Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013

Periprothetische Femurfrakturen – Inzidenz, Risikofaktoren, Klassifikation und Therapiestrategien

Neben dieser Klassifikation von Su et al. aus dem Jahr 2004 findet die bereits im Jahr 1999 von Rorabeck und Taylor publizierte Klassifikation zur Einteilung periprothetischer Femurfrakturen bei implantierter Knieprothese breite Anwendung [34]. Analog zu den beiden erstgenannten Klassifikationen bleibt auch diese Klassifikation mit nur 3 unterschiedlichen Frakturtypen einfach und somit übersichtlich. Darüber hinaus ermöglicht auch sie durch Berücksichtigung der Frakturdislokation sowie der Prothesenstabilität eine bedarfsgerechte Bestimmung des Therapiekonzeptes. Rorabeck und Taylor unterscheiden undislozierte Typ-1-Frakturen mit fester und intakter Prothese von dislozierten Typ-2-Frakturen mit ebenfalls festem Prothesensitz. Kennzeichen einer Typ-3-Fraktur nach Rorabeck und Taylor ist die Prothesenlockerung, welche jedoch unabhängig vom Dislokationsgrad der Fraktur ist (Abb. 2).

Therapieprinzipien

Ziele der Therapie periprothetischer Frakturen sind zur Vermeidung sekundärer Komplikationen eine frühzeitige schmerzarme Mobilisation sowie ggf. auch die Gewährleistung einer adäquaten Pflege unselbstständiger Patienten. Aus diesen Gesichtspunkten scheint eine konservative Therapie in den meisten Fällen nicht Erfolg versprechend. Entgegen den Ergebnissen aus den 1980er Jahren haben die Weiterentwicklungen der Osteosynthesen zu besseren Ergebnissen insbesondere in Hinblick auf sekundäre Komplikationen sowie die Funktion geführt. Wenngleich randomisierte Studien zu dieser Thematik fehlen, wird deshalb auch bei nicht dislozierten Frakturen eine operative Therapie empfohlen. Aufgrund der oftmals fragilen Patienten sowie der häufig auch kritischen lokalen Weichteile sollte versucht werden, oben genannte Ziele mit nur einer Operation mit einem möglichst geringen operativen Trauma zu erreichen.

Entscheidend für die Planung des operativen Vorgehens ist die genaue Kenntnis der Fraktursituation. Dies umfasst nicht nur die Frakturlokalisation, sondern auch die Frage nach der Stabilität der einliegenden Prothese [6].

Obwohl die definitive Entscheidung über die Therapie von Patienten mit periprothetischen Frakturen eine individuelle bleibt und auch außergewöhnliche Optionen wie konservative Behandlungen, Sonderanfertigungen von Prothesen und Amputationen umfasst, können folgende prinzipiellen Empfehlungen ausgesprochen werden.

Femurfrakturen bei
einliegenden Hüftprothesen

Zur Therapieentscheidung kann die Vancouver-Klassifikation verwendet werden (Abb. 1).

Typ-A-Frakturen
(trochantäre Region)

Treten intraoperativ Trochanterfrakturen auf, sollten diese zur Prävention von Luxationen und Störungen des Gangbilds mittels Drahtcerclage oder Hakenplatte fixiert werden [42]. Postoperativ treten diese Frakturen selten im Rahmen von direkten Traumen (Sturz auf die Hüfte) auf. Bei postoperativen Abrissfrakturen des Trochanter major mit einer Dehiszenz von über 2 cm sollte zur Vermeidung eines Instabilitätsgefühls und einer Abduktionshemmung eine operative Refixation erwogen werden. Unter nicht adäquater Behandlung wurden Komplikationsraten bis zu 66 % beschrieben [3]. Bei geringerer Dislokation konnten gute Ergebnisse mittels konservativer Therapie erzielt werden. Die betreffenden Patienten sollen eine aktive Abduktion vermeiden und eine Teilbelastung der operierten Extremität für 6–12 Wochen einhalten [25, 32]. Im Verlauf zunehmende Osteolysen im Bereich des metaphysären Femurs und Trochantermassivs müssen ggf. mit Wechsel der Prothese auf einen diaphysär zu verankernden Stiel therapiert werden. Frakturen des Trochanter minor sind selten und können in den meisten Fällen auch bei Dislokation konservativ behandelt werden [15].

