Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Revisionsendoprothetik der aseptisch gelockerten Hüftpfanne
Wie kommen wir zu guten Ergebnissen?

Primär ventrale Zugänge erlauben eine sehr schöne Darstellung der Pfannensituation und können im Sinne eines Judet-Zugangs derart erweitert werden, dass eine problemlose Darstellung der Pfannenregion und der Beckenschaufel unter Schonung der Weichteile möglich ist. Allerdings ist die Schaftrevision über einen ventralen Zugang deutlich erschwert. Ebenso können Trochanterfrakturen oder proximale Schaftfissuren, die eine Cerclage oder andere Osteosyntheseverfahren benötigen, allein vom ventralen Zugang nur unter erschwerten Bedingungen versorgt werden. Dorsale Pfeilerversorgung ist nicht möglich.

Wie schone ich am besten die Weichteile, vor allem den M glutaeus medius?

Der N. glutaeus superior und die Vasa glutaeae sind 3–5 cm proximal der Trochanterspitze zu erwarten [1, 18]. Eine Schonung ist zu gewährleisten, da ansonsten ein Insuffizienzhinken durch die Schädigung des Nervens bzw. des M glutaeus medius resultiert. Ein kontrolliertes Spalten des Muskels unter Schonung des Gefäß-Nervenbündels z.B. beim Bauer-Zugang kann gut funktionieren, allerdings ist ein weiteres Zerreißen der Muskulatur durch Hohmannhaken oder rüde Repositionsmanöver zu vermeiden.

Um Instabilitäten und auch ein hinkendes Gangbild zu vermeiden, ist es ebenso wichtig, den Hebelarm der Muskulatur möglichst anatomisch zu rekonstruieren. Daher sollten im Vorfeld das erforderliche „Offset“ der Endoprothese möglichst genau geplant und intraoperativ rekonstruiert werden [21].

Dorsale Zugänge tangieren den Glutaeusmuskel weniger. Sie haben aber den Nachteil, dass der N. Ischadicus u.U. dargestellt und geschont werden muss und dass auch die Außenrotatoren sicher refixiert werden sollten, um hintere Instabilitäten zu vermeiden.

f) Materialcheckliste

Um einen Prothesenwechsel möglichst zügig und komplikationsarm durchzuführen, ist eine sorgfältige Vorbereitung enorm wichtig. Nach Möglichkeit sollten sämtliche Operations- und Entlassungsberichte im Verlauf sowie auch der Prothesenausweis vorliegen.

Anhand der implantierten Komponenten bzw. auch der geplanten Wechseloperation muss sorgfältig geprüft werden, ob sämtliche Instrumente für die Wechseloperation bzw. auch sämtliche Implantate vorhanden sind bzw. ob diese bestellt werden müssen. Ist die Verwendung von Prothesenkomponenten verschiedener Hersteller geplant, empfiehlt es sich, den Patienten im Vorfeld darüber aufzuklären („Off-label use“).

Checkliste Materialien

Instrumente und Implantate zum Wechsel/zur Entfernung der Hüftpfanne

Welches Implantat ist derzeit in situ, von welcher Firma?

Sind (firmenspezifische) Instrumente zur Entfernung der Implantate in situ notwendig (z.B. Pfannenumschneidungsmeißel, Ausdrehinstrumentarium bei Schraubpfannen, spezielle Ausschläger, spezielle Entfernungsinstrumente, Zementextraktoren, Hochfrequenzfräsen, Speziallichtquelle)?

Welche Gleitpaarung ist implantiert, welche ist erlaubt? (Besonders bei Hart/Hart-Gleitpaarungen zu berücksichtigen)

Instrumente und Implantate für die
Revision-/Wechseloperation

geplante Implantate (Plan A, auch Plan B sollte vorhanden sein!)

Kenntnis des Schaftkonus, wenn Schaft verbleiben soll (10/12er, 11/13er, 12/14er Euro-Konus, oder 14/16er, V40er oder andere english-size Koni)

Sind ggfs. Wechselinlays/Probeinlays vorhanden?

Welche Hüftköpfe in welcher Größe und für welchen Konus sind erforderlich?

Sind Keramikhüftköpfe mit Metallhülse (gebrauchter Konus), eine gewinkelte Hülse oder überlange Köpfe (z.B. von Merete) notwendig?

