung, Kyphosewinkel, Lordosewinkel, Beckenneigung, Beckentorsion), in der Frontalebene (Skoliosewinkel, Lotabweichung, Beckenhochstand, Wirbelkörperseitabweichung) und in der Transversalebene (Wirbelrotation) konnten zuverlässig parametrisiert werden [12].

Für die aktuelle Fragestellung war die Lage des Neutralwirbels, bzw. des Skoliose-Apex und des Parameters „Skoliosewinkel“ (SKOL) von zentraler Bedeutung, die der statistischen Analyse zugeführt wurden. Der Skoliosewinkel wurde ähnlich wie der radiologische COBB-Winkel bestimmt, allerdings als größter eingeschlossener Winkel der Tangenten, die unterhalb der Deckplatten rasterstereografisch rekonstruierter Wirbelkörper anlagen und nicht ober- und unterhalb radiologisch abgrenzbarer Knochenstrukturen (Abb. 1).

Röntgen

Zur Gegenüberstellung mit rasterstereografischen Skoliosewinkeln wurde retrospektiv auf bestehende, maximal 2 Wochen alte Röntgenaufnahmen (konventionelles und digitales Röntgen) zurückgegriffen. Die Aufnahmen im anterior-posterioren Strahlengang mussten die gesamte Wirbelsäule abbilden, sodass Neutralwirbel und COBB-Winkel bestimmt werden konnten. Die Aufnahmen wurden durchweg von ein und demselben geübten Arzt „lege artis“ manuell und verblindet errechnet (grafisch, Strahlensatz-Trigonometrie), um Auswertungsfehler und Untersucherbias gering zu halten [13].

Untersuchungsablauf

Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten, wurden binnen 10 Tagen nach ihrem Röntgentermin zu einer rasterstereografischen Untersuchung eingeladen, die dann als Doppelmessung im Abstand von etwa 5 Minuten an einem Tag durchgeführt wurde. Anhand der wiederholten videorasterstereografischen Aufnahmen, wurde zunächst die Güte der Rückenoberflächenrekonstruktion beurteilt und entschieden, ob die Aufnahmen geeignet waren, den rasterstereografischen Skoliosewinkel verlässlichen zu erfassen.

Patienten sehr hohen Alters (> 75 Jahre) konnten zum Teil nicht berücksichtigt werden (n = 2), weil die Rückenoberfläche dem Alter entsprechend sehr unregelmäßig strukturiert war (Hautfalten bei lockerem Bindegewebe), sodass eine rasterstereografische Rückenoberflächenrekonstruktion nicht verlässlich gelang; andersherum war die Rekonstruktion manchmal auch bei ausgeprägter Adipositas so fraglich, dass die entsprechenden Personen nicht inkludiert werden konnten (n = 2).

Die verbleibenden Personen (n = 10) wurden in Abhängigkeit ihres COBB-Winkels den definierten Subgruppen (COBB ? 10° respektive > 10°) zugeordnet (Tab. 1).

Statistische Methoden

Die Daten wurden als Mittelwert und Standardabweichung (SD) und in ihrer Spannweite (Minimum bis Maximum) beschrieben. Stichprobenunterschiede wurden verteilungsfrei geprüft, bei abhängigen Stichproben mithilfe des Wilcoxon-Paartests und bei unabhängigen Stichproben mithilfe des U-Tests (Mann/Whithney). Für Zusammenhangsanalysen wurde der Rangkorrelationskoeffizient (rho) berechnet (IBM SPSS V.20). Signifikanz wurde angenommen bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p ? 0,05.

Ergebnisse

Für die Auswertung wurden 2 Subgruppen gebildet (Tab. 2):

COBB ? 10° (klinisch irrelevant: n = 6; 46,5 ± 19,5 Jahre; BMI 25,8 ± 5,6 kg/m²; COBB 6,3° ± 3,4° von 1°–10°),

COBB > 10° (klinisch relevant: n = 4; 49,8 ± 28,8 Jahre; BMI 22,5 ± 5,5 kg/m²; COBB 19,6° ± 8,6° von 12°–32°).

Für beide Subgruppen wurde analysiert, ob sich die ermittelten Skoliosewinkel der 1. und 2. rasterstereografischen Messung unterschieden. Signifikante Unterschiede lagen nicht vor:

Gruppe COBB ? 10°: SKOL 12,0° ± 4,2° vs. SKOL 12,3° ± 6,4°; p = 0,684

Gruppe COBB > 10°: SKOL 21,5° ± 9,2° vs. SKOL 20,0° ± 7,7°; p = 0,357.

Um die Güte der rasterstereografischen Rekonstruktion zu qualifizieren, wurden die individuellen Differenzen im Skoliosewinkel (SKOLDIFF1–2) zwischen 1. und 2. Messung für beide Teilgruppen ermittelt:

Gruppe COBB ? 10° Differenz SKOL von 0°–7° (3,7° ± 2,3°),

Gruppe COBB > 10° Differenz SKOL von 1°–5° (2,5° ± 1,7°).

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