Übersichtsarbeiten - OUP 05/2015

Nicht-pharmakologisches und pharmakologisches Arthrose-Management unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität in Deutschland

Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Die vorliegende Arbeit enthält einen möglichen Behandlungspfad für das nicht-pharmakologische und das pharmakologische Arthrose-Management unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität in Deutschland, entstanden auf Basis der Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR), des American College of Rheumatology (ACR), der Osteoarthritis Reserach Society International (OARSI), des International Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) sowie der European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis and Osteoarthritis (ESCEO).

Schlüsselwörter: Arthrose, Management, pharmakologisch, nicht-pharmakologisch

Zitierweise
Jerosch J. Nicht-pharmakologisches und pharmakologisches Arthrose-Management unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität in Deutschland.
OUP 2015; 05: 240–247 DOI 10.3238/oup.2015.0240–0247

Summary: In the present paper we suggest a clinical algorithm for the non-pharmacological and the pharmacological osteoarthritis management considering the recommendations of the European League Against Rheumatism (EULAR), the American College of Rheumatology (ACR), the Osteoarthritis Reserach Society International (OARSI), the International Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) and the European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis and Osteoarthritis (ESCEO) taking into account the patient care in Germany.

Keywords: Osteoarthritis, management, non-pharmacological, pharmacological

Citation
Jerosch J. Non-pharmacological and pharmacological osteoarthritis management taking into account the patient care in Germany.
OUP 2015; 05: 240–247 DOI 10.3238/oup.2015.0240–0247

Einleitung

Da das Kniegelenk am häufigsten von einer Arthrose betroffen ist, dient es als Grundlage für Leit- und Richtlinien verschiedener Gesellschaften. Hierzu zählen die European League Against Rheumatism (EULAR) [1], das American College of Rheumatology (ACR) [2], die Osteoarthritis Reserach Society International (OARSI) [3, 4, 5, 6] und das International Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) aus Großbritannien [7, 8].

Eine weitere Organisation ist die European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis and Osteoarthritis (ESCEO). In dieser internationalen Gesellschaft werden verschiedene Arbeitsgruppen zusammengefasst, die Disease-Management-Programme (DMP) erarbeiten [9, 10], und die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die verschiedenen internationalen Guidelines und Empfehlungen auf die europäischen Versorgungsrealitäten zu beziehen. Die dahinter stehende Notwendigkeit war die Erkenntnis, dass die Guidelines in der Regel auf RCT (Randomized Controlles Trials) basieren, ohne die Versorgungsrealität in Europa mit einfließen zu lassen. Die von der ESCEO erarbeiteten Empfehlungen entstanden aus der Adaptation globaler [4, 5, 6] und kontinentaler Leitlinien [2] unter Hinzuziehung einiger nationaler Leitlinien in Zusammenschau mit den aktuellen europäischen Leitlinien [1]. Die Grundlage jedweder Arthrosetherapie ist eine Basisbehandlung.

Basisbehandlung

  • 1. Patienteninformation und Patientenschulung mit dem Ziel, den Patienten über die Art der Erkrankung und mögliche Behandlungsmaßnahmen zu informieren. Soweit notwendig, sollte der Behandler den Lebensstil des Patienten dahingehend beeinflussen, dass es nicht zu einer Progression der Erkrankung kommt. Die EULAR hat hierzu entsprechende Empfehlungen für das nicht pharmakologische Management von Hüft- und Kniearthrose (Patienteninformation, Education, Lebensstiländerung) gegeben [11].
  • 2. Gewichtsverlust bei übergewichtigen Patienten. Bei einem Gewichtsverlust von wenigstens 5 % innerhalb von 6 Monaten ist eine messbare Verbesserung der klinischen Symptomatik und der Gelenkfunktion zu erwarten [12]. Messier et al. [13] zeigten bei einem Gewichtsverlust von 10 % eine signifikante Verbesserung der klinischen Symptome. Ebenso fand sich eine Verbesserung der Qualität und der Dicke des medialen femoralen Gelenkkompartiment-Knorpels [14].
  • 3. Übungsprogramme. Patientenschulung soll insbesondere über Übungsprogramme sowie sportliche Aktivität informieren [11]. Beides hat einen positiven Effekt auf Schmerz und Funktion in unterschiedlichen Modellen (individuell, Gruppentraining, Home Exercises) [15]. Die genaue Dosierung des Trainings sowie die langfristigen Empfehlungen sind auf Grund der Studienlage noch unklar. Dennoch empfehlen alle Experten eine langsame Zunahme der Intensität und der Dauer der entsprechenden Übungsprogramme im zeitlichen Verlauf [11]. Es gibt keine Evidenz, dass Wassergymnastik effektiv ist hinsichtlich Schmerz und Funktion [16]. Quadrizeps-Kräftigungsprogramme sowie Trainingsprogramme für die untere Extremität gemeinsam mit aerobem Training wie beispielsweise Walken sind in der Literatur am besten dokumentiert [15]. Die meisten Autoren empfehlen ein gemischtes Programm, welches Muskelkräftigung, Verbesserung der aeroben Kapazität sowie Verbesserung der Flexibilität und der Beweglichkeit aufweist [11]. Auch für Tai Chi gibt es eine positive Empfehlung [17].