Revisionsschäfte

Pfannenfräsen, die auch kleine Mengen autologe Spongiosa sammeln

Instrumente für die Verdichtung beim Impaction bone grafting

Cerclagen oder Plattenosteosynthesen am Becken

Interimsprothese als Spacer bei Infekten und zweizeitigem Vorgehen

Knochenersatzstoffe

aseptisch aufbereitete Hüftköpfe, Drehreibe zur Herstellung der Knochenchips

Kortikospongiöse Späne, wieviel für welchen Defekt?

Strutgrafts

Knochenersatzstoffe zum Beimengen

Antibiotikaflies

Augmente aus Tantal oder Titan, die in den Knochendefekt eingeschraubt werden, um die Primärstabilität zu vergrößern und die Pfannenauswahl auf ein Pressfit-System zu ermöglichen

Stadienabhängige Versorgung der Knochendefekte und Auswahl der Pfannenimplantate

Anhand der Knochendefektsituation können Acetabulumdefekte, z.B. nach Paprowski et al. 1994 oder nach der DGOU-Klassifikation (Bettin, Katthagen 1997) eingeteilt werden [3, 19].

Abhängig vom Ausmaß des Knochenverlustes und der Pfeilerdefekte wurden stadienabhängige Knochendefektauffüllungen mit Fremdknochen aus der Knochenbank kombiniert mit entsprechenden Implantaten propagiert [10]. Orientierend wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen:

kleine Defekte, noch guter autochthoner Knochen: Press-Fit-Pfanne mit/ohne Schrauben, alternativ Schraubpfanne (Abb.1)

mittlere Defekte, noch mäßig viel autochthoner Knochen: Stützringe mit einzuzementierendem PE-Inlay (Typ Müller/Ganz), kraniale Fixierung mit Schrauben, optional mit Sitzbeinhaken (Rekonstruktionsschalen ohne Ileum-Laschen)

große Defekte, 2–3 Pfeilerdefekte, Beckendiskontinuität: Stützring mit Ileum-Laschen (Typ Burch-Schneider) und Sitzbeinhaken, lange Os Ileum-Laschen, ggf. mit dorsaler Plattenosteosynthese, zusätzliche Knochendefektauffüllung (Impaction bone grafting) (Abb. 2–3).

Bei der Anwendung von langen Ileumlaschen ist der Operationszugang allerdings so zu wählen, dass M. glutaeus medius oder N. glutaeus superior möglichst nicht beeinträchtigt werden.

In dieser Hinsicht haben neuere Techniken Vorteile:Als alternatives und vermutlich gewebeschonenderes Konzept hat sich die Auffüllung von kranialen Knochensubstanzdefekten mit makrorauhen bzw. makrostrukturierten Metallkonstrukten (modular als Metallaugmente oder nichtmodular als längsovale Monoblockimplantate) etabliert. Diese können nach Anfrischen des autochthonen Knochens in den Defekt eingebracht werden, so dass eine primärstabile Situation resultiert. Darüber hinaus kann die Defektgröße häufig derart reduziert werden, dass eine anschließende Versorgung mit Press-Fit-Pfanne und Schrauben möglich ist (Abb.4). Zur Vermeidung eines direkten Metall-Metall-Kontakts sollte allerdings eine Zementschicht zwischen Augment und Pfanne eingebracht werden [26].

So können z.B. 2-Pfeilerdefekte mit 2 Augmenten und einer Press-fit-Pfanne, alternativ mit 1 Augment, kombiniert mit einem Impaction bone grafting und einem Cage, z.B. einer Rekonstruktionsschale ohne Ileumlasche, Typ Müller/Ganz, versorgt werden [27]. Zudem kann mit Tantal-Press-Fit Pfannen oder ähnlich knochenaffinen Rekonstruktionsschalen auch bei 50–70< %iger Auflagefläche auf autochthonem Knochen eine gute Primärstabilität erzielt werden.

Spongiöse Knochenchips wiederum eignen sich dagegen sehr gut, um umschlossene (contained) Knochendefekte am Pfannenboden oder am superomedialen Pfannendach in „Impaction-grafting-Technik“ zu rekonstruieren und damit gute Versorgungsergebnisse zu erzielen [26]. In den allermeisten Fällen integriert der Ersatzknochen problemlos und trägt dazu bei, dass große Defekte verkleinert werden bzw. eine Beckendiskonuität verhindert wird.

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