Übersichtsarbeiten - OUP 10/2014

Prospektive Erfassung von Fehlern bei orthopädisch-unfallchirurgischen Operationen

R. Wirbel1, A. Yacoub1, M. Dehne2

Zusammenfassung: Die Häufigkeit, Art und Auswirkungen von Fehlern bei unfallchirurgisch-orthopädischen Eingriffen sollen analysiert werden. Die Erfassung und Analyse der Fehler wird als maßgebender Faktor zu deren Prävention angesehen.

Fehler (Abweichungen vom geplantem optimalen Operationsverlauf) und intraoperative Komplikationen wurden prospektiv bei unfallchirurgisch-orthopädischen Notfall- und elektiven Eingriffen eines Schwerpunkt-Krankenhauses erfasst und nach Typ (medizinisch, organisatorisch), Schweregrad (erheblich, unerheblich), Vermeidbarkeit und klinischen Konsequenzen analysiert. Die fehlerbedingte Zeitverzögerung wurde erfasst und die dadurch bedingten Kosten berechnet. Als erheblich wurde ein Fehler eingestuft, wenn er klinische Konsequenzen hatte oder hätte verursachen können oder wenn die fehlerbedingte Zeitverzögerung mehr als 20 % der Operationszeit betrug.

Schlüsselwörter: Fehleranalyse, Orthopädie-Unfallchirurgie,
prospektiv

Zitierweise
Wirbel R, Yacoub A, Dehne M. Prospektive Erfassung von Fehlern bei orthopädisch-unfallchirurgischen Operationen.
OUP 2014; 10: 444–449 DOI 10.3238/oup.2014.0444–0449

Summary: The frequency, type and consequences of errors in trauma-surgery procedures should be analysed. The collection and analysis of error data are considered essential and a valuable key point to error prevention.

In a level II trauma center errors (deviations from the planned and optimal course of the surgical procedure) and intraoperative complications were prospectively recorded in consecutive patients undergoing elective and emergency trauma and orthopedic surgical procedures. Each error was scored for type (medical, organizing), severity (minor, major), preventability and consequences. The error-related time delay was recorded and the costs conditioned by that were calculated. Errors were considered as major if they caused or could have caused clinical consequences or if the error-related time delay amounted more than 20 % of the operation time.

Keywords: error analysis, orthopedic trauma sugery, prospective

Citation
Wirbel R, Yacoub A, Dehne M. Prospective collection of error data in orthopedic and trauma-surgical procedures.
OUP 2014; 10: 444–449 DOI 10.3238/oup.2014.0444–0449

Einführung

Fehler sind menschlich und ereignen sich in allen Berufsgruppen zumeist durch Zeitstress, Kommunikations-Probleme oder einfach durch Unachtsamkeiten. Aus der Arbeits- und Organisationspsychologie ist bekannt, dass eine schlechte Organisation und fehlende Kommunikation die häufigsten Fehlerquellen sind. Für eine zukünftige Fehlervermeidung ist es aber von entscheidender Bedeutung, die Gründe und die Gefahrensituation für Fehler zu verstehen.

Exakte Daten über Fehler in der Medizin gibt es nicht. Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts und aus Berichten der Schlichtungsstellen der Ärztekammern wird die Anzahl der Anträge bzw. Beschwerden auf 40.000 pro Jahr geschätzt. Dabei beträgt die Anzahl der möglichen Behandlungsfehler ca. 14.000/pro Jahr. In circa jedem 4. bis 5. Fall werden durch die Schlichtungsgutachten Behandlungsfehler bestätigt [1, 2].

Als Beispiele für Fehler in chirurgischen Bereichen seien die Eingriffs- oder Patientenverwechslung genannt. In einer amerikanischen Studie [3] wird die Wahrscheinlichkeit mit 1:130.000 angegeben; Meinberg [4] schätzt dieses Risiko bei handchirurgischen Eingriffen auf 1:27.000. Das Aktionsbündnis für Patientensicherheit [5] schätzt die Rate an Eingriffsverwechslungen in allen operativen Teilgebieten sogar mit 1:4761. Somit ergäben sich bei ca. 15 Millionen Operationen pro Jahr in Deutschland 200 bis 3300 Fälle.

Ebbeke berichtet, dass 64 % aller Chirurgen in ihrem Berufsleben Erfahrung gesammelt haben in Zusammenhang mit einem belassenen Fremdkörper [6]. In einer neurochirurgischen Studie [7] geben ca. 25 % aller Neurochirurgen an, einmal in ihrem Berufsleben bei Bandscheibenoperationen den Hautschnitt in der falschen Höhe angesetzt zu haben.

Seit 2006 geben die Statistiken der Bundesärztekammer neben der Anzahl zum ersten Mal auch qualitative Informationen über die Art des möglichen medizinischen Fehlers.

Dies wird als Voraussetzung angesehen, da eine effektive Fehlervermeidung nur dann gelingen kann, wenn möglichst viele Informationen über die Häufigkeit und die Begleitumstände der verschiedenen Fehlermöglichkeiten in der Medizin vorliegen.

Über die Art und Klassifikation von Fehlern in der orthopädischen Chirurgie gibt es nur wenige Berichte. Wong et al. [8] haben eine Übersicht zusammengestellt, welche prinzipiell „echte“ medizinische Fehler (z.B. falsche Indikation, falscher Hautschnitt, etc.) von organisatorischen Fehlern (z.B. fehlende Kommunikation, fehlendes Equipment, etc.) unterscheiden.

Der Begriff „Fehler“ beinhaltet aber auch neben „echten“ Fehlern mit klinischen Konsequenzen kleinere Abweichungen vom geplanten operativen Standardverlauf inklusive der präoperativen Planung. So hat sich der Begriff „Abweichung vom optimalen Verlauf“ in Anlehnung an den englischen Begriff DOC („deviation from an optimal course“) etabliert. Diesbezüglich existieren 2 Arbeiten im neurochirurgischen Fachgebiet [9, 10]. Boström et al. [10] berichten bei neurochirurgischen Operationen in ca. 20–25 % über Abweichungen vom geplanten Operationsverlauf. Sie berichten in 2 von 190 Fehlern, also in ca. 1 %, über klinische Konsequenzen.

Vergleichbare Arbeiten im deutschsprachigen Raum im Gebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie sind nicht bekannt. Angeregt durch die oben genannte Studie [10] haben wir eine prospektive Beobachtung initiiert, um alle intraoperativen Komplikationen und Abweichungen vom geplanten, optimalen Operationsverlauf zu erfassen.

Patienten und Methoden

Alle Patienten einer 50-Betten-Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, die elektiv oder notfallmäßig operiert wurden, konnten über einen Zeitraum von 6 Monaten in die prospektive Beobachtungsstudie eingeschlossen werden.

Neben der Dringlichkeit der Operation (elektiv, Notfall) wurde die ASA-Klassifikation und die Narkoseform (Allgemein-, Regionalanästhesie) erfasst.

Bezüglich der Lokalisation wurden Eingriffe an den Extremitäten und am Stammskelett (Becken, Wirbelsäule) unterschieden, gesondert betrachtet wurden die Eingriffe beim endoprothetischen Gelenkersatz.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5