Übersichtsarbeiten - OUP 10/2014

Prospektive Erfassung von Fehlern bei orthopädisch-unfallchirurgischen Operationen

Alle Abweichungen vom geplanten Operationsverlauf inklusive präoperatives Management und intraoperative Komplikationen wurden durch einen standardisierten Fragebogen (nach [10]) erfasst. Der Fragebogen wurde unmittelbar nach der Operation vom verantwortlichen Operateur ausgefüllt.

Insgesamt ergaben sich 12 Fehlerkategorien:

  • 1. Indikation: z.B. der intraoperative Befund konnte die Indikation zur Operation nicht bestätigen;
  • 2. Präoperatives Management: z.B. fehlende Blutkonserven, fehlende Aufklärung;
  • 3. Kommunikation: z.B. fehlende oder ungenügende Absprachen zwischen Operationssaal, Aufwachraum, Station mit Zeitverzögerung;
  • 4. Einschleusung, Lagerung: z.B. auf falschem Tisch gelagert;
  • 5. Einleitung: z.B. Zeitverzögerung bei Narkose-Einleitung;
  • 6. Siebe: z.B. Sieb nicht steril, Fehlen von Instrumenten;
  • 7. Operationsverlauf: z.B. falscher Hautschnitt;
  • 8. Osteosynthesematerialien: z.B. Fehlen von benötigten Implantaten;
  • 9. Mikroskop: defekt;
  • 10. Arthroskop: defekt;
  • 11. Durchleuchtung: z.B. BV-Störungen;
  • 12. Kontamination: z.B. unsteriles Operationsfeld.

Neben der Einstufung des Fehlers als medizinischer oder organisatorischer Fehler wurden vom Operateur der Schweregrad (erheblich, unerheblich), die Vermeidbarkeit (leicht, schwer, nicht vermeidbar) und die fehlerbedingte Zeitverzögerung des Operationsverlaufs (in Minuten) beurteilt. Als erheblich wurde ein Fehler eingestuft, wenn er klinische Konsequenzen hatte (z.B. erneute Operation) oder hätte verursachen können (z.B. Infekt bei Kontamination) oder wenn die fehlerbedingte Zeitverzögerung mehr als 20 % der Operationszeit betrug.

Die postoperativen Komplikationen und die Dauer des stationären Aufenthalts wurden dokumentiert, sofern sie mit dem Fehler in Zusammenhang gebracht werden konnten.

Die fehlerbedingte Zeitverzögerung wurde in eine potenzielle Kostenersparnis umgerechnet; die Kosten für eine Operationsminute wurden durch die Controlling-Abteilung des Krankenhauses mit 12,00 €/min. festgelegt.

Die Daten wurden in einer Excel-Datenbank erfasst; zur statistischen Auswertung wurden die Computerprogramme Excel (Microsoft, Seattle, WA) und SPSS (SPSS Inc., Chicago, IL) verwendet.

Bezüglich der Aufklärung der Patienten über die aufgetretenen Fehler wurden die ethischen und legalen Richtlinien beachtet. Über „kleinere“ Abweichungen vom geplanten Operationsverlauf (z.B. defektes Monopolar-Kabel mit Notwendigkeit des Austauschs und Zeitverzögerung um einige Minuten) wurde nicht routinemäßig informiert.

Ergebnisse

Vom 01.07. bis zum 31.12.2012 wurden insgesamt 1330 Patienten stationär behandelt. Die 50-Betten-Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie ist Teil eines 513-Betten-Krankenhauses mit Schwerpunktversorgungsaufträgen.

Alle 984 operativ behandelten Patienten konnten in die Studie eingeschlossen werden. Es handelte sich um 744 (75,6 %) geplante und um 240 (24,4 %) Notfalleingriffe. Die weiteren Kenndaten der Patienten (Geschlecht, Narkoseform, ASA-Klassifikation, Art bzw. Lokalisation des Eingriffes) sind in Tabelle 1 aufgelistet.