Typ-B-Frakturen (zwischen der Trochanterregion und der Prothesenspitze)

Intraoperative Frakturen

Intraoperativ kommen sie z.B. bei Entfernung von Zement im Rahmen von Revisionsoperationen oder beim forcierten Aufraspeln vor [15]. In solchen Fällen sollte eine modulare Prothese mit einem längeren Prothesenstiel verwendet werden, der distal der Fraktur über eine Strecke von ca. 4 cm im Isthmus des Femurs verankert werden kann. Vor Implantation des Prothesenstiels sollte eine Cerclage unter der Fraktur/Perforation angebracht werden um einer Erweiterung der Fraktur entgegenzuwirken.

Postoperative Frakturen

Kommt es postoperativ zu einer Fraktur in dieser Region, ist im Regelfall eine operative Behandlung notwendig. Zunächst müssen die Stabilität des Prothesenstiels und die Qualität des Knochens beurteilt werden. Entscheidend ist dabei die Beantwortung der Frage, ob die Prothese gelockert ist [6].

Typ-B1-Frakturen

Bei fest sitzendem Prothesenschaft (Typ B1) kann die Prothese im Regelfall belassen werden und eine osteosynthetische Versorgung erfolgen (Abb. 3). In der Literatur wird am häufigsten die Verwendung nicht-winkelstabiler Platten über einen lateralen Zugang beschrieben. Die Stabilisierung erfolgt dabei mit Hilfe einer Zugschraube und einer Neutralisationsplatte oder durch Kompression über die Platte. Diese herkömmlichen Plattensysteme erfordern ein offenes Vorgehen mit einer Denudation der Frakturregion und ausgeprägter Weichteilschädigung. Häufige Komplikationen, insbesondere Implantatlockerungen und Pseudarthrosen, sind die Folge [3, 20]. Neuere winkelstabile Implantate wie die NCB-DF-Platte (Non-Contact-Bridging-Plate-Distal-Femur, Zimmer Inc., Winterthur, Schweiz), die POLYAX-Platte (DePuy, Warsaw, IN, USA) oder das LISS (Less Invasive Stabilisation System, Synthes, Umkirch, Deutschland) bieten bzgl. der Komplikationen entscheidende Vorteile. Mit einer minimal-invasiven Implantationstechnik können die anatomisch vorgeformten Platten gewebeschonend zwischen Knochen und Weichteilen eingeschoben werden. Da diese Plattensysteme ursprünglich für das distale Femur konzipiert wurden, muss bei Einsatz am proximalen Femur die Platte der Gegenseite verwendet und umgekehrt implantiert werden.

Die winkelstabile Verankerung der Schrauben ermöglicht eine Fixierung im Knochen mit geringerer Traumatisierung des Periosts. Dadurch bleibt die Durchblutung des Knochens größtenteils erhalten, sodass die Fraktur besser verheilen kann. Zusätzlich bietet die Winkelstabilität auch bei monokortikaler Verankerung einzelner Schrauben, wie sie im Bereich des Prothesenstiels häufig notwendig ist, eine verbesserte Stabilität. Diese ist jedoch bei ausgeprägter Osteoporose trotz Winkelstabilität nicht sehr hoch. Daher ist es als Vorteil der NCB-Platte gegenüber dem LISS anzusehen, dass die Schrauben bei der NCB-Platte polyaxial in einem Conus von 30° gesetzt und winkelstabil verriegelt werden können. Somit können die Schrauben häufig am Prothesenstiel vorbei platziert werden. Die Winkelstabilität wird mit einer anschließend eingebrachten Verschlusskappe erzielt. Auch die POLYAX-Platte erlaubt eine polyaxiale Verriegelung. Seit Kurzem steht vom NCB-System der Fa. Zimmer auch ein Plattendesign zur Verfügung (NCB-PP-Peri-Prosthetic), welches speziell für die Versorgung periprothetischer Frakturen konzipiert wurde. Diese Platten sind deutlich dicker und damit stabiler. Zudem sind sie breiter und verfügen über mehrere, diagonal auf der Platte angeordnete Schraubenlöcher, wodurch das bikortikale Einbringen der Schrauben erleichtert werden soll. Zusätzlich besitzt die Platte vorgefertigte Löcher zum Fixieren additiv eingebrachter Cerclagen. Es stehen anatomisch vorgeformte Varianten jeweils für das distale und proximale Femur zur Verfügung.

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