Übersichtsarbeiten - OUP 10/2014

Prospektive Erfassung von Fehlern bei orthopädisch-unfallchirurgischen Operationen

In der medizinischen Literatur existiert keine einheitliche Fehler-Definition. Verschiedene Termini, wie z.B. Komplikation, unerwünschtes Ereignis, menschliches Versagen (Irrtum) etc. werden oft gleichbedeutend verwendet vergleichbar mit den englischen Begriffen „mistake“, „error“ und „failure“. Generell kann man verschiedene Typen von Fehlern unterscheiden, z.B. passive oder aktive Fehler, Fehler des gesamten Systems oder innerhalb eines Systems oder einfache Unachtsamkeiten (z.B. Konzentrationsschwächen oder Erinnerungslücken).

Nach Reason [11] bedeutet ein Fehler ein Merkmalswert oder Terminus, welcher alle Gelegenheiten umfasst, bei denen die geplante Folge von geistigen oder physikalischen Aktivitäten misslingt, um das angestrebte Ziel zu erreichen ohne die Intervention eines unvorhersehbaren Ereignisses.

Wie Boström et al. [10] haben wir uns in unserer Studie für eine andere, weiter gefasste Definition entschieden, die von Bernstein et al. [9] als „Abweichung vom optimalen Verlauf“, englisch DOC = „deviation from an optimal course“, bezeichnet wurde. Man mag entgegenhalten, dass dadurch sehr viele „kleine“, oft unbedeutende Fehler erfasst werden, die häufig ohne Relevanz bleiben.

Aber im Sinne der Vollständigkeit wollten wir alle Abweichungen erfassen und erst danach über den Schweregrad, die Relevanz und die Vermeidbarkeit entscheiden.

Insgesamt fanden wir in ca. 10 % Abweichungen vom angestrebten Operationsverlauf; dabei ist dieser Wert deutlich niedriger als in anderen Beobachtungsstudien [8–10, 12–14], bei denen Werte von 25 % und höher angegeben werden.

Nach unserem Wissen ist die vorgestellte Studie die erste dieser Art im deutschsprachigen Raum im Fachgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie.

Einige methodisch bedingte Einschränkungen der Studie sollen angemerkt werden. Die Daten sind nicht als repräsentativ anzusehen, da es sich um eine Monocenter-Studie handelt. Durch die Beurteilung und Einschätzung der Fehler durch verschiedene Operateure wird immer eine Subjektivität vorliegen, vergleichbar mit der ASA-Einschätzung durch verschiedene Anästhesisten. Durch die Erfassung der Daten über einen großen Zeitraum wird hier jedoch eine gewisse Nivellierung erwartet. Die durchführende Klinik ist eine Ausbildungsklinik; es könnte der Eindruck entstehen, dass durch mehrere unerfahrene Operateure mehr Fehler zu erwarten seien. Da aber immer ein Facharzt-Standard durch einen erfahrenen Oberarzt garantiert ist, kann dieser Einflussfaktor nach unserem Ermessen vernachlässigt werden.

Während der halbjährigen Studienphase war die Fehlerrate gleichbleibend. Es fand eine ständige Supervision durch den für die Operation verantwortlichen Operateur statt. Andere Studien belegen eine Abhängigkeit der Fehlerrate von der Qualität der Kontrolle bzw. Supervision. Boström et al. [10] fanden in der zweiten Hälfte ihrer Studienphase, in der nicht mehr so konsequent eine Supervision durchgeführt wurde wie in der ersten Phase, eine Abnahme der erfassten Fehlerrate auf 50 %.

Insgesamt war die Fehlerrate in unserer Studie mit 10,8 % im Vergleich zu anderen Studien [8, 10, 12–14] gering. Verantwortlich dafür könnte auch der sog. Hawthorne-Effekt [15] sein, der beschreibt, dass die Arbeitsqualität steigt bzw. die Fehlerrate sinkt, sobald der Proband weiß, dass er kontrolliert wird.

Ein positiver Nebeneffekt der durchgeführten Studie war die in den täglichen Besprechungen stattgefundene offene Diskussion über die erlebten Fehler und deren medizinische bzw. organisatorische Ursachen.

Ein weiterer Aspekt unserer Studie war die signifikant erhöhte Fehlerrate bei Notfalleingriffen im Vergleich zu elektiven Operationen (15,4 % versus 9,4 %).

Hier kann der Mangel an Zeit zur Vorbereitung, zum Überlegen und Planen, die mögliche Übermüdung der Mitarbeiter sowie die oft zeitlich begrenzte Verfügbarkeit gewisser Equipments als Stressfaktor und damit als Quelle einer höheren Fehlerrate angesehen werden [12, 14, 16]. Der Stressfaktor Zeit ist in der Studie von Sexton et al. [14] ausführlich beschrieben. Bendavid et al. [12] berichten über eine erhöhte Fehlerrate an Wochenenden bzw. in Sommermonaten während der Urlaubszeit.

Andere Studien berichten über eine geringere Fehlerrate bei Notfalleingriffen und begründen dies mit einer erhöhten Aufmerksamkeit der Mitarbeiter und der technisch oft nicht so anspruchsvollen Eingriffsqualität [10].

Die Einteilung der Fehler in nicht medizinische, organisatorische und in medizinische, die durchgeführte Prozedur betreffende Fehler ist allgemein akzeptiert. Nahezu alle Studien belegen, dass es sich in der überwiegenden Mehrzahl um organisatorische Fehler handelt. Boström et al. [10] berichten in ihrer Studie mit 190 Fehlern bei 756 neurochirurgischen Operationen über 69 % organisatorische, 6 % Kombinations- und 26 % medizinsicher Fehler.

Wong et al. [8] berichten bei ihrer Befragung von 917 Chirurgen, dass 53 % von ihnen in den letzten 6 Monaten einen Fehler erlebt hätten; davon hätten 78 % der Fehler im Krankenhaus stattgefunden, 60 % im Operationssaal. Der Chirurg sei dabei in 60 % an dem Fehler beteiligt gewesen, in 40 % seien andere Berufsgruppen verantwortlich gewesen. Die häufigsten Fehler „Equipment und Kommunikation“ hätten in 54 % vorgelegen. In unserer Studie zeigten sich organisatorische Fehler sogar in 72,9 %; reine medizinische Fehler nur in 8,4 % und Kombinationsfehler in 18,7 %.

In mehreren Berichten [8–10, 12–14, 16] wird die Vermeidbarkeit aller Fehler mit 50–60 % angegeben; betroffen waren dabei aber alle chirurgischen Fachdisziplinen. In unserer Studie wurden im Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie über 90 % aller Fehler als leicht vermeidbar gewertet.

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