Insgesamt wurden 107 Abweichungen vom optimalen Verlauf (10,8 %) bei 72 Eingriffen beobachtet. Bei 40 Eingriffen wurden ein Fehler, bei 29 Eingriffen 2 und bei 3 Eingriffen 3 Fehler beobachtet.

Zumeist handelte es sich um organisatorische Fehler (fehlendes Equipment, mangelnde präoperative Planung) (n = 78; 72,9 %); in 9 Fällen (8,4 %) wurden medizinische (Abweichungen vom geplanten Operationsverlauf) und in 20 Fällen (18,7 %) Kombinations-Fehler attestiert.

Die Häufigkeit und Verteilung der einzelnen Fehlerkategorien sind in Abbildung 1 aufgelistet. Über die Hälfte aller Fehler wurde in der Kategorie 2 „präoperatives Management“ (n = 24; 22,4 %) und in der Kategorie 6 „Siebe“ (n = 27; 25,2 %) beobachtet.

95 Fehler (88,8 %) wurden als leicht, unerheblich eingestuft, 12 (11,2 %) als schwer, erheblich. Die meisten Fehler (n = 98; 91,6 %) wurden als leicht vermeidbar, 6 (5,6 %) als schwer und 3 (2,8 %) als unvermeidbar gewertet.

Unter Verwendung eines Chi-Quadrat-Tests fand sich kein signifikanter Zusammenhang der Fehlerhäufigkeit mit dem Geschlecht der Patienten, der ASA-Klassifikation oder der Narkoseform.

Die Fehlerhäufigkeit war erhöht bei Notfalleingriffen (15,4 %) im Vergleich zu elektiven Eingriffen (9,4 %) und in der Endoprothetik bezüglich der Eingriffskategorie bzw. -lokalisation im Vergleich zu den Eingriffen an den Extremitäten bzw. am Stammskelett (t-Test, F = 5,89, p = 0,05). Tabelle 2 zeigte eine Übersicht der Fehlerrate in Relation zur Art bzw. Lokalisation des Eingriffes.

In weniger als 1 % kam es bei den insgesamt 107 Fehlern zu klinischen Auswirkungen. Bei einer 76-jährigen Patientin war der stationäre Krankenhausaufenthalt um 3 Tage verlängert. Ein abgebrochener Bohrer wurde primär bei einer Plattenosteosynthese einer proximalen Humerusfraktur intraossär unter BV-Kontrolle geortet und belassen. Nach postoperativer Röntgenkontrolle mit dann intraartikulärer Lage war sekundär ein Zweiteingriff zur Entfernung notwendig (Abb. 2).

Weitere Beispiele für erhebliche Abweichungen waren intraoperative mögliche Kontaminationen durch Lösen der Abdeckfolien oder eine Verzögerung der Operationsdauer durch Wartezeit über eine Stunde bei unsterilem benötigtem Instrumentarium. Beispiele für kleine, unerhebliche Abweichungen waren ein heruntergefallenes Kauther-Kabel mit Zeitverzögerung bis zur Beschaffung eines neuen, eine Zeitverzögerung durch Schwierigkeiten und damit verzögerter Anästhesieeinleitung oder fehlende Bereitstellung von Blutkonserven.

Eine Seitenverwechslung trat nicht auf; bei einem Patienten (1:984; 0,1 %) musste die Seitenlokalisation bei fehlender präoperativer Markierung und unterschiedlichen Angaben in der Operations-Aufklärung und im Operationsprogramm geklärt werden; dies wurde als Beinahe-Verwechslung gewertet.

Bei 48 der 72 Eingriffe (66,6 %), in denen mindestens ein Fehler beobachtet wurde, kam es zu einer Zeitverzögerung. Bezogen auf alle Fehler lag diese bei durchschnittlich 8,53 (0–90) Minuten. Die Gesamt-Zeitverzögerung betrug somit 912 Minuten. Bei Berechnung einer Operationsminute mit 12,00 €/min. ergab sich somit ein Kostenaufwand bzw. ein mögliches Kostenersparnis-Potenzial von 10.944,00 €.

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