Übersichtsarbeiten - OUP 10/2014
Prospektive Erfassung von Fehlern bei orthopädisch-unfallchirurgischen Operationen
Seitenverwechslungen traten in der eigenen Studie glücklicherweise nicht auf. In einem Fall (0,1 %) war es aber zu einer Beinahe-Verwechslung gekommen. Dies entspricht den Daten von Clarke et al. [17], die ein Risiko einer Seitenverwechslung mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1015 bei allgemeinchirurgischen Eingriffen angeben.
Die konsequente präoperative Seitenmarkierung, präoperative Checklisten und ein Timer-Time-out unmittelbar vor der Hautinzision können hier vor einer Seitenverwechslung schützen.
Die Seitenmarkierung durch den Operateur war bereits seit mehreren Jahren in der eigenen Klinik eingeführt. Als weitere Konsequenzen aus den Daten unserer Studie haben wir das Team-Time-out verbessert und in einer Checkliste aktualisiert. Da in einem Viertel aller unserer Fehler präoperative Managementdefizite (fehlende bestellte Implantate, Instrumente, Blutkonserven etc.) aufgedeckt wurden, ist die Operationsbesprechung am Vortag optimiert worden zur Überprüfung der benötigten Materialien.
Patientensicherheitsprogramme mit Checklisten sind bereits seit mehreren Jahren in mehreren Studien [18–22] als Instrumente zur Reduktion von Fehlern anerkannt. Das unmittelbar präoperative Team-Time-out hilft, Seitenverwechslungen zu vermeiden; Zählkontrollen am Ende der Operation helfen, die Gefahr von übersehenen, belassenen Fremdkörpern oder Instrumenten zu minimieren.
In einer bundesweiten Umfrage zeigt Lessing [23] jedoch auf, dass Zählkontrollen nur in 2/3 aller deutschen unfallchirurgisch-orthopädischen Kliniken durchgeführt werden. Im Operationsbericht wird dies sogar nur in 14 % dokumentiert.
Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben. Sehr viele Probleme sind sehr schwer fassbar und liegen auf der Kommunikationsebene [24]. So konnten Egorova et al. [25] und Gawande et al. [16] nachweisen, dass ein Personalwechsel während einer Operation ein Risikofaktor für das Übersehen bzw. Belassen eines Fremdkörpers darstellt.
Ein Problem von Checklisten liegt auch in der Nachhaltigkeit. So konnten Rateau et al. [26] in einer retrospektiven Untersuchung bei 40.000 Operationen zeigen, dass in 2,1 % der Fälle trotz auffälliger Befunde in der präoperativen Checkliste die Operation trotzdem durchgeführt wurde. Gawande et al. [16] berichten, dass bei nachgewiesenen, übersehenen Fremdkörpern die Zählkontrollen in 88 % als unauffällig dokumentiert wurden. Sehr wichtig und in mehreren Untersuchungen [27, 28] nachgewiesen ist bei der Implementierung von Checklisten und bei der Überprüfung der Nachhaltigkeit die Rolle des leitenden Arztes als Vorbildfunktion.
Die Bedeutung von Fehlern im Operationssaal kann auch durch die damit verbundene Zeitverzögerung erklärt werden. In einer prospektiven Studie bei 1531 neurochirurgischen Operationen haben Wong et al. [29] in über der Hälfte ihrer Fälle eine Zeitverzögerung gefunden; ein unzureichendes Equipment war dabei die häufigste Ursache der Zeitverzögerung. In unserer Serie kam es bei ca. 2/3 aller fehlerbehafteten Eingriffe zu Zeitverzögerungen. Die tatsächliche ökonomische Bedeutung dieser Zeitverzögerung kann nur geschätzt werden. Die Kosten einer Operationsminute sind unterschiedlich und hängen im Wesentlichen vom Versorgungs- bzw. Operationsspektrum des Krankenhauses ab [30]. Die Kosten für eine Operationsminute werden mit 10–15,00 € [30] angegeben, in unserem Krankenhaus wurde 12,00 €/min. durch die Controlling-Abteilung ermittelt. Die wirtschaftliche Bedeutung wird dadurch ersichtlich, dass sich in unserer Berechnung über einen Halbjahreszeitraum eine mögliche Kostenersparnis von ca. 10.000,00 € ergäbe.
Ein weiterer erwähnter Vorteil der vorgelegten Studie ist die sich daraus entwickelnde Kultur des Umgangs mit Fehlern. Es muss offen und ohne Angst vor Repressalien über die stattgehabten Fehler zeitnah diskutiert werden. Ähnlich dem Vorgehen bei Zertifizierungen oder dem Erarbeiten von Qualitätsmanagement-Maßnahmen kann der Leitsatz gelten: „Der Weg ist das Ziel“. Dadurch entstehen eine Fehlerkultur und ein Fehler-Bewusstsein, welche in sich schon Lösungsansätze zu Fehlervermeidungsstrategien entstehen lassen.
Fazit
Gemäß der These von Laurence J. Peter „Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt, Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht.“ können Fehler nie gänzlich vermieden werden.
Die erste Voraussetzung zur Fehlervermeidung besteht in der konsequenten Dokumentation und Analyse typischer Fehler sowie verfahrens- und patientenbezogener Charakteristika. Die Dokumentation ist aufwendig und muss permanent überprüft werden, ist aber die Voraussetzung, um effiziente Vermeidungsstrategien zu entwickeln.
Die Zeit als Stressfaktor kann bei Notfalleingriffen eine Rolle spielen. In ca. 2/3 der Fälle bedeuten Fehler eine Zeitverzögerung des Operationsablaufs. Allein aus den immer wichtiger werdenden wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann eine konsequente Fehlervermeidung somit Zeit sparen helfen und beinhaltet ein mögliches Kostenersparnis-Potenzial.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Korrespondenzadresse
PD Dr. Reiner Wirbel
Chirurgie II: Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
Verbundkrankenhaus
Bernkastel – Wittlich
Koblenzer Str. 91
54516 Wittlich
r.wirbel@verbund-krankenhaus.de
Literatur
1. Rieser S. Behandlungsfehlerstatistik. Ein Viertel der Ansprüche halten die Gutachter für begründet. Dt Ärztebl 2011; 108: A1459
2. Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2012. www.bundesaerztekammer.de/downloads/bundesein- heitliche_statistik_2012_gesch.pdf
3. Kwaan MR, Studdert DM, Zinner MJ et al. Incidence, patterns, and prevention of wrong-site surgery. Arch Surg 2006; 141: 353–358
4. Meinberg EG, Stern PJ. Incidence of wrong-site surgery among hand surgeons. J Bone Joint Surg 2003; 85Am: 193–197
5. Schrappe M, Lessing LC, Albers B et al. Agenda Patientensicherheit 2007. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Private Universität Witten/Herdecke, 2007