Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013

Periprothetische Femurfrakturen – Inzidenz, Risikofaktoren, Klassifikation und Therapiestrategien

Streng genommen zählen periostheos ynthetische Frakturen nicht zu den periprothetischen Frakturen. Da sie allerdings häufig ein ähnliches Patientengut betreffen und ähnliche Therapieoptionen in Frage kommen, sollen sie hier kurz erwähnt werden. Bei Verwendung der ersten Generationen proximaler Femurnägel zeigte sich mit 6–17 % eine gegenüber extramedullären Implantaten – z.B. Dynamische Hüft-Schraube (DHS) – erhöhte Femurfrakturrate [30]. Zwar führten Verbesserungen der Nägel zu einer Reduktion der Frakturen [5], jedoch birgt die Implantation kurzer Marknägel besonders bei intertrochantären Frakturen die Gefahr einer Fraktur im Bereich der Nagelspitze [7–9]. Daher wird bei diesen sowie auch bei subtrochantären Frakturen empfohlen, primär lange Marknägel zu implantieren [7–9]. Auch nach
Osteosynthese von Schenkelhalsfrakturen mittels kanülierter Schrauben kommt es gelegentlich zu periostheosynthetischen Frakturen. So wurden in 2,4 % [18] bzw. 3 % [2] der Fälle subtrochantäre Femurfrakturen beobachtet. Nach DHS-Implantation wird diese Komplikation nicht beschrieben [19]. Eine DHS führt zudem gegenüber einer perkutanen Verschraubung zu einer höheren Primärstabilität [44], sodass sie trotz größerer Invasivität zur osteosynthetischen Versorgung nicht dislozierter Schenkelhalsfrakturen eingesetzt werden sollte.

Klassifikation periprothetischer Femurfrakturen

Vor Klassifikation der Fraktur sollte geklärt werden ob die Prothese gelockert oder fest ist. Typische Zeichen der Lockerung können sein:

  • Beschwerden in der Prothesenregion, die vor dem Sturz bestanden
  • Lysesaum um die Prothese in der Röntgenaufnahme
  • Einsinken der Prothese in der Röntgenaufnahme
  • Zementseparation in der Röntgenaufnahme
  • Hohe, bis in die Calcarregion laufende Frakturlinien in der Röntgenaufnahme

Zur Beschreibung periprothetischer Femurfrakturen sind in Abhängigkeit von der Frakturlokalisation mit einliegender Hüft- oder auch Knieprothese sowie der zugrunde liegenden Frakturmorphologie verschiedene Klassifikationen gebräuchlich. Eine anerkannte Klassifikation von interprothetischen Frakturen und periosteosynthetischen Frakturen ist uns nicht bekannt.

Periprothetische Femurfrakturen bei implantierter Hüftprothese

Bei periprothetischen Femurfrakturen mit einliegender Hüftprothese wurde erstmalig von Whittaker et al. eine Einteilung in Abhängigkeit von der Frakturlokalisation vorgenommen [43]. Whittaker und Mitarbeiter unterschieden hierbei entsprechend der Frakturhöhe, Fissuren bzw. Abrissfrakturen der Trochanteren (Typ 1) von Frakturen auf Höhe des Prothesenschaftes (Typ 2) sowie Frakturen an der Prothesenspitze (Typ 3).

Frakturunterschiede hinsichtlich des Dislokationsgrads, der Morphologie sowie der Stabilität machten eine Fortentwicklung dieser ersten Frakturklassifikation notwendig. Als eine Weiterentwicklung der Whittaker-Klassifikation ist in diesem Zusammenhang die 1981 vorgestellte Klassifikation von Johansson et al. anzusehen [21]. Neben der bereits bekannten Unterteilung in 3 Frakturtypen wurde in diese Klassifikation der Dislokationsgrad des Prothesenschafts integriert. Demzufolge klassifizierten Johansson und Koautoren Frakturen auf Höhe des Prothesenschafts, mit Verbleib des Prothesenschafts im Markraum, als Typ 1. Frakturen im Bereich der Prothesenspitze mit zusätzlicher Dislokation wurden als Typ 2 und distal der Prothese als Typ 3 eingeteilt.

