Übersichtsarbeiten - OUP 05/2018

Osteochondrale Läsionen am Talus
Ätiologie, Diagnostik, OP-Technik und LiteraturübersichtEtiology, diagnostics, operative technique and literature overview

Fabian Krause1

Zusammenfassung: Osteochondrale Läsionen des Talus (OCL) sind in der Regel auf ein (Distorsions-)
Trauma oder eine ischämisch bedingte Osteonekrose zurückzuführen. Für die Auswahl der optimalen Therapie sind das Alter des Patienten, die Dauer des Bestehens der OCL, die Größe und Lokalisation der OCL sowie der Zustand des umgebenden Knorpels und des subchondralen Knochens von Bedeutung. Beim Vorliegen eines Rückfuß-Malalignments oder einer Bandinstabilität sollten bei Operation der OCL auch die Korrektur eines Rückfuß-Malalignments und/oder eine Stabilisierung der Bänder durchgeführt werden. Bei korrekter Indikation sind überwiegend gute und sehr gute Ergebnisse bei allen Behandlungstechniken zu erwarten.

Schlüsselwörter: Talus, osteochondrale Läsion, Ätiologie, Diagnostik, Therapie

Zitierweise
Krause F: Osteochondrale Läsionen am Talus. Ätiologie, Diagnostik, OP-Technik und Literaturübersicht.
OUP 2018; 7: 253–259 DOI 10.3238/oup.2018.0253–0259

Summary: In the majority of cases, ankle trauma (sprains) or ischemic osteonecrosis generate osteochondral lesions of the talus. For the best therapy patient’s age, duration of OCL’s existence, size and localization of the OCL, and condition of the surrounding cartilage and bone have to be considered. If accompanying hindfoot malalignment or ligamentous instability is present, hindfoot realignment and ligament stabilization should be performed simultaneously. With the correct indication, good and excellent results are achieved for most patients.

Keywords: talus, osteochondral lesion, etiology, diagnostics, therapy

Citation
Krause F: Talar osteochondral lesions. Etiology, diagnostics, operative technique and literature overview.
OUP 2018; 7: 253–259 DOI 10.3238/oup.2018.0253–0259

1 Inselspital, Universität Bern

Ätiologie

Osteochondrale Läsionen (OCL) am Talus wurden früher uneinheitlich auch als z.B. Osteochondritis dissecans oder Knorpelflake bezeichnet, weil die Ätiologie nicht eindeutig definiert bzw. universell akzeptiert war. Dabei waren das Trauma und die ischämisch bedingte Osteonekrose stets die beiden hauptsächlich vermuteten ätiologischen Faktoren. Bei den Traumata ist sicherlich das einzelne Supinations- oder Inversionstrauma – seltener ein Pronations- oder Eversionstrauma – i.S. eines Majortraumas ätiologisch am wichtigsten; aber repetitive Mikrotraumata, bedingt durch eine chronische laterale Bandinstabilität oder einen akzentuierten Rückfuß varus/valgus, spielen sicher auch eine Rolle. Das Argument für die Osteonekrose als Ätiologie ist das fehlende, dokumentierte Trauma in einigen Fällen. Ursachen für die Osteonekrose wiederum können lokal eine abnormale Vaskularisation, Mikroembolien und spontane idiopatische Osteonekrosen des Talus oder systemische endokrine Pathologien sein.

Ein Zusammenwirken beider Ätiologien ist ebenfalls möglich: Eine Prädisposition zur ischämischen Osteonekrose wird nach einem Majortrauma oder repetitiven Mikrotraumata eher zu einem chronischen, osteonekrotischen Prozess mit subchondraler Fraktur und umschriebenem knöchernen Kollaps führen als bei normaler Talusperfusion. Subchondrale Zysten mit darüber liegender Chondromalazie und osteochondralen Fragmenten oder freien Gelenkkörpern repräsentieren das Fortschreiten der Degeneration.

Canale und Belding [5] publizierten 1980, dass nahezu alle lateralen, aber nur 64 % der medialen OCL des Talus traumatisch bedingt sind. Eine Theorie, die bis heute Bestand hat. 2007 veröffentlichten Elias et al. [7] die Idee, die Talusoberfläche in ein 3x3-Gittersystem einzuteilen, um die Häufigkeit der Lokalisationen der OCL anhand von über 400 MRTs zu bestimmen (Abb. 1). In der mittleren medialen Zone fanden sie mit 53 % aller OCL die häufigste Lokalisation, wobei diese Läsionen auch die größten und tiefsten waren. Mit 26 % war die mittlere laterale Zone am zweithäufigsten betroffen. Vom Verletzungsmechanismus her kommt es beim Supinationstrauma in Neutral- oder Dorsalflexionsstellung – bei größerer ossärer Stabilität als in Plantarflexionsstellung – eher zu einer Abscherfraktur an der (antero-)lateralen Talusrolle, in Plantarflexionsstellung dagegen eher zu einer posteromedialen Kompression. Mediale OCL sind eher tiefer, muldenförmig und gehen eher in eine Zyste über, während laterale OCL eher flach und scheibenförmig sind.

Auf 100 Distorsionen des oberen Sprunggelenks (OSG) kommt es gemäß einer Studie von Bosien et al. [4] von 1955 in ca. 5 Fällen zu einer OCL. Die Zahl liegt wahrscheinlich deutlich höher, zumal nicht bzw. verzögert diagnostizierte OCL bei Patienten mit chronischen, unklaren Beschwerden im OSG in 81 % als Ursache gefunden wurde [8].

Diagnostik

Anamnestisch findet sich für das Vorliegen einer OCL am Talus in der Regel eine akute oder frühere OSG-Distorsion oder rezidivierende OSG-Distorsionen. Seltener kann eine frühere Fraktur des OSG oder des Unterschenkels oder ein Sturz aus beträchtlicher Höhe in der Vorgeschichte eruiert werden. Ist kein Trauma erinnerlich, muss eine umschriebene, idiopathische Osteonekrose des Talus oder repetitive Mikrotraumata bei Bandinstabilität oder eine Varus-/Valgusdeformität des Rückfußes in Betracht gezogen werden.

Neben dem belastungsabhängigen Schmerzen am meist anteromedialen oder anterolateralen OSG berichten die Patienten über rezidivierende Schwellungen, Steifigkeit, Schwäche und Giving-ways des OSG oder mechanische Symptome, z.B. Gelenkblockaden und Einklemmungen.

Bei der klinischen Untersuchung muss unbedingt auf das Rückfuß-Alignment und die Bandstabilität des Rückfußes geachtet werden, da eine alleinige Operation der OCL ohne Korrektur eines Rückfuß-Malalignments oder Stabilisierung der Bänder oftmals zum Scheitern verurteilt ist. Typisch ist eine Druckdolenz über der OCL am OSG auslösbar. Eine reduzierte Beweglichkeit für Dorsal- mehr als für Plantarflexion im OSG weist häufig auf eine bereits beginnende OSG-Arthrose mit anterioren Tibia-Osteophyten hin. Die Schwäche eines Muskels oder einer Muskelgruppe, z.B. Schwäche der Mm. tibialis anterior und peroneus brevis bei Hohlfuss, sollte dokumentiert und neurologisch abgeklärt werden. Vor einer etwaigen Operation müssen eine unzureichende Perfusion des Fußes, insuffiziente Weichteile oder ein Infekt ausgeschlossen sein. Bei Unklarheit und Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen kann eine intraartikuläre Probeinfiltration mit einem möglichst wenig chondrotoxischen Lokalanästhetikum (z.B. Ropivacain) Aufschluss zur Lokalisation der Beschwerdequelle geben.

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