Wissenschaft - OUP 01/2019

Rückenschmerzen im Wachstumsalter

Thomas Wirth, Micha Langendörfer

Zusammenfassung:

Rückenschmerzen kommen bis zum Alter von 10 Jahren selten vor,
gehören aber bei Jugendlichen zu den häufigsten Schmerzursachen. In dieser Altersgruppe
können die Weichen für eine Chronifizierung gestellt werden.

Es gibt vielfältige Ursachen für Rückenschmerzen im Wachstumsalter. Bei Schmerzpatienten unter
10 Jahren müssen diese immer, bei Jugendlichen bei fehlendem Behandlungserfolg ausgeschlossen
werden. Hinweise auf schwerwiegende Erkrankungen können in einer fixierten Fehlhaltung,
einer eingeschränkten Beweglichkeit oder in peripheren neurologischen Symptomen zu finden sein.

Strukturelle Ursachen für Rückenschmerzen im Wachstumsalter sind Spondylolyse und Spondylolisthesis, die Adoleszentenkyphose und -skoliose. Aus dem Formenkreis der entzündlichen Erkrankungen ist an
die akute Spondyl(-odisz)itis, die juvenile idiopathische Arthritis (JIA), die chronische nicht-bakterielle (CNO), die chronisch rezidivierende multifokale Osteomyelitis (CRMO) und die ankylosierende Spondylitis zu denken. Maligne Tumore kommen an der Wirbelsäule selten vor. Häufigere Schmerzverursacher sind aber benigne Tumore oder tumorähnliche Veränderungen wie das Osteoidosteom, das Osteoblastom
und die aneurysmatische Knochenzyste. In die differenzialdiagnostischen Überlegungen müssen auch
degenerative Bandscheibenerkrankungen einbezogen werden.

Schlüsselwörter:
Rückenschmerzen, Spondylolyse, Spondylodiszitis, Osteoidosteom

Zitierweise:
Wirth T, Langendörfer M: Rückenschmerzen im Wachstumsalter. OUP 2019; 8: 014–020

DOI 10.3238/oup.2019.0014–0020

Summary: Backpain is rare in the age group under 10 years but represents one of the 4 most frequent causes for painful episodes in adolescence. In this age group a significant risk of chronification exists.
There are many causes for back pain during the growth period. In patients under 10 years of age and in adolecents with missing therapeutic success a thorough and consequent differential diagnostic pathway must be followed. Clinical signs of severe pathologies are fixed postural deformities, restricted range of motion or peripheral neurological abnormalities.
Structural causes for back pain are spondylolysis, spondylolisthesis, adolescent kyphosis and scoliosis. Several inflammatory conditions such as acute spondyl(odisc)itis, juvenile rheumatoid arthritis, chronic nonbacterial (CNO) and chronic recurrent multifocal osteomyellitis (CRMO) as well as ancylosing spondylitis can lead to back pain in children and adolescents. Malignant tumours of the spine are rare. Much more frequently benign tumours or tumour-like lesions such as osteoidosteoma, osteoblastoma and aneurysmatic bone cysts are being identified. Further degenerative disk diseases may be causing lumbar back pain in the adolescent.

Keywords: back pain, spondylolysis, spondylolisthesis, osteoidosteoma

Citation: Wirth T, Langendörfer M: Back pain in growing age, OUP 2019; 8: 014–020

DOI 10.3238/oup.2019.0014–0020

Für alle Autoren: Orthopädische Klinik, Klinikum Stuttgart, Olgahospital

Einleitung

Rückenschmerzen sind die vierthäufigste Schmerzursache bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren [11].

Sie rangieren bezüglich ihrer Intensität aber weit hinter Kopf-, Bauch- oder Beinschmerzen [6]. Immerhin erleben 18,6 % der Kinder eine Episode von Rückenschmerzen täglich [7]. Der Kreuzschmerz ist für 23 % der Schulfehltage und 29 % der Nichtteilnahme am Sportunterricht verantwortlich [1]. Unter kindlichen Schmerzpatienten sind diejenigen mit Rückenschmerzen signifikant älter als Kinder, die keine Rückenschmerzen angeben [6]. Die jährliche Inzidenz der Rückenschmerzen verdoppelt sich in der Adoleszenz bis zum Ende des Wachstumsalters [2]. Daraus kann umgekehrt gefolgert werden, dass Rückenschmerzen bei Kindern, die jünger als 10 Jahre sind, eher eine Seltenheit darstellen und besonderer diagnostischer Aufmerksamkeit bedürfen.