Arthrosetherapie-Algorithmus zusätzlich zum Basistraining

Oft ist die Basistherapie allein nicht ausreichend, um die Symptome und die Funktion oder gar die Progression der Arthrose zu verbessern. Hier gilt es immer, im Rahmen des gesamten ArthroseManagements, eine multimodale und interdisziplinäre Therapie zu wählen, welche individuell auf den Patienten zugeschnitten ist. Hierzu zählen nichtpharmakologische sowie pharmakologische Therapiemaßnahmen (Abb. 1).

Stufe 1 Hintergrundbehandlung

Während der Hintergrundbehandlung ist die individuelle Basistherapie kontinuierlich fortzuführen. Parallel hierzu können pharmakologische und nicht- pharmakologische Therapieverfahren kombiniert werden.

Stufe 1a: Nicht-pharmakologische Hintergrundbehandlung

Primär wird evaluiert, inwieweit spezifische physiotherapeutische Maßnahmen angezeigt sind. Varus- und Valgus-Malalignement stellen einen Risikofaktor für die Kniearthrose dar. Hierbei besteht die Indikation zu Schuhranderhöhungen, Pufferabsätzen oder Braces [18, 19]. Es kann auch sinnvoll sein, Braces mit Fußorthesen und entsprechendem Schuhwerk zu kombinieren [20]. Verschiedene Studien zeigen, dass bei einer medialen Gonarthrose eine laterale Schuhaußenranderhöhung eine Verbesserung ergibt [18].

Es gibt keine ausreichende Evidenz, inwieweit Braces oder andere Schutzvorrichtungen die Progression der Arthrose verlangsamen. In den EULAR-Richtlinien finden sich beispielsweise keine positiven Empfehlungen für die Schuhzurichtungen bei der Kniearthrose, da durchaus auch negative Effekte auftreten können. Ein entsprechendes Schuhwerk generell (schockabsorbierende Sohlen, Fußgewölbeunterstützungen), eine Pronationskontrolle sowie die Vermeidung von hochhakigen Schuhen ist jedoch empfohlen [11]. Ideale Patienten für Bracing sind jüngere Patienten, die körperlich aktiv sind, kein relevantes Übergewicht haben und nur eine
unikompartmentelle symptomatische tibiofemorale Arthrose mit entsprechendem Malalignement aufweisen, welches korrigierbar ist durch Varus- oder Valgusstress im Rahmen der klinischen oder radiologischen Untersuchung. Wärmebehandlungen und Ultraschall zeigen bei einigen Studien gewisse Effektivität [21]. Bei randomisierten Studien fehlt jedoch der Nachweis einer Evidenz beim Vergleich Ultraschall versus Placebotherapie [22]. Das Gleiche gilt für die manuelle Therapie in Kombination mit einer Bewegungstherapie sowie ein Patella-Taping. Balneotherapie und Akupunktur zeigen in Meta-Analysen die höchste Evidenz bei allen physikalischen Therapiemaßnahmen [23]. Der direkte Vergleich zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur zeigt nur eine geringe Überlegenheit der Verum-Akupunktur [24]. Die Evidenz der TENS (transkutane elektrische Nervenstimmulation) ist gering, was sicherlich an der geringen Anzahl von Studien liegt [25]. In einer größeren, randomisierten Studie konnte TENS jedoch beweisen, dass die Analgetika-Medikation reduziert werden konnte [26]. In den ACR-Guidelines [2] findet sich eine Empfehlung dahingehend, dass TENS und Akupunktur reserviert sind als nicht-pharmakologische Alternative zur Operation, wenn die Operation kontraindiziert ist oder der Patient diese nicht durchführen lassen möchte.

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