Basierend auf einem Literaturreview publizierten Mont und Maar 1994 eine Einteilung periprothetischer Femurfrakturen bei ipsilateral einliegender Hüftprothese, mit der sie versuchten, konservative bzw. operative Therapiekonzepte zu integrieren [28]. Hierbei wurden 5 Frakturtypen unterschieden. Mont und Maar definierten Frakturen der Trochanterregion (Typ 1), Frakturen entlang des Prothesenschaftes (Typ 2), Frakturen an der Prothesenspitze (Typ 3), Frakturen distal der Prothese (Typ 4) sowie periprothetische Mehrfragmentfrakturen (Typ 5).

Als Klassifikation mit der aktuell weitesten Verbreitung ist in diesem Zusammenhang die 1995 von Duncan und Masri veröffentlichte „Vancouver-Klassifikation“ anzusehen [11]. Sie berücksichtigt neben anatomischen Gegebenheiten den Frakturverlauf, die Stabilität der Prothese sowie die vorliegende Knochenqualität. Mit Hilfe dieser Klassifikation können die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen fallspezifisch exakt eruiert werden, was letztlich eine genauere Abschätzung der Prognose ermöglicht. Entsprechend der „Vancouver-Klassifikation“ werden Abrissfrakturen des Trochanter major (Typ AG) oder minor (Typ AL) mit festem Sitz der Prothese als Typ A bezeichnet. Frakturen vom Typ B sind in 3 Untergruppen unterteilt. Hierbei unterscheidet man periprothetische Frakturen mit festem Implantat (Typ B1) von solchen mit gelockertem Implantat (Typ B2) sowie Frakturen mit schlechter Knochenqualität (Typ B3). Typ-B-Frakturen sind die häufigsten Frakturen bei einliegender Hüft-TEP. Frakturverläufe distal der Prothese werden als Typ C bezeichnet (Abb. 1).

Periprothetische Femurfrakturen bei implantierter Knieprothese

Analog zur Klassifikation suprakondylärer Femurfrakturen findet die hierzu bereits 1967 von Neer et al. vorgeschlagene Fraktureinteilung [29] auch bei periprothetischen Femurfrakturen mit einliegender Knieprothese Verwendung. Die Einteilung periprothetischer Femurfrakturen nach Neer et al. unterscheidet 3 verschiedene Frakturtypen. Als Typ 1 werden nicht dislozierte (Achsabweichung < 5°, Schafttranslation < 5mm) extraartikuläre Frakturen bezeichnet. Extraartikuläre Frakturen mit einer Dislokation > 1cm werden in Abhängig von einer Dislokation nach medial als Typ 2a sowie bei einer Dislokation nach lateral als Typ 2b bezeichnet. Falls eine höhergradige Zertrümmerung oder Dislokation vorliegt, ist von einer Typ-3-Fraktur zu sprechen.

Während die Neer-Klassifikation, welche ursprünglich für suprakondyläre Femurfrakturen ohne prothetischen Kniegelenksersatz konzipiert wurde, im wesentlichen auf den Dislokationsgrad fokussiert, erfolgt bei der Einteilung periprothetischer distaler Femurfrakturen nach Su und Koautoren eine Klassifikation unter anatomischen Gesichtspunkten in Relation zum femoralen Prothesenschild [40]. Dies ermöglicht bereits präoperativ eine exakte Planung hinsichtlich der Wahl des Osteosyntheseverfahrens (Nagel- bzw. Plattenosteosynthese) oder auch einer Revisionsprothese. Su et al. unterscheiden 3 Frakturtypen. Typ-1-Frakturen liegen proximal der femoralen Komponente. Typ-2-Frakturen beginnen auf Höhe der proximalen Grenze der Femurkomponente nahe des Implantats und erstrecken sich nach proximal. Bei Typ-3-Frakturen liegen alle Frakturanteile unterhalb der proximalen Begrenzung des anterioren Prothesenschilds.

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