Immer wieder wird die Entstehung von Rückenschmerzen mit dem Tragen des Schulranzens in Verbindung gebracht, insbesondere wenn er die empfohlenen 10 % des Verhältnisses Körpergewicht zu Schulranzengewicht übersteigt. Es gibt aber keine überzeugenden Daten, die diese immer wieder geäußerte Vermutung wissenschaftlich untermauern [16]. Allerdings zeigt sich eine positive Auswirkung einer Gewichtsreduzierung des Schulranzens auf die Körperhaltung, insbesondere bei jüngeren Kindern [4, 14].

Risikofaktoren für die Entstehung von Rückenschmerzen im Wachstumsalter sind häufigere manuelle Arbeit, längeres Sitzen [13], Übergewicht [3] und eine auf das Alter bezogen große Körpergröße, insbesondere in Phasen schnellen Wachstums [10].

Aus den epidemiologischen Daten geht hervor, dass Rückenschmerzen in der Adoleszenz ein häufiges Phänomen sind. Prädiktoren für eine Chronifizierung sind vor allem lange Episoden lumbaler Rückenschmerzen, eine Ausstrahlung in die Beine, aber auch allgemein verbreitete Körperschmerzen, eine geringere Körpergröße und psychosoziale Faktoren [7]. Entscheidend in der Diagnostik dieses Krankheitsbilds ist also, die klinischen Befunde, die zu einer therapiebedürftigen Pathologie des Rückenschmerzes gehören, zu identifizieren und die weitere Abklärungsbedürftigkeit zu erkennen.

Alarmierende klinische
Befunde des wachsenden Rückens

Grundsätzlich gilt, dass Rückenschmerzen bei Kindern unter einem Lebensalter von 10 Jahren immer mit einem besonderen Argwohn betrachtet werden müssen, weil sie für diese Altersgruppe untypisch sind. Deshalb ist eine sorgfältige Anamnese, die sich mit Schmerzdauer, -frequenz, -intensität und Fragen zum allgemeinen Wohlbefinden oder auch zurückliegenden Infektionen beschäftigt, unabdingbar. Der klinische Untersuchungsbefund impliziert die Analyse der Körperhaltung, der Beweglichkeit der einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule sowie die klinischen Zeichen einer Wurzelreizung bzw. sogar der Einbeziehung neurologischer Symptome. Dabei ist eine schmerzbedingte skoliotische Fehlhaltung mit verstrichener Taille, Abweichung aus dem Lot und gleichzeitiger eingeschränkter Beweglichkeit bei Inklination ein Alarmzeichen (Abb. 1a). Ein weiteres, sehr bedeutsames auf eine sichere Pathologie hinweisendes klinisches Zeichen ist die Hüft-Lenden-Strecksteife, d.h.t das automatische Mitanheben des Gesäßes bei Anheben der gestreckten Beine an der Ferse (Abb. 1b). Zusätzlich können die Kinder über lokale Klopfschmerzen, lokale Druckschmerzen, aber auch über einen muskulären Hartspann klagen, der in der Regel gut tastbar ist. Wichtig ist die Beurteilung der Beinlänge, die Analyse des Iliosakralgelenks auf Schmerzhaftigkeit und Blockierung sowie die Position des Beckens im Hinblick auf eine vermehrte In- oder Reklination. Peripher neurologisch findet man bei Kindern selten schwerwiegende Ausfälle. Das Lasègue-Zeichen ist allerdings bei einer Wurzelreizung auch bei Kindern und Jugendlichen positiv. Lähmungen und Sensibilitätsausfälle gibt es hingegen nicht sehr häufig. Sind diese nachweisbar, muss man mit einer schlimmeren Pathologie rechnen